Mondays for Future
Claudia Kemfert im forum-Interview
Im forum Interview erklärt Claudia Kemfert, warum wir spätestens jetzt die Ärmel hockrempeln sollten und wie und wo wir aktiv werden können.
Frau Kemfert, was sind die Mondays for future?
Es geht darum, welchen Beitrag wir derzeit zum Klimaschutz leisten können – und zwar nicht nur in unserem individuellen Konsumverhalten, sondern als politisch engagierte Bürgerinnen und Bürger sowie als Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Am Freitag wurde für mehr Klimaschutz demonstriert, am Sonntag wurden Reden geschwungen. Jetzt beginnt die nächste Woche und wir nehmen die Arbeit auf. Was zu tun ist und wie wir das gemeinsam anpacken können, steht in meinem neuen Buch.
Sie stellen darin konkrete „Aufgaben für den Anfang" vor. Wollen Sie uns Beispiele nennen?
Ja gerne, weil wir nur durch unser beherztes Handeln etwas bewegen können. Jeder kann sofort etwas tun. Hier eine Auswahl:
#2 Beteilige dich, egal an welcher Stelle
Wie wäre es, in der Familie zu verabreden, einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten – und dafür eine Art Vertrag abzuschließen? Wie wäre es, wenn das Unternehmen, die Organisation, die Universität, die Schule, also der Ort, wo du dich regelmäßig aufhältst und wo du arbeitest, sich entschließt, die eigenen Emissionen zu reduzieren – und in einem Vertrag festhält, auf welche Weise bis wann welche Ziele erreicht werden sollen?
#20 Unterstütze Unternehmen, die dir gefallen
Viele Unternehmen setzen sich ernsthaft für Klimaschutz und eine sozial gerechte Nachhaltigkeit ein. Manche probieren völlig neue Geschäftsmodelle aus. Dafür brauchen sie Geld, Mitarbeiter und Infrastruktur. Wenn du siehst, dass Unternehmen sich wirklich und nachweisbar für Nachhaltigkeit engagieren, dann unterstütze sie dabei. Du kannst ihre Produkte kaufen und ihre Dienstleistungen nutzen. Du kannst ihre Aktien kaufen oder bei ihnen als Teammitglied anheuern. Du kannst für sie werben oder sie durch konstruktive Kritik auf neue Ideen bringen. Schau, was du für sie tun kannst, damit sie etwas fürs Klima tun.
#28 Werde Anwalt/Anwältin der Zukunft
Klima- und Artenschutz sind nicht irgendein Hobby. Sie sind etwas, woran sich alle beteiligen müssen. Werde zur Interessenvertreterin des Klimas und der Umwelt und zum Interessenvertreter der Zivilgesellschaft. Werde zur Anwältin aller Menschen und Tiere. Vielleicht gelingt es dir, dass dein Unternehmen, dein Verein, deine Schule nicht wartet, bis sie per Gesetz zu irgendetwas gezwungen werden, sondern dass ihr euch jetzt schon proaktiv an der Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele beteiligt.
#40 Schaffe einen Rat für Generationengerechtigkeit
Darin sind Menschen versammelt, die aus allen Bereichen der Organisation kommen, also in einer Schule natürlich Schülerinnen und Schüler, Eltern, Lehrende, Mitarbeitende aus der Verwaltung, vielleicht auch Leute aus der Nachbarschaft und aus lokalen Wissenschafts- oder Nachhaltigkeitsorganisationen. Im Unternehmen oder im Sportverein werdet ihr schon selbst die entsprechenden Abteilungen zusammenbekommen. Sie werden eingeladen, um gemeinsam eine Zielvereinbarung, eine Strategie, einen Plan für eure Schule zu entwickeln: Wie werden wir bis 2030 emissionsfrei? Und dann geht’s los!
#42 Schaffe nachhaltige Kostenwahrheit
Wie viele Fahrradstellplätze gibt es in welcher Qualität? Wie sind die Wege zur nächsten Bus- oder Bahnhaltestelle? Gibt es Beschäftigte, die einen Zuschuss für ihr E-Bike, die ÖPNV-Monatskarte oder eine BahnCard bekommen? Wie sieht der Energieausweis für euer Gebäude aus? Habt ihr Sonnenkollektoren auf dem Dach oder einen Wärmepumpenboiler für die Warmwasseraufbereitung? Könntet ihr bei der Heizung auf Fernwärme umsteigen? Könnte man die Büroräume effizienter nutzen? Und so weiter. Wenn du anfängst, die Augen aufzumachen, wirst du feststellen, an wie vielen Stellen Geld in die fossile Vergangenheit gesteckt wird und an wie vielen Stellen Potenzial für eine nachhaltige Zukunft ist. Wenn sich Menschen zusammensetzen, die wirklich daran interessiert sind, etwas fürs Klima zu tun, dann können sie in kurzer Zeit und auf allen Ebenen viel erreichen.
Wie gehen Sie mit Klimawandel-Leugnern um?
