Circular Economy: Wunsch der Verbraucher nach Nachhaltigkeit zwingt die Konsumgüterbranche zum Handeln
Digitale Technologien liefern den Unterbau und Transparenz
Klimawandel und Umweltverschmutzung erhöhen zunehmend den Druck auf Unternehmen, ihre Geschäftsmodelle zu hinterfragen. 77 % der jüngeren Kundengruppen geben an, Produkte boykottieren zu wollen, wenn diese der Umwelt Schaden zufügen. Damit Unternehmen Nachhaltigkeit und Wachstum miteinander vereinen können, ist ein radikales Umdenken nötig.
Der Ansatz, Müll zu eliminieren, indem Produkte und Materialien in einen Kreislauf der Wiederverwertung integriert werden, existiert schon seit Mitte der 1970er Jahre. Seit einiger Zeit hat er auch einen Namen: Circular Economy, zu deutsch Kreislaufwirtschaft. Dass es sich hierbei nicht um einen vorübergehenden Trend handelt, zeigt das über Jahre kontinuierlich steigende Interesse daran. Taucht man in die Nachhaltigkeitsstrategien weltweit beliebter Marken wie Adidas und IKEA ein, findet Circular Economy bereits so gut wie immer Erwähnung. Doch wie sieht es in der Praxis aus?
Erste Ansätze: Teilen und mieten statt kaufen
Ob Car-Sharing, Waschmaschinenvermietung oder der Verleih von Unterhaltungselektronik: Während die 2000er Jahre insbesondere durch Produktinnovationen glänzten, scheint nun das Zeitalter der Geschäftsmodellinnovation eingeleitet worden zu sein. So sind BMW und Daimler durch ShareNow nicht mehr einfach nur Automobilhersteller, sondern versuchen sich als digitale Dienstleister. Für die Kunden gestaltet sich dies besonders spannend, da Produkte, die eigentlich sehr teuer sind, nun kostengünstig und ohne viele Verpflichtungen genutzt werden können. Aus unternehmerischer Sicht sind solche Geschäftsmodelle ein erster Selbstversuch im Bereich Circular Economy. Auch wenn dies nicht immer direkt so vermarktet wird, erlauben Leih- bzw. Mietsangebote den Unternehmen die Lebensdauer der Produkte und deren Materialien zu verlängern. Dies ist möglich, da das Produkt in den meisten Fällen nach der Nutzung wieder in die Hände des Unternehmens gerät, wiederaufbereitet werden kann und somit nicht direkt im Müll landet.
Schnelllebige Konsumgüter sind unter Zugzwang
Dass sich diese Beispiele nicht einfach auf jede Industrie problemlos übertragen lassen zeigt die Konsumgüterbranche (FMCGs). Ihre Produkte – vom Softdrink bis zum Kaugummi - werden minutenschnell konsumiert, die Verpackungen danach entsorgt. Im branchenübergreifenden Vergleich wird das Problem deutlich: Die zehn größten Plastikmüllproduzenten sind allesamt schnelllebige Konsumgüterhersteller. Solange Verpackungen nicht natürlich kompostierbar sind und in biologische Kreisläufe integriert werden können (Cradle-to-Cradle), bieten digitale Geschäftsmodelle eine Lösung. Grund: digitale Technologien wie z.B. Blockchain, Internet-of-Things oder Big Data geben uns mehr Transparenz und ein besseres Verständnis dafür, wo Materialien herkommen und wie ein Produkt genutzt wird. Sowohl Materialqualität als auch Nutzerverhalten sind in einer Circular Economy essenziell, denn sie sind ein entscheidender Faktor hinsichtlich der Lebensdauer eines Produktes. In der Planung eines zirkulären Geschäftsmodelles sollte sich also jedes Unternehmen die Frage stellen, wie digitale Technologien einen Unterbau schaffen können, der relevante Informationen liefert. Einen Schritt in die richtige Richtung demonstriert die App Reciclaya. Gemeinsam mit der französischen Supermarktkette Carrefour hat Reciclaya sämtlichen Produkten eine digitale Identität gegeben, die dem Konsumenten durch einen einfachen Barcodescan erklärt, wie ein Produkt entsorgt werden sollte. Zwar liegt hier der Fokus auf effektivem Recycling, dennoch bildet die Datengrundlage von Reciclaya einen spannenden Ausgangspunkt für weitere Entwicklungen.
