Eine Frau, die es wissen will

Führungswechsel bei B.A.U.M. e.V. - Yvonne Zwick im forum-Interview

B.A.U.M. e.V. setzt seit dreißig Jahren Akzente, wenn es um Umweltmanagement und CSR geht. Nach mehr als 30 Jahren an der Spitze übergibt Professor Dr. Maximilian Gege, der das Netzwerk für nach­haltiges Wirtschaften mitgegründet und maßgeblich aufgebaut hat, nun den Staffelstab an Yvonne Zwick. Sie hat sich beim Nachhaltigkeitsrat der Bundesregierung vor allem durch den Aufbau des Deutschen Nachhaltigkeitskodex große Anerkennung erworben.
 
© Anne Hufnaglforum wollte wissen, welche Signale von dem Führungswechsel zu erwarten sind und welche Ziele sich die neue Frau an der Spitze von B.A.U.M. gesetzt hat.
 
Frau Zwick: Herzlichen Glückwunsch zur neuen Funktion. Wie war Ihr Start?
Aufregend und freudig! Einerseits freue ich mich, zu einer so überzeugenden Organisation gehen und nachhaltiges Wirtschaften weiter vorantreiben zu dürfen. Bei den verschiedenen Begegnungen inklusive der Wahl im Rahmen der Mitgliederversammlung wurde ich sehr herzlich empfangen. Andererseits hat Maximilian Gege B.A.U.M. geprägt wie kein Zweiter. Die Fußstapfen sind groß! Ich freue mich, daran zu wachsen!
 
Sie hatten in Ihrer Laufbahn schon ganz unterschiedliche Positionen inne. Welche Ihrer Erfahrungen bringen Sie ganz speziell in Ihren Vorsitz von B.A.U.M. ein?
Ich bin seit meiner Jugend ehrenamtlich enga­giert. In dem Kontext habe ich vermutlich schon alles erlebt, was man im Verbandsleben erleben kann – seien es inhaltliche Höhenflüge, niederschmetternde Misserfolge oder respektvoll ausgetragene, aber in der Sache kontroverse Diskussionen. Und genau deshalb halte ich zivilgesellschaftliche Organisationen für das Rückgrat unserer Gesellschaft. Sie sind der Übungsraum einer belastbaren Demokratie und widerstandsfähiger Persönlichkeiten. Sie sind Grundlage unseres Wohlstands.
Ich bringe Sitzfleisch mit, Spaß an Führungsaufgaben und Stakeholderprozessen sowie mein Insiderwissen aus 16 Jahren im Politikbetrieb. Beim Rat für nachhaltige Entwicklung (RNE) der Bundesregierung waren die wirtschaftsbezogenen Themen mein Gebiet. Nach den Jahren moderater Neutralität freue ich mich nun, aktive Agentin für nachhaltiges Wirtschaften zu werden – mit allen Zielen, die dazu gehören. Ich will mich deshalb für Rahmenbedingungen einsetzen, die nachhaltiges Wirtschaften belohnen, und suche weiter nach den Elementen für den Smart Mix eines wirkungsvollen Ordnungsrahmens. Ich will unsere Mitglieder im politischen Berlin und auf internationalem Parkett gut vertreten und neue Mitstreiter:innen und Mitglieder gewinnen, denn B.A.U.M.-Mitglieder sollen eine gute Startposition haben im globalen Green Race. Deshalb sollten sich zukünftige Wettbewerbsbedingungen an ihrer guten Praxis orientieren und entsprechend hohe Anforderungen stellen. Heute schon glaubwürdig operierende Unternehmen erfüllen sie mit Leichtigkeit, weil sie sich teilweise seit vielen Jahren freiwillig um Externalitäten kümmern und sie in ihr unternehmerisches Handeln integrieren, wo andere wegschauen.
 
Von Haus aus sind Sie Theologin. Ist der Weg von der Theologie zu nachhaltigem Wirtschaften ein kurzer?
Ja, selbstverständlich. Gerade bei den geostrategischen Diskussionen, die wir führen, geht es viel um Werte und das gemeinsame Ethos, das uns weltweit verbindet. Kein Mensch will ausgebeutet werden für den wirtschaftlichen Profit anderer im Irgendwo. Jeder Mensch möchte ein gutes Leben in einer intakten Umwelt führen. Nicht zuletzt ist die Oikonomia die Heilslehre von der Rettung des Menschen – und die Lehre der Haushaltsführung. Da kommen wir ganz schnell zu den Regeln und Gesetzen, wie wir das Haus, also unseren Planeten, bestellen. Das Nachhaltigkeitsprinzip, Ökosysteme nicht mehr zu belasten, als sie regenerierfähig sind, legt dafür eine gute Grundlage.
 
