Die lebenswerte Zukunft bauen
Ein Kommentar von Amandus Samsøe Sattler
Wird 2020 rückblickend nicht nur das verrückte Corona-Jahr, in dem alles auf den Kopf gestellt wird? Sondern auch das Jahr, in dem wir endlich begonnen haben, den großen Zug in die Nachhaltigkeits- und Klimaschutzaktivitäten beim Planen und Bauen zu bekommen? Haben wir Gestalter endlich entdeckt, welches Potenzial klimagerechtes Bauen auch für eine neue Baukultur hat?
Ursula von der Leyen überrascht und begeistert uns Architekten in ihrer Rede zur Lage der Union. Sie umreißt die kulturelle Dimension des Systemwandels zur Nachhaltigkeit, indem sie einfordert, dem Wandel ein Gesicht zu verleihen, um Nachhaltigkeit mit einer eigenen Ästhetik zu verbinden. Es kommt nicht von ungefähr, dass sie in diesem Jahr mit dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis ausgezeichnet wird. Ihre Forderung „Europa als erster klimaneutraler Kontinent" ist eine gute Vision!
Gestalter einer positiven, lebenswerten Zukunft sind gefragt
Für viele in der Bau- und Immobilienwirtschaft ist die aktuelle Zeitenwende herausfordernd. Der Wandel birgt für einige von ihnen Hemmnisse, Risiken und Mehrkosten. Das gilt nicht so sehr für diejenigen, die sich seit vielen Jahren aktiv mit den Themen auseinandersetzen, sondern für all jene, die jetzt von den Anforderungen der Gegenwart überrumpelt werden. Mehr denn je sind jetzt Gestalter einer positiven, lebenswerten Zukunft gefragt, die Haltung zeigen und neue Bauweisen mit einer neuen Ästhetik ausprobieren.
Die gute Nachricht: Wir können in den nächsten zehn Jahren das Bauen so verändern, dass dessen CO2-Footprint erheblich sinkt. Und dabei gibt es nach wie vor hinreichend viele Gestaltungsräume, die gefüllt werden können. In Bezug auf die gebaute Umwelt allen voran von den Architekten.
Das kulturelle Projekt „Transformation"
Die EU unterstützt diesen Ansatz mit ihrem Green Deal, der von Ursula von der Leyen selbst als „kulturelles Projekt" bezeichnet wird, passenderweise und konsequent. Das gilt insbesondere für die von ihr skizzierte Vision von einem neuen Europäischen Bauhaus. Eine ihrer zentralen Botschaften: „Jede Bewegung hat ihr eigenes Aussehen und ihre eigene Anziehungskraft. Wir müssen Design und Nachhaltigkeit miteinander in Einklang bringen."
Nicht nur in diesem Punkt liest sich die neue Bauhaus-Idee wie eine Zusammenfassung von all dem, für das sich die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) seit nunmehr 13 Jahren einsetzt. Etwas verkürzt und freier zusammengefasst geht es um eine reflektierte, ganzheitliche Herangehensweise an unsere Bauaufgaben von heute, die die großen Zukunftsthemen wie Klimawandel, Kreislaufwirtschaft und Artenvielfalt als Kernbestandteile mitdenkt. Denn eines darf man ja nicht vergessen: Mit der Art, wie wir heute bauen, definieren wir das Bild unserer Städte von morgen. Genau das ist es, was den Baubereich von vielen anderen unterscheidet: seine langanhaltende, prägende und identitätsstiftende Funktion. Gestaltung und Architektur im Sinne der Menschen, der Umwelt, der Zukunft ist deshalb die Maxime unserer Zeit. Rein profitgesteuertes Agieren wird immer unattraktiver und vielleicht am Ende sogar unwirtschaftlicher.
Veränderung braucht Kooperation
Der Schlüssel, dass dieser jetzt neu eingeschlagene Weg funktioniert, liegt in der Zusammenarbeit. Im Aufbau von gegenseitigem Verständnis zwischen den verschiedenen Beteiligten. Kurzum: im Dialog. Das gilt national wie international in gleicher Weise. Denn es gibt nicht den einen richtigen universalen Weg. Es gibt Sichtweisen, Erfahrungen und Expertisen, die ausgetauscht werden wollen. Die sich kreativ befruchten und zu besseren Lösungen führen. Es funktioniert aber auch nicht mehr anders, denn in einem so komplexen Anwendungsfeld wie dem Bauen und einer zunehmend heterogen Wissensgesellschaft mit laufend wachsenden Anforderungen gibt es keine Alternative zur Kooperation. Auch Ursula von der Leyen ist auf der Suche nach einem „Raum des gemeinsamen Gestaltens und der Kreativität, in dem Architekten, Künstlerinnen, Studenten, Systemwissenschaftler, Ingenieurinnen und Designer zusammenarbeiten". Diesen gibt es zum Teil schon. Nicht nur die schon erwähnte DGNB, auch relativ junge Initiativen wie die Phase Nachhaltigkeit für Architekten oder Klimapositive Städte und Gemeinden für engagierte Kommunen setzen genau hier an. Sie schaffen Räume für einen ehrlichen, zielorientierten Erfahrungsaustausch. Einmal gemachte Fehler müssen nicht von jedem einzelnen aufs Neue gemacht werden. Funktionierende Lösungen dürfen nachgeahmt werden. Das gilt für Architekten im Dialog mit ihren Bauherren genauso wie für Kommunen, die es sich zum Ziel gesetzt haben, klimaneutral zu werden und ihren Bürgern damit ein Plus an Lebensqualität zu geben.
Das neue Europäische Bauhaus kann dabei helfen, die Green-Deal-Agenda den Menschen näher zu bringen und erfahrbar zu machen. Dabei sollte es unser Ziel sein, „nachhaltig" zum neuen Normal zu machen. Denn genau darum geht es doch: Wenn sich Nachhaltigkeit im Sinne von Qualität und Zukunftsfähigkeit für uns nicht mehr als Sonderweg, sondern völlig natürlich anfühlt, haben wir den richtigen Weg eingeschlagen. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen: Es macht große Freude, mit Neugier und Leidenschaft eine neue Baukultur für eine lebenswerte Zukunft zu gestalten.
Amadus Samsøe Sattler ist Architekt und Gründer des Architekturbüros Allmann Sattler Wappner Architekten. Er lehrt an nationalen und internationalen Universitäten, hält Vorträge und engagiert sich in Gestaltungsbeiräten und Wettbewerben. Seit 2015 ist er im DGNB-Präsidium, seit 2020 DGNB-Präsident.
Technik | Green Building, 01.12.2020
Dieser Artikel ist in forum 04/2020 - Jetzt reicht's! erschienen.
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