Countdown für Planet B. Leila Dreggers Plädoyer für einen Aufbruch ins utopische Denken
4 - Wasser und Liebe: Was das Wasser für die Erde, ist die Liebe für den Menschen
Es gibt keinen Planet B, sagt die Klima-Streik-Bewegung. Nein? Dann wird es höchste Zeit, ihn zu bauen. Welche Veränderung reicht aus, um einen echten Systemwechsel einzuleiten? Die Corona-Krise hat uns gezeigt, wie viel Veränderung in kurzer Zeit möglich ist. Wir laden ein zu einem Countdown des utopischen Denkens! Alle zwei Wochen stellen wir - ganz unsystematisch - einen Kernfaktor des Systemwechsels vor. Wenn ihr wollt, bleibt es kein Märchen.
4 - Wasser und Liebe:
Leila Dregger ist Diplom-Agraringenieurin und langjährige Journalistin. Mit den Schwerpunktthemen Frieden, Ökologie, Gemeinschaft, Frauen arbeitet sie seit 25 Jahren für Presse und Rundfunk sowie als Drehbuchautorin und Regisseurin für Theater und Film. Sie war Herausgeberin der Zeitschrift „Die weibliche Stimme – für eine Politik des Herzens", Pressesprecherin des Hauses der Demokratie in Berlin und lebt heute überwiegend in Tamera in Portugal.
www.tamera.org
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4 - Wasser und Liebe:
Was das Wasser für die Erde, ist die Liebe für den Menschen
Auf Planet A haben sie mit der Liebe dasselbe gemacht wie mit den Flüssen: Sie haben sie besungen und ihren Müll reingekippt, sie haben sie kanalisiert, zu Geld gemacht und versucht, sie einzusperren, sie haben sie gestaut, ausgetrocknet, vergiftet. Die Kriege der Völker drehen sich immer mehr um Wasser, die Kriege unter den Menschen um die Liebe. Mit beiden Elementarkräften haben wir noch nicht wirklich zu leben gelernt. Aber das müssen wir.Ohne Wasser gibt es kein Leben
Ich weiß nicht, ob es ohne Liebe Leben gibt, aber lebenswert ist es sicher nicht. Deshalb wird man auf Planet B beides ehren wie etwas Heiliges - so wie es die indigenen Völker aller Zeiten getan haben.
"Mni Wiconi" - Wasser ist Leben - war ein Motto der Sioux-Wasserschützer von Standing Rock. Vor Gericht bekamen sie nun endlich Recht: Die Pipeline durch den Missouri wurde wieder stillgelegt. Der Aktivist Tiokasin Ghosthorse, ein Kenner der Lakota-Sprache, erklärt, was Wasser bedeutet: "Mni - also Wasser - ist das erste Bewusstsein, welches Mutter Erde verliehen wurde. In der Lakota-Schöpfungsgeschichte ist es das blaue Blut, der glänzende Spiegel, in dem sich das Universum erkennt. Seine Transparenz ist ein Sinnbild für die Schöpfung und für einen Weg, die Schöpfung zu verstehen."
Eines ist klar: Eine Kultur, die das Wasser versteht, versteht das Leben. Eine Kultur, die die Liebe versteht, bringt das Leben zum Leuchten.
Es beginnt ganz praktisch mit einem zutiefst anderen Wassermanagement: Die Bewohner von Planet B erkennen die Weisheit der natürlichen Wasserkreisläufe und halten sie überall in Gang. Dezentral, lokal, überall: in jedem Dorf, jeder Fabrik, jedem Stadtteil, jedem Garten. Der Wasserkreislauf bringt das Leben überall auf die Erde, sogar in die Wüste. Es beginnt mit dem Regen: Wenn er in die Erde eindringen darf, dann versorgt er Pflanzen, Tiere, Mikroorganismen und den Menschen. Grundwasser steigt bis auf Bergspitzen und tritt als Quelle zum Vorschein, füllt Bäche und Flüsse und strömt - jedenfalls bis vor einigen hundert Jahren - glänzend wie das Rheingold durch alle Regionen. Was für ein kluger Verteilungmechanismus! Solange er intakt bleibt, ist alles gut, und niemand muss Wasser kaufen oder verkaufen.