Unternehmen und Kunden müssen zusammenarbeiten
Fragt man sich, wie eine Interaktion mit dem Kunden in einer Circular Economy aussehen könnte, spielen digitale Technologien und Plattformen eine große Rolle. In einem zirkulären Geschäftsmodell, in dem es dem Kunden noch nicht ermöglicht werden kann, eigenständig Produkte in einen biologischen Kreislauf zurückzuführen, muss es ein engeres Zusammenspiel zwischen Unternehmen und Kunden geben, als es in einer Linearwirtschaft üblich ist. So gibt es beispielsweise lokale Abfüllmöglichkeiten, mit denen der Kunde Produkte wie Shampoo, Seife oder Waschmittel in einen speziellen Behälter abfüllen kann oder geliefert bekommt. Über eine digitale Plattform ist es möglich Kunden, Unternehmen, Handel und Lieferanten zusammenzubringen, um den gesamten Prozess möglichst simpel für den Kunden zu gestalten, und gleichzeitig Einsicht in das Nutzverhalten zu bekommen. Es zeigt sich, dass selbst wenn zirkuläre Geschäftsmodelle aus Kundensicht weniger komplex erscheinen, eine digitale Infrastruktur wichtig ist, um einen reibungslosen Ablauf zu garantieren und den Service durch einen Einblick in das Nutzverhalten stetig zu verbessern.
Fazit: Kleine Schritte einleiten und auf Digitalisierung bauen
Zirkularität wird in einigen Jahren nicht mehr aus unserer Gesellschaft wegzudenken sein. Nicht nur weil unsere Umwelt in einer Linearwirtschaft nicht lange weiter überleben kann, sondern auch weil es für Unternehmen ein zentraler Faktor sein wird die Relevanz ihrer Marke beizubehalten. Circular Economy fordert ein radikales Umdenken von unternehmerischen Prozessen und kann daher zu anfangs überwältigend erscheinen. Es ist daher ratsam, das Thema anfangs auf einzelne Produktkategorien zu beschränken und ein Team zu bilden welches sich abseits von bestehenden Prozessen dessen widmet. Kunden fordern keine radikale Veränderung von heute auf morgen, aber erwarten ehrliche Signale, dass ein Unternehmen eine Agenda hat und beginnt. Abhängig von Branche und Unternehmen müssen digitale Technologien als Hilfsmittel verstanden werden durch ein genaueres Verständnis von Produktion, Prozessen und Kundenverhalten, zu einem wirklich nachhaltigen Unternehmen zu werden.
Alexander Schindler ist Venture Architect Associate bei Pacemakers Digital
Ventures (PMDV), einem Corporate Venture Builder für größere Mittelständler
und Konzerne mit Sitz in Berlin und Hamburg. Sein Spezialgebiet ist die
Innovation nachhaltiger Geschäftsmodelle (Sustainable Business Model
Innovation). Vor seinem Start bei PMDV 2020 war der geborene Frankfurter u.a.
als Managing Director Europa bei einer brasilianischen Strategieberatung für
Nachhaltigkeitsthemen wie ESG (Environment, Social, Governance
Anlagekriterien) und Circular Economy tätig und beriet Kunden aus der
Konsumgüter- und Finanzbranche. Schindler besitzt einen Master in Disruptive
Innovation von der Hult International Business School in San Francisco.
Umwelt | Ressourcen, 24.03.2021
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