Welche Themen liegen Ihnen besonders am Herzen?  
Vor allem die Themen Berichterstattung, Sustainable Finance und Accounting und deren konstruktive Verknüpfung. Mich interessiert das Funktionieren der Märkte, wie sie strukturell nachhaltige Entwicklung verhindern oder mittels Anreizstrukturen entfesseln können. Das kann nachhaltige Beschaffung der öffentlichen Hand, aber auch von Unternehmen selbst sein. Das können die Koppelung der Gehälter im Management an die Erreichung von messbaren Nachhaltigkeitszielen sein oder Belohnungssysteme für innerbetrieblich gefundene Nachhaltigkeitslösungen.
 
Wo sind aus Ihrer Sicht weitere Herausforderungen?
Wir rechnen nicht ehrlich. Das sehen wir an Preisen, die noch nicht die ökologische und gesellschaftliche Wahrheit sprechen. Auch in Lageberichten wird nicht aufrichtig kommuniziert, was wir an den negativen Effekten unseres Wirtschaftens sehen, und was uns teilweise jetzt schon teuer zu stehen kommt. Aber als Risiko erscheint das in keiner Bilanz. Im parallel veröffentlichten Nachhaltigkeitsbericht klingt das dann ganz anders. Doch selbst dort werden Risiken oft negiert oder als nicht wesentlich für das Geschäftsmodell betrachtet. Nachhaltigkeit gehört in die Lageberichterstattung – dann verändert sich auch die Diskussion auf Hauptversammlungen und das öffentliche Bewusstsein zur wirtschaftlichen Tragweite in der Befassung oder Nicht-Befassung mit Nachhaltigkeitsthemen!
 
Wo sehen Sie die besonderen Potenziale einer Organisation wie B.A.U.M.?
B.A.U.M. trägt in sich eine Netzwerkstruktur – mit den Einzel- und Fördermitgliedern, dem wissenschaftlichen Kuratorium und dem Unternehmensbeirat. Ich gehe davon aus, dass es bei diesen vielen Kapazitäten einen ausgeprägten Gestaltungswillen gibt. Die Diversität bei den Mitgliedern ist beeindruckend groß, ebenso bei den Projekten sowie bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Geschäftsstelle. Diese Diversität stellt einen wertvollen Schatz dar.
 
Wie wollen Sie diese Potenziale heben?
Ich will das Netzwerk zum Vibrieren bringen, die Schwingungen aufnehmen und in den politischen Raum tragen. Drängende Inhalte, die sich für eine inhaltliche Auseinandersetzung und Positionierung anbieten, gib es zuhauf. Priorität haben konkrete knifflige Herausforderungen, die gelöst werden müssen, wie beispielsweise die Frage, was Klimaneutralität in betrieblicher Praxis eigentlich bedeutet und unter welchen Voraussetzungen man überhaupt von Klimaneutralität sprechen kann. Mit meinen beiden Vorstandskollegen Martin Oldeland und Dieter Brübach entwerfe ich eine Agenda der drängendsten Themen, mit denen sich B.A.U.M. inhaltlich befassen wird. Wir wollen unseren Mitgliedern ein besseres Umfeld verschaffen, wirkungsvolle Praxis ermöglichen und dafür sorgen, dass reale Nachhaltigkeitsleistungen für reale Wettbewerbsvorteile sorgen.
 
Welche Ziele haben Sie sich für die kommenden 12 Monate gesetzt?
Zunächst will ich Vertrauen schaffen. Es wird keine harten Brüche bei B.A.U.M. geben. Nichtsdestotrotz ist mein Plan, alles prüfend zu wägen – diese Freiheit nehme ich mir im Rahmen dieses Neuanfangs. Was sich als sehr gut erwiesen hat, setzen wir im Sinne der guten Praxis fort, was der Erneuerung bedarf, ändern wir. Ein Herzensanliegen, das der Transparenz, werde ich auch bei B.A.U.M. weiterverfolgen – gerne mit einer strategischen Berichterstattung von B.A.U.M. selbst als Organisation. Wir stellen uns der Frage: In welchem Ausmaß sind unsere betrieblichen Prozesse und Abläufe selbst nachhaltig? Im Sinne der transparenten Zivilgesellschaft möchte ich das gerne darstellen können.
Doch während wir eine Strategie mit dem Ziel der Ergebnispräsentation bis zur nächsten Mitgliederversammlung entwickeln und den Markenkern von B.A.U.M. herausarbeiten, steht der Politikbetrieb nicht still: Ich werde mich unvermindert den drängenden Themen, den vielfältigen Strukturveränderungen und Regulierungsinitiativen widmen – und sie für unsere Mitglieder zu übersetzen suchen.
 
Können Sie uns dazu ein Beispiel nennen?
Im kommenden Jahr wird die Taxonomie für nachhaltige Investments der EU-Kommission fertig. Da stellt sich die Frage: Wie lässt sich daraus eine Chance für Kapitalallokation unserer Mitglieder machen? Was bedeutet sie für Maximilian Geges Konzept eines Zukunfts- und Klimaplans?
Ich will zeigen, dass nachhaltiges Wirtschaften bei B.A.U.M. wirklich nachhaltiges und nicht nur nachhaltigeres Wirtschaften ist. Dass das auch im politischen Berlin, in Brüssel und weltweit wahrgenommen wird, sehe ich als meine Hauptaufgabe als Vorsitzende des Vorstands.
 
