BIOFACH 2025

Schmerzhaftes Erwachen: Der Börsen- und Wirtschaftsabsturz steht bevor

Der aktuelle Kommentar von Christian Kreiß

Die Ausgangslage
Das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) des wohl bedeutendsten Börsenindexes der Welt, des S&P 500, in dem die 500 wichtigsten börsennotierten US-amerikanischen Aktien abgebildet werden, befindet sich momentan mit gut 44 auf dem höchsten Stand der Geschichte: Für die letzten etwa 150 Jahre betrug das KGV im Durchschnitt etwa 16, der Median lag bei ungefähr 15. Unter einem Wert von 10 gelten die Aktien als unterbewertet, über einem Wert von 20 bis 25 als überbewertet.

© Jörg Hertle, pixabay.comWas heißt „KGV 44"? Das heißt, dass die Aktien im Durchschnitt 44 Mal so viel kosten wie die ausgewiesenen Unternehmensgewinne der letzten zwölf Monate. Anders ausgedrückt: Pro Dollar Gewinn muss man an der Börse momentan 44 Dollar für eine Aktie zahlen, die Unternehmen würden also bei gleichbleibenden Gewinnen 44 Jahre brauchen, bis ein Dollar heute eingesetztes Kapital amortisiert wird. Das letzte Mal, als die Aktien ähnlich hoch bewertet waren wie heute – das war im