Bauen neu denken
Fünf Prämissen für zukunftsfähige Gebäude in der Klimakrise
Im Bau- und Immobiliensektor liegt ein immenses Klimaschutzpotenzial. Mit diesen fünf Prämissen für
zukunftsfähige Gebäude haben Unternehmen einen großen „CO2-Hebel" in der Hand.
Der Bau- und Immobiliensektor hat Aufholbedarf: Bis 2030
gilt es 66 Prozent der CO2-Emissionen in diesem Sektor zu reduzieren, um die Klimaziele des Bundesumweltministeriums
zu erreichen. Wenn also überhaupt neu gebaut wird, dann
darf es künftig nur noch kleiner und in höheren Qualitäten
passieren.
Ein Gebäude ist nur nachhaltig, wenn es bedarfsgerecht
errichtet und genutzt wird und seine Umweltauswirkungen
minimiert werden. Für Unternehmen heißt das, einen Bezug
zwischen der Unternehmens- und Klimastrategie einerseits
und dem Gebäude andererseits herzustellen. Mit diesen fünf
Prämissen für zukunftsfähige Gebäude haben Unternehmen
einen großen „CO2-Hebel" in der Hand.
Prämisse 1
Zur gesellschaftlichen Transformation Position beziehen
Bau-Auftraggeber:innen müssen sich fragen: Wie kann mein
Unternehmen einen Beitrag zur Klimawende leisten? Kann
ein Neubau überhaupt den hohen Vorgaben zur Reduktion im
Gebäudesektor entsprechen? Kann es einen Prozess zum zukunftsfähigen Planen, Errichten und Nutzen in Gang setzen?
Jedes Gebäude zeigt den Umgang der Errichter:innen mit
den Herausforderungen der Zukunft. Es ist das „Branding" zu
diesem Diskurs – eine weit hinaus sichtbare Position. Position
zu beziehen ist eine Chance!
Prämisse 2
Nur so viel bauen, wie wir wirklich, wirklich brauchen
Tiny Houses sind wohl die Gegenbewegung zum SUV.
Damit verhandeln wir die Frage: Wie viel Raum brauchen
wir wirklich? Zuhause, aber auch für unsere Arbeit. Wie
viel Zeit verbringen wir im Büro? Innovation – das Arbeitsthema Nummer Eins der Zukunft – passiert nicht in für das
Abarbeiten konzeptionierten, mit Schreibtischen gefüllten
Großraumformaten. Die Fragen lauten: Wo passiert Arbeit?
Welchen neuen Raum brauchen wir überhaupt noch? Welche
Wege können wir uns sparen?
Prämisse 3
Raum über Generationen hinweg nutzen
Schauen Sie sich Gründerzeitbauten an: Große Raumhöhen
und gut proportionierte Räume ermöglichen Nutzungen
wie Wohnen, Arbeiten und Retail. Das Raumklima ist auch
im Sommer angenehm aufgrund der Baumassen. Und das
hauptsächlich unter Verwendung ökologischer Materialien
(gebrannter Lehm, Holz und ein wenig Stahl). So einfach wäre
es. Warum scheitern wir dann derzeit so klar bei diesem Thema? Da wir nicht wissen, wie wir in 50 Jahren arbeiten,
wohnen oder einkaufen werden, geht es um eine möglichst
nutzungsoffene Konzeption. Darum heißt es: Bieten Sie
dem Unbekannten Möglichkeiten! Lassen Sie Raum für die
Zukunft!Prämisse 4
Gebäude als Energieerzeuger denken
Nach der Optimierung der Flächen und der Bauqualitäten
geht es um die Minimierung der Verbräuche im Betrieb. Im
besten aller Fälle gibt man durch die Erzeugung von überschüssiger Energie wieder zurück, was für die Produktion
der Baustoffe erforderlich war. Und noch besser: Man erzeugt zusätzlich, was durch Mobilität der Mitarbeitenden
verbraucht wird.
Natürlich heißt das nicht, dass man jede Kilowattstunde
Verbrauch minimieren muss, wenn man auf dem Dach
ausreichend davon alternativ erzeugen kann. Wir können
alternative Energie künftig dezentral und eventuell auch genossenschaftlich in der Region erzeugen, zentral speichern
und so Teil der energetischen Wertschöpfungskette werden.
So werden wir von reinen Energieverbraucher:innen zu
-erzeuger:innen.
Prämisse 5
Gebäude als Teil der Wertstoffkette konstruieren
Wenn wir uns schon im Klaren sind, dass wir endliche Ressourcen in unseren Gebäuden „parken", dann müssen wir
auch das „Ausparken" – den Rückbau von Gebäuden – mitbedenken. Die heute eingesetzten Baustoffe sind die Rohstoffe für die Gebäude kommender Generationen. Gebäude
müssen daher so konstruiert werden, dass Baustoffe mit
unterschiedlich langer Lebensdauer sortenrein ausgebaut
werden können, um verschiedene Baustoffe weiterverwenden zu können. Und warum verbauen wir nicht jetzt schon
vermehrt Stoffe, die bereits Teil von Gebäuden waren? Damit
würden wir unser Gebäude mit deren Story aufladen. Geschichten wie sie allen lebendigen Altstädten innewohnen.
Nichts von alldem ist komplett neu oder unerprobt. Vieles
ist aktueller Stand der Technik und heute möglich. Trotzdem
gibt es wenige Projekte, in denen so umfangreich gedacht
werden darf.
Bernhard Herzog ist Partner der in Wien ansässigen Unternehmensberatung M.O.O.CON und Leiter des dortigen F&E-Bereichs.
Quelle: B.A.U.M. e.V. - Netzwerk für nachhaltiges Wirtschaften
Technik | Green Building, 01.12.2020
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