Klimawandel erfordert grundlegende Transformation des Agrar- und Ernährungssystems
AgrarBündnis präsentiert Kritischen Agrarbericht 2021
Kritischer Agrarbericht 2021
ISBN: 978-3-930413-69-0360 Seiten
25,- €
kostenloser Download der einzelnen Beiträge unter www.kritischer-agrarbericht.de |
Das AgrarBündnis hat den Kritischen Agrarbericht 2021 im Rahmen der Digitalen Grünen Woche vorgestellt. Der Bericht versteht sich als "Buch zur Bewegung" mit fundierter Kritik am derzeitigen Agrarsystem, aber auch guten Konzepten und Ideen wie es anders gehen könnte. Titel dieses umfassenden Jahrbuches ist diesmal "Welt im Fieber - Klima & Wandel."
Frieder Thomas, Sprecher des Bündnisses von 26 Organsiationen aus Landwirtschaft, Umwelt-, Tier- und Verbraucherschutz sowie Entwicklungsarbeit sieht dringenden Handlungsbedarf: "Beim Klimawandel ist die Konsequenz von zu spätem Handeln für die Landwirtschaft bereits existenziell spürbar. Die Temperaturkurve kennt nur eine Richtung - nach oben - und Dürren und Extremwetter nehmen zu." Aber auch andere Krisen seien zu bewältigen: "Angesichts der Corona-Pandemie zeigt sich, dass unsere langjährige Forderung nach einer Stabilisierung und Stärkung regionaler Strukturen durchaus richtig waren." Um der notwendigen Transformation zum Durchbruch zu verhelfen, sei es gut, die besseren Argumente zu haben. "Die kann man im Kritischen Agrarbericht finden", so Frieder Thomas.
Thomas ging auch auf die Veränderungen in der öffentlichen und agrarischen Disksussion ein: "Seit fast 30 Jahren geben wir den Kritischen Agrarbericht heraus und seit zehn Jahren gehen Tausende regelmäßig auf die Straße. Unter dem Motto Wir haben Agrarindustrie satt fordern sie eine Agrarwende. Mittlerweile gehen aber auch diejenigen auf die Straße, die dem System gefolgt sind." Sie protestierten, so der Agrarwissenschaftler, weil das bisherige System ihnen keinen Raum lässt, um wirtschaftlich tragfähig die Ansprüche der Gesellschaft an mehr Schutz von Umwelt, Klima, Biodiversität oder artgerechte Tierhaltung zu erfüllen. "Da sind wir uns doch schon mal einig: Wenn Landwirtschaft so betrieben werden soll, wie die Gesellschaft das will, dann brauchen wir dringend eine tiefgreifende Transformation, die auch ein angemessenes Einkommen für die Landwirtschaft sichert."
Klima und Biodiversität: Transformation des Agrar- und Ernährungssystems unverzichtbarer Baustein für eine Klimawende
Myriam Rapior, Bundesvorstand der BUNDjugend, warnte davor, dass in Zeiten der Corona-Pandemie die Zwillingskrise aus Klimawandel und Artensterben vergessen wird: "Unsere Bauernhöfe müssen umwelt- und klimaschonend werden, dafür müssen wir die Agrarwende schnellstmöglich angehen. Wenn die EU-Kommission den Green Deal ernst meint, dann sollten die Agrar-Milliarden aus Brüssel konsequent für umwelt- und klimafreundliche Praktiken in der Landwirtschaft genutzt werden. Wir junge Menschen erwarten, dass der Staat sich der Verantwortung für den Schutz der Umwelt annimmt. Die Landwirtschaft kann Teil der Lösung der Klimakrise sein, doch sie braucht die Unterstützung der Bevölkerung und der Regierenden. Zentraler Bestandteil einer umfassenden Agrar- und Ernährungwende ist außerdem die drastische Reduktion der Tiernutzung und die gezielte Förderung vegetarischer und veganer Ernährungsstile. Dreizehn Prozent der 15- bis 29-Jährigen ernähren sich bereits jetzt ausschließlich vegetarisch oder vegan - das ist zwar doppelt so viel wie im Gesamtdurchschnitt der Bevölkerung, aber immer noch zu wenig."
EU-Agrarreform: ökologische und ökonomische Herausforderungen durch sinnvolle Instrumente zusammen angehen
Phillip Brändle von der Arbeitsgemeinschaft Bäuerliche Landwirtschaft unterstrich: "Der Schutz von Wasser und Luft sowie des Klimas und der Artenvielfalt liegt im ureigenen Interesse von Bäuerinnen und Bauern. Gleiches gilt für eine artgerechte Tierhaltung. Fakt ist allerdings auch, dass die wirtschaftliche Situation vieler Betriebe aufgrund einer über Jahrzehnte auf Intensivierung getrimmten Agrarpolitik sowie unanständig niedrige Erzeugerpreise oft desaströs ist." Brändle plädierte dafür, bei der anstehenden Reform der Gemeinsamen Europäischen Agrarpolitik (GAP) das Instrument der sogenannten Öko-Regelungen gezielt und umfangreich zu nutzen: "Die Öko-Regelungen bieten bei richtiger Ausgestaltung die große Chance, den ökologischen und wirtschaftlichen Herausforderungen in der Landwirtschaft gleichermaßen zu begegnen, indem Bäuerinnen und Bauern einkommenswirksam für ihre Gemeinwohlleistungen entlohnt werden. Ergänzt werden müssen die Öko-Regelungen durch eine gerechte Verteilung der Gelder der GAP an die ganze Breite des landwirtschaftlichen Berufsstandes sowie eine ehrgeizige Reform der Marktordnungen."
Ökolandbau - die Chance für Umwelt, Klima und Ernährung nutzen!
Antje Kölling von Demeter verwies darauf, dass ein wachsendes gesellschaftliches Bewusstsein für Umwelt- und Klimaschutz sich auch im Interesse am Ökolandbau widerspiegelt: "Das Interesse am Ökolandbau wächst: Gemäß Öko-Barometer des Bundeslandwirtschaftsministeriums kaufen 37% der Verbraucher*innen häufig Bio-Produkte. Gemäß Konjunkturbarometer des Deutschen Bauernverbands können sich 18,4 % der Landwirt*innen eine Umstellung auf Bio vorstellen. Auch auf EU-Ebene wurden die Chancen, die im Ökolandbau für Artenvielfalt, Klima und gesunde Ernährung liegen, erkannt: Die EU-Farm-to-Fork Strategie benennt das Ziel, 25% Ökolandbau in 2030 zu erreichen. Ideen, wie das geht, liegen auf dem Tisch - die Zukunftsstrategie Landwirtschaft des Bundeslandwirtschaftsministeriums muss nun aber mit Mut und Ambitionen umgesetzt werden. Dafür braucht es Rückenwind aus der Politik auf allen Ebenen und in vielen Politikbereichen. Dringend ist es jetzt, neben mehr Umweltschutz in der ersten Säule der Agrarpolitik, vor allem auch die zweite Säule der EU Agrarpolitik mit den Agrarumwelt- und Klimamaßnahmen durch ambitionierte Umschichtung zu stärken, um hier weitergehende Maßnahmen wie den Ökolandbau stärker voran zu bringen."
System Fleisch vor die Wand gefahren: Klimaschutz ohne Tierschutz undenkbar
Für Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes, gelingt mehr Klimaschutz nur im Schulterschluss mit mehr Tier-, Arten- und Umweltschutz: "Die planetarischen Grenzen sind ausgereizt. Unsere Ernährungsgewohnheiten sind aus ethischer, gesundheitlicher und ökologischer Sicht desaströs und tragen zu globalem Hunger, Dürre und dem Schwinden der Artenvielfalt bei. Konsum und Produktion von tierischen Produkten müssen erheblich gesenkt werden. Corona hat im letzten Jahr wie ein Brennglas gewirkt und viele Auswüchse dieses tier- und menschenfeindlichen Systems der Agrar- und insbesondere der Fleischindustrie sichtbar gemacht. Dieses System ist vor die Wand gefahren. Die Folgekosten eines 'Weiter so' sind massiv teurer, als die Kosten, mit denen jetzt durchgreifende Systemumstellungen gefördert werden müssen."
Lifestyle | Essen & Trinken, 23.01.2021
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