Es hat sich auch herumgesprochen, dass nicht alles, was in den sozialen Medien geäußert wird, „Volkes Stimme" ist, sondern dass es gekaufte Trolle und computergesteuerte Bots gibt, die Meinungen nur vorgaukeln. Vor wenigen Jahren war es nur ein Verdacht, doch inzwischen ist unbestreitbar: Klimaleugner sind professionell und international genauso vernetzt, wie auch die fossile Industrie professionell und international vernetzt ist. Seit Jahren kursieren immer dieselben Mythen gegen die Energiewende. In meinen Büchern „Kampf um Strom" und „Das fossile Imperium schlägt zurück" habe ich zehn gängige Mythen auseinandergenommen und erklärt, welche Fakten in Wahrheit dahinterstecken. Doch immer und immer wieder werden diese Mythen aus der Schublade gezogen. Sie scheinen unbezwingbar. Ich empfehle, nur zu glauben, was transparent und nachprüfbar ist. Schau hin, frag nach, lass dir erklären, was du nicht verstehst. Glaub nicht einfach, wenn dir jemand irgendetwas erzählt, und plappere es erst recht nicht einfach nach, sondern hinterfrage: Woher weiß der das? Lässt sich das überprüfen? Woher kommen die Informationen? Und wenn jemand die wissenschaftlichen Erkenntnisse und Zusammenhänge leugnet, kein Interesse an den fundamentalen Problemen großer Teile der Menschheit hat, worüber willst du dann noch diskutieren? Dann hilft nur noch ignorieren.
Wie viel Zeit ist noch, um den Klimawandel aufzuhalten?
Die Zeit, um den Klimawandel aufzuhalten, drängt – keine Frage! Die Prognosen der Klimawissenschaftler sind bedrohlich. Die täglich neuen Nachrichten, wo und wie sich der Klimawandel bereits heute auswirkt, sind erschreckend. Der Regenwald brennt, Australien brennt, Russland brennt. Gletscher schmelzen, Flüsse treten über die Ufer, Seen trocknen aus. Es ist ein Albtraum, vor allem für die betroffenen Menschen. Dennoch gibt es keinen Grund zur Panik. Das Umsteuern ist in greifbarer Nähe. Wir sind an einem Wendepunkt. Jetzt besteht die Chance für einen echten Wandel. Auch in der Finanzwelt hat sich herumgesprochen, dass die Zukunft grün ist: Schon jetzt wird global mehr in erneuerbare als in fossile Energien zur Stromherstellung investiert. Und künftig werden noch deutlich mehr Investitionen in nachhaltige Klimaschutztechnologien und Infrastrukturen fließen. Die EU schafft gerade die gesetzlichen Rahmenbedingungen für diesen Wandel. Wir haben noch ungefähr zehn Jahre oder knapp 420 Gigatonnen CO2 Zeit, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen. Wenn wir diesen Weg ab sofort wirklich entschlossen weitergehen, dürfte die Zeit noch reichen, um den Klimawandel zu bremsen und die Erde ungefähr so zu erhalten, wie wir sie heute kennen und wie sie uns die letzten tausend Jahre ein lebenswertes Zuhause geboten hat.
Warum braucht es neben „Fridays For Future" auch „Scientists for Future" usw.?
Neben „Fridays for Future" gibt es inzwischen über 26 800 Scientists for Future. Warum es sie braucht? Manche Klimaforscher warnen schon seit Jahrzehnten vor dem Klimawandel und fordern entsprechende Maßnahmen. Angesichts der quälend langen Klima-Verhandlungen und der schwachen Umsetzung der Klimaziele waren viele Experten ziemlich zermürbt. Fridays for Future hat ihre Lebensgeister geweckt. Sie hoffen, dass die Politik jetzt endlich versteht, was die Wissenschaft seit Jahren versucht zu erklären. Es ist wissenschaftlicher Konsens, dass das Zeitalter des Holozäns in ein Zeitalter des „Anthropozäns" übergeht, in dem menschliches Verhalten wesentlich das Erdsystem beeinflusst. Seit einigen Jahren ist zudem klar, dass sich das Tempo der Veränderung permanent erhöht. Die Wissenschaft nennt das: „die große Beschleunigung". Die Uhr tickt immer lauter. Deswegen gehen die Scientists jetzt auch auf die Straße.
Frau Kemfert, wir danken für das Gespräch.
Claudia Kemfert: Mondays for Future
Freitag demonstrieren, am Wochen-ende diskutieren und ab Montag anpacken und umsetzen.
Fridays for Future und die Corona-Krise haben die Welt verändert. Endlich bekommen Klima- und Umweltschutz mehr Aufmerksamkeit. Endlich kommt Bewegung in die Politik. Gleichzeitig subventioniert Deutschland weiter fossile Energien und bricht internationale Klimavereinbarungen.
Die Wirtschaftswissenschaftlerin und forum Nachhaltig Wirtschaften Kuratorin Claudia Kemfert („Kampf um Strom", „Das fossile Imperium schlägt zurück") schafft mit ihrem neuen Buch „Mondays for Future" vor allem eins: Praktische Ansätze für Politik, Gesellschaft und Wirtschaft, die großen Ideen wichtige Veränderungen folgen lassen. Ihr neues Buch räumt auf – und zwar rigoros. Von Klimaskepsis bis Ökodiktatur, von CO2-Steuer bis Emissionshandel, von Nudging bis Postwachstumsökonomie greift die renommierte Wissenschaftlerin alle Facetten der Debatte auf. In rund 120 Fragen und Antworten erläutert die erfahrene Autorin Fakten und Zusammenhänge der Klimadebatte und gibt zusätzlich über 50 Handlungsempfehlungen.
ISBN 978-3-86774-644-1, 18,00 EUR: www.murmann-verlag.de
Auch als E-Book erhältlich: www.murmann-verlag.de |
Umwelt | Klima, 10.06.2020
Dieser Artikel ist in forum 02/2020 - die Corona-Sonderausgabe - Einfach zum Nachdenken... und Handeln erschienen.
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