Kaufmann, Kita, Coworking
Die Zukunft guter Arbeit liegt auf dem Land
Diesen Beitrag von Ulrich Bähr, Heinrich-Böll-Stiftung Schleswig-Holstein, finden sie im B.A.U.M.-Jahrbuch 2020 - Nachhaltige Stadt. Unternehmen als Akteure im urbanen Raum.
Irgendwo im Nichts liegt der Hof Viehbrook – auf den ersten Blick ein Holsteiner Bauernhof in Alleinlage
wie viele andere. Doch hier wird Zukunft gemacht: Auf Viehbrook gibt es einen kleinen Kaufmannsladen, eine Kita und einen Coworking-Space. Ein privat organisiertes Angebot, das einen großen Teil
dessen, was in Zukunft Daseinsvorsorge auf dem Land bedeuten wird, abbildet.
Der Hof Viehbrook ist auch ein Vorreiter ist für die Digitalisierung des ländlichen Raums, denn bisher
sind hier die Versprechen der Digitalisierung noch nicht angekommen. Obwohl heute eigentlich viele
Menschen dort arbeiten könnten, wo sie leben und so Pendelzeit, Benzin und Nerven sparen könnten,
treibt in der Realität die Digitalisierung die Landflucht voran. Viehbrook zeigt, dass es anders geht. Wie
in einem Berliner Kiez können Dörfler*innen hier zu Fuß zur Arbeit gehen, ihre Kinder nebenan zur Kita
bringen, auf dem Nachhauseweg noch das nötigste im Hofladen kaufen. Gleichzeitig bietet der mit
Glasfaser angebundene Coworking-Space auch ein soziales Umfeld. Hier kann man mit Kolleg*innen
über Berufliches, aber auch über den neuesten Dorfklatsch klönen. Gerade für junge Familien in Städten
ein spannendes Angebot – und ein guter Grund, zurück aufs Land zu gehen.
Was, wenn es nicht einen Hof Viehbrook, sondern hunderte gäbe? Was für einen Wandel in Stadt und
Land würden wir erleben, weg von der schädlichen Pendelei, hin zu besserer Vereinbarkeit von Arbeit
und Familie, lebendigen Dörfern, einem naturnahen, entspannten Leben? Mit diesen Fragen ist 2018
das Projekt „CoWorkLand" der Heinrich-Böll-Stiftung Schleswig-Holstein angetreten, gefördert vom
Bundeslandwirtschaftsministerium.
Der Anfang: ein mobiler Pop-up-Coworking-Space
Im Sommer bot am Ostseestrand ein mobiler Pop-up-Coworking-Space einen Blick auf die Zukunft der
Arbeit. Das Projekt CoWorkLand erforschte an unterschiedlichen Orten im Umland von Kiel, welche
Chancen Coworking auf dem Land bietet, wie solche Orte genutzt werden und welche Geschäftsmodelle für die Betreiber funktionieren könnten. Der einfach aus Containern gebaute mobile Coworking-Space
bietet alles, was Coworking braucht: schnelles Internet, guten Kaffee, schöne Arbeitsplätze und vor
allem nette Leute.
Ein Eindruck aus dem mobilen CoWorkLand: Johannes, Anfang 60, sitzt, seinen Laptop vor sich, auf
der Terrasse vor der Kaffeebar und blickt Richtung Deich und Meer. Er arbeitet am Aufbau eines OnlineShops für Rollstühle und ist regelmäßiger Gast hier. Vor einem Jahr ist er von Bayern ins Heimatdorf
seiner Frau in den Norden gezogen. Nun kommt er fast jeden Tag von Laboe mit dem Fahrrad zum
Arbeiten hierher. Neben ihm sitzt Andrej, um 30 Jahre jünger, der ebenfalls konzentriert auf seinen
Laptop schaut. Nach einer Weile kommen die beiden ins Gespräch: Andrej erzählt, dass er nebenberuflich einen Online-Shop für orthopädische Kissen aufbaut. Die beiden lachen – sie haben sich gefunden
und sind ab diesem Moment ins Gespräch vertieft. Vielleicht entsteht eine Kooperation, gewachsen
auf einem Acker hinterm Deich.
Potenziale für den ländlichen Raum
Das Beispiel zeigt, welche innovativen Potenziale das Konzept für den ländlichen Raum hat: Menschen
zusammenbringen und Netzwerke schaffen, die wieder Innovation und Gemeinschaft aufs Land bringen.
Dabei ist Coworking auf dem Land ganz anders als in der Stadt: Dort ist Raum knapp, auf dem Land
nicht. Hier sind Menschen knapp. Und die, die hier sind, suchen daher andere Menschen. Community,
wie es in der Sprache der Coworker heißt.
Noch sind es vor allem Kreative, Freiberufler, Start-ups – Menschen, die neue Arbeitsformen schon leben
und ein solches Angebot schnell verstehen und annehmen. Doch das ändert sich: Coworking hat auf
dem Land eine viel breitere Zielgruppe als in der Stadt, weil es mehr Menschen ganz direkt nützt. Im
„Alten Heuboden" in Felde, der aus einer Segelmacherei hervorging, war die erste Coworkerin eine
Schneiderin aus dem Ort, der zweite Coworker ein Informatiker.
Es braucht einen Kristallisationskern
Ein Coworking-Space entwickelt sich auf dem Land am besten dort, wo schon eine Gemeinschaft
besteht. Und vor allem: Wo eine Person ist, die sich kümmern kann. Denn gerade am Anfang ist das
Community-Management kein Vollzeitjob. Es ist daher sinnvoll, Coworking-Spaces neben Hofläden,
in Bankfilialen oder auch in einer Kirchengemeinde anzusiedeln. Dann muss die Bank vielleicht nicht
schließen, sondern kann sich für eine neue Nutzung öffnen.
So kann Coworking auf dem Land zugleich eine Lösung für die wegbrechende Infrastruktur im ländlichen Raum sein. Im Gegensatz zur Stadt ist „Rural Coworking" also kein abgegrenztes Geschäftsmodell, sondern fast immer ein ganz individueller Hybrid aus mehreren Nutzungen – und kann sich
auch nur so für jene lohnen, die das Abenteuer wagen, einen Space auf dem Land zu gründen. Und
das sind viele: Aus dem Projekt wurde schnell eine Bewegung. Menschen haben sich zusammengetan
und die CoWorkLand-Genossenschaft gegründet, um den Norden Deutschlands zu verwandeln. Um
zu arbeiten, wo andere Urlaub machen. Im Sommer 2018 sind wir gestartet, heute, Ende 2019, sind
schon elf Coworking-Spaces gegründet worden, und 34 Genoss*innen verwirklichen ihre Vision vom
Leben und Arbeiten auf dem Land.
Ulrich Bähr ist Gründungsvorstand der CoWorkLand eG. Als Projektleiter Digitalisierung der Heinrich-Böll-Stiftung
Schleswig-Holstein erforscht und entwickelt er seit 2016 die digitale Zukunft des ländlichen Raums. Der Medienwissenschaftler baute ab 1999 die Onlinekommunikation der Volkswagen AG mit auf. Er beriet Konzerne,
politische Institutionen und NGOs zur Digitalisierung der Fort- und Weiterbildung.
Quelle: BAUM e.V. - Netzwerk für nachhaltiges Wirtschaften
Gesellschaft | Green Cities, 01.12.2020
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