Die Wissenschaft stellt keine Warum-Fragen

Der Philosoph Christoph Quarch sieht den Höhenflug des Charité Chef-Virologen Drosten mit Skepsis

Erst der deutsche Radiopreis für den besten Podcast, jetzt das Bundesverdienstkreuz: Charité-Chef Virologe Christian Drosten ist der Mann der Stunde. Die vielen Fans von Deutschlands oberstem Corona-Erklärer wird das freuen. Unser Philosoph Christoph Quarch hingegen sieht Drostens Höhenflug mit Skepsis.
 
Herr Quarch, sind Sie neidisch oder was stört Sie an den Auszeichnungen Ihres Podcast-Kollegen?
Die Charité ist Berlins ältestes Krankenhaus und eine der größten Universitätskliniken Europas. Hier arbeitet der Virologe Christian Drosten, Deutschlands oberster Corona-Erklärer. © falco, pixabay.comNeidisch bin ich keineswegs. Herr Drosten macht einen guten Job. Nicht er stört mich, sondern die an seiner Popularität erkennbar einseitige Fokussierung des öffentlichen Corona-Diskurses auf Wissenschaft und Technik. Ich erkenne darin eine Wissenschaftsgläubigkeit, von der ich meine, dass sie uns als Gesellschaft auf Dauer nicht gut tut. Nicht, dass ich etwas gegen Wissenschaftler oder die Wissenschaft hätte. Aber die weit verbreitete Auffassung, dass wir uns bei unserem Umgang mit der Pandemie allein auf die Wissenschaft verlassen könnten, erscheint mir problematisch. 

Warum nicht?
Die Wissenschaften sind großartig, wenn es darum geht, die Welt zu ergründen, Naturgesetze zu erforschen, Zusammenhänge herzustellen, um auf diese Weise Vorhersagen treffen zu können – zum Beispiel über den Verlauf einer Pandemie. Auf diese Weise versorgt sie die Gesellschaft und ihre Verantwortlichen mit wichtigen Informationen. Was sie aber nicht tut – und was auch gar nicht ihre Aufgabe ist – das ist: Interpretations- und Deutungsangebote zu unterbreiten, was diese Pandemie für uns als Gesellschaft und Individuen bedeutet.  Anders gesagt: Die Wissenschaft stellt keine Warum-Fragen. Das überlässt sie ihrem eigenen Selbstverständnis nach anderen. Wenn diese anderen im gesellschaftlichen Diskurs aber nicht zu Wort kommen, dann besteht die Gefahr, dass wir den Herausforderungen dieser Krise nicht gewachsen sind.

Wo liegt das Problem?
In einem Aufsatz im Guardian hat der Besteller-Autor Juval Noah Harari deutlich gemacht, dass für Wissenschaftler alle Probleme letztlich technische Probleme sind, die durch mehr Wissen und bessere Technik gelöst werden können. Genauso gehen wir mit Covid um: Wir versprechen uns die Rettung von neuen Medikamenten oder Impfstoffen – in Verbindung mit ökonomischen Maßnahmen. Wir fragen aber nicht: Was geht die Krise uns an? Welchen Sinn können wir dem Ganzen abgewinnen? Was können wir für unser persönliches und gesellschaftliches Leben daraus lernen? Warum passiert das? Über solche philosophischen Fragen wird  in Deutschland viel zu wenig diskutiert. Die Wissenschaft kann man dafür nicht tadeln, wohl aber diejenigen, die den öffentlichen Diskurs organisieren und Radiopreise verleihen; und auch diejenigen, die das Land repräsentieren und Orden verleihen, statt politische Visionen für die Postcorona-Zeit zu entwickeln.

Helmut Schmidt hat einmal gesagt: „Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen". Ist die nüchterne Wissenschaft, die bei den Fakten bleibt, nicht vielleicht doch wichtiger als Spekulationen darüber, welchen Sinn wir der Pandemie abgewinnen können?
Man darf Wissenschaft und Philosophie nicht gegeneinander ausspielen. Sie gehören zusammen, weil wir Menschen einerseits Informationen brauchen, andererseits aber auch Deutungen. Wir können ohne Sinn nicht leben. Wir sind Wesen, die nach dem Warum fragen. Wir wollen verstehen, was los ist, um uns angemessen verhalten zu können. So sind wir nun mal gestrickt. Wenn im öffentlichen Diskurs immer nur über das Wie und Was diskutiert, dabei aber nie um das Warum gerungen wird, drängen gleichsam von unten Verschwörungstheorien in dieses Vakuum und untergraben den gesellschaftlichen Zusammenhang. So skurril es klingt: Je wissenschaftsfokussierter eine Gesellschaft, desto anfälliger ist sie für Esoterik und Verschwörungstheorien. Deshalb wäre es vielleicht doch an der Zeit, gelegentlich auch einmal die Geistesarbeiter im Lande zu würdigen. 
 

Der Philosoph Christoph Quarch schreibt regelmäßig für forum Nachhaltig Wirtschaften. © Christoph Quarch
Der Bestseller-Autor Christoph Quarch ist Philosoph aus Leidenschaft. Seit ihm als junger Mann ein Büchlein mit »Platons Meisterdialogen« in die Hand fiel, beseelt ihn eine glühende Liebe (philia) zur Weisheit (sophia), die er als Weg zu einem erfüllten und lebendigen Leben versteht. Als Autor, Publizist, Berater und Seminarleiter greift er auf die großen Werke der abendländischen Philosophen zurück, um diese in eine zeitgemäße Lebenskunst und Weltdeutung zu übersetzen."

Hören Sie ihn persönlich im SWR-Podcast Frühstücks-QuarchLesen Sie mehr von ihm unter www.christophquarch.de
 
Als forum-Redakteur zeichnete Christoph Quarch verantwortlich für den SonderteilWIR - Menschen im Wandel".

Gesellschaft | Migration & Integration, 29.09.2020

     
Cover des aktuellen Hefts

Der Zauber des Wandels

forum 04/2024 ist erschienen

  • Windkraft
  • Zirkuläre Produkte
  • Tax the Rich
  • Green Events
  • Petra Kelly
Weiterlesen...
Kaufen...
Abonnieren...
17
SEP
2024
IAA TRANSPORTATION
Die führende Leitplattform für Logistik, Nutzfahrzeuge und den Transportsektor
30521 Hannover
18
SEP
2024
neext Future Summit - Summer Special Rabatt!
Pioneering Tomorrow's Real Estate, Industry and Infrastructure
13088 Berlin
08
OKT
2024
VertiFarm - Ticketrabatt für forum-Leser*innen!
Internationale Fachmesse für Next Level Farming und New Food Systems
44139 Dortmund
Alle Veranstaltungen...
Lassen Sie sich begeistern von einem Buch, das Hoffnung macht

Professionelle Klimabilanz, einfach selbst gemacht

Einfache Klimabilanzierung und glaubhafte Nachhaltigkeitskommunikation gemäß GHG-Protocol

Politik

Bildung, Kunst, Schönheit
Christoph Quarch wünscht sich in der Haushaltsdebatte einen neuen Blickwinkel
B.A.U.M. Insights

Jetzt auf forum:

Tag der offenen Tür bei Fischer’s EM-Chiemgau, 21. September 2024, Stephanskirchen

Gutes Gewissen – guter Schlaf:

"One Home Journey 2024-2030"

Siegeszug für Nachhaltiges Wirtschaften – Vom Müssen zum Wollen

Start der Bewerbungsphase für den CSR-Preis der Bundesregierung für nachhaltig handelnde Unternehmen

Fotoausstellung Klimagerecht leben

From Arms to Farms

IAA TRANSPORTATION 2024, 17.-22. September in Hannover

  • World Future Council. Stimme zukünftiger Generationen
  • Energieagentur Rheinland-Pfalz GmbH
  • Dr. Ing. h.c. F. Porsche AG
  • Global Nature Fund (GNF)
  • Engagement Global gGmbH
  • Kärnten Standortmarketing
  • Protect the Planet. Gesellschaft für ökologischen Aufbruch gGmbH
  • B.A.U.M. e.V. - Netzwerk für nachhaltiges Wirtschaften
  • ECOFLOW EUROPE S.R.O.
  • Futouris - Tourismus. Gemeinsam. Zukunftsfähig
  • DGNB - Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen
  • circulee GmbH