Das ist das eigentliche Wassergeheimnis: Regen entfaltet nur dann seinen Segen, wenn er in die Erde eindringen und dort eine Weile ruhen darf. Deshalb besteht die wichtigste Maßnahme des Wassermanagements auf Planet B, die Erde offen zu halten. Ob in Städten oder auf dem Land: Nur in Notfällen gibt es betonierte, asphaltierte, mit Folie bedeckte Flächen. Auch darf Boden nicht "nackt" bleiben: Jedes Stück Erde ist bepflanzt oder mit Mulch bedeckt, am besten mit Wald und Mischkulturen, nur dann bleibt es offen.
Das Wunder von Rajastan
Doch wie ist es an den Orten, deren Böden bereits zu geschädigt, zu erodiert, zu hart geworden sind? In der Sonne werden nackte Böden heiß und bilden eine Kruste, durch die kein Regenwasser mehr abläuft. Dort reicht Bäume-Pflanzen nicht mehr aus. Und doch ist Heilung möglich, so wie in der Wüste von Rajastan: Dort haben sieben ausgetrocknete Flüsse wieder zu fließen begonnen, 2.000 Dörfer sind wieder bewohnbar, nachdem an vielen tausend Orten die einfachen Dorfbewohner und Kleinbauern aktiv wurden. Sie verlangsamten den Abfluss des Regens, indem sie unzählige kleine Dämme, Terrassen und Gräben anlegten. Dahinter sammelte sich das ablaufende Regenwasser und hatte wieder Zeit, in die Erde einzusickern. Der Effekt gleicht einem Wunder. Ihres erkämpften Wasser-Reichtums wieder bewusst, haben sich die Bewohner der Region zu Flussparlamenten zusammengeschlossen. Sie sorgen dafür, dass die Flüsse wieder respektiert, ihre Ufer mit Wäldern bepflanzt und Kläranlagen gebaut werden.
Auch in den Städten des Nordens sind die Menschen sich wieder des unbezahlbaren Wertes von Wasser bewusst geworden. Man hat auch endlich verstanden, dass die Begradigung von Flüssen Überschwemmungen nach sich ziehen. Heute baut man Straßen und Orte etwas weiter weg von den Ufern, damit die Flüsse frei mäandern und sich im Frühjahr ausdehnen und die Felder rechts und links tränken können.
Selbstverständlich gibt es keine Staudämme, keine Spekulation mit Wasser, keine Wasserflaschen mehr - aber in allen Orten und Städten freien Zugang zu Trinkwasserbrunnen. Sie werden gepflegt, geehrt und geschmückt so wie bei uns in Portugal bis vor kurzem noch in allen Dörfern.
Und die Liebe?
Da macht man es ganz genauso auf Planet B: Man weiß, dass die Liebe selbst ihre heilende Dynamik entfaltet, wenn man sie nicht mehr einsperrt. Man darf lieben, wo immer man liebt. Man hat gemerkt, dass man Liebe nicht besitzen oder einsperren kann und dass sie verwelkt, wenn man sie aus Angst einsperrt. Manchmal fließt sie eben etwas mehr nach links und rechts, und manchmal möchte sie sich ausdehnen wie ein Fluss im Frühling und über alles ergießen. Natürlich gibt es auch Durststrecken. Aber die Menschen von Planet B können sich darauf verlassen, dass sie sich immer wieder erneuert und alles Leben durchflutet.
Und so gilt der Satz von Dieter Duhm: "Wasser, Energie und Nahrung - und Liebe! - wird allen Menschen frei zur Verfügung stehen, wenn wir nicht mehr dem Gesetz des Kapitalismus, sondern der Logik der Natur folgen."
Leila Dregger ist Diplom-Agraringenieurin und langjährige Journalistin. Mit den Schwerpunktthemen Frieden, Ökologie, Gemeinschaft, Frauen arbeitet sie seit 25 Jahren für Presse und Rundfunk sowie als Drehbuchautorin und Regisseurin für Theater und Film. Sie war Herausgeberin der Zeitschrift „Die weibliche Stimme – für eine Politik des Herzens", Pressesprecherin des Hauses der Demokratie in Berlin und lebt heute überwiegend in Tamera in Portugal.
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Gesellschaft | Pioniere & Visionen, 01.09.2020
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