Welche konkreten Maßnahmen sind dazu geplant?
Wir werden neue, kreative Formate für den Austausch mit unseren Mitgliedern entwickeln, so dass wir mit ihnen in Resonanz gehen und öffentlich Resonanz erzeugen können. Der Digitalisierungsschub hat auch unsere Verbandsstrukturen sowie die der Mitglieder erfasst. Dieses Momentum möchte ich gerne nutzen, um Themen inhaltlich zu diskutieren und partizipative Strukturen aufzubauen. Mit dem Gemeinschaftsprojekt nachhaltig.digital von B.A.U.M. und der Deutschen Bundesstiftung Umwelt bereiten wir seit 2018 erfolgreich den Nutzen für den Mittelstand in der Verbindung beider Themen auf. Das etablieren wir nun auch im Verbandsalltag
 
Was wünschen Sie sich von den B.A.U.M.-Mitgliedern und Partnern?
Es ist kein Geheimnis, dass ich Transparenz für eine Voraussetzung für Glaubwürdigkeit halte. Sie eröffnet die Möglichkeit für Unternehmen, Prinzipien der nachhaltigen Entwicklung im Kerngeschäft zu verankern und als glaubwürdige Akteure in Erscheinung zu treten. Mir scheint, dass wir deshalb die Zahl berichtender Mitgliedsunternehmen erhöhen müssen, um den Maßstab für nachhaltiges Wirtschaften ein wenig höher zu legen. Was wir diskutieren wollen, sind ja die Leistungen und Wirkungen – und über die berichten auch viele Unternehmen, die keinem nachhaltigen Wirtschafts­verband angehören, mit ausgezeichneten Berichten. Unser Ziel ist, diejenigen zu gewinnen und zu unterstützen, die noch nicht berichten. Die Nachhaltigkeitsleistungen von B.A.U.M. und seinen Mitgliedern müssen substanziell belegbar sein – das geht nur mit relevanter Berichterstattung, mindestens nach dem Deutschen Nachhaltigkeitskodex. Möglicherweise lässt sich das mit dem B.A.U.M.-Kodex verknüpfen: Das wäre doch ein wunderbarer Synergieeffekt. In der Analyse der Wirtschaftsaktivitäten unserer Mitglieder, die mittels quantifizierbarer Nachhaltigkeitsleistungen dokumentiert sind, könnten wir gelebte Unternehmenspraxis jenseits der Betrachtung einzelner Best Practices diskursfähig aufbereiten.
 
Apropos Synergieeffekt: Mit wem und welchen Organisationen suchen Sie noch eine Zusammenarbeit?
Um Wirkungen nachhaltigen Wirtschaftens gut darstellen zu können, brauchen wir wissenschaftsbasierte Transformationsindikatoren, anhand derer wir unsere Leistungen überprüfen können. Den Austausch mit nachhaltigkeitsprofilierten Hochschulen halte ich für elementar, ebenso mit Finanzmarktakteuren. Maximilian Gege hat die Idee für einen Zukunfts- und Klimaplan entwickelt, der privates Geld für ein Post-Corona-Konjunkturprogramm organisieren will. Das können wir als e.V. nicht organisieren – aber in Kooperation mit Kommunen und Finanzmarktakteuren kann es gelingen!
 
Und privat: Wie lässt sich Ihre neue, herausfordernde Aufgabe mit Ihrem Privatleben vereinbaren?
Mal sehen. Ich vermute, wie bei allen Führungskräften in diesem zweiten Corona-Jahr 2021: mit klaren Strukturen und Prioritätensetzung.
 
Was sind Ihre drei größten persönlichen Wünsche an die Zukunft?
Ich wünsche mir, dass wir den Mut behalten, Fragen unverwandt zu formulieren und dabei Kontroversen auszuhalten und beherzt zu diskutieren. Mein zweiter Wunsch ist, dass wir mit vernetztem Denken gordische Knoten lösen, indem wir zum Beispiel früher als gedacht klimagerecht wirtschaften. Und last but not least: dass wir solche gemeinsamen Erfolge dann miteinander feiern.
 
Frau Zwick – wir danken für das Gespräch und wünschen Ihnen viel Erfolg und uns allen wertvolle Impulse für nachhaltiges Wirtschaften in Deutschland.
 
Yvonne Zwick studierte an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg katholische Theologie mit den Schwerpunkten Christliche Gesellschaftslehre und Theologie. Ab 2004 durchlief die Diplom-­Theologin verschiedene Positionen in der Geschäftsstelle des Rates für Nachhaltige Entwicklung. Zuletzt war sie dort Stellvertretende Generalsekretärin und Leiterin des Büro Deutscher Nachhaltigkeitskodex.

Quelle: BAUM e.V. - Netzwerk für nachhaltiges Wirtschaften

Wirtschaft | Branchen & Verbände, 01.03.2021
Dieser Artikel ist in forum 01/2021 - SOS – Rettet unsere Böden! erschienen.
     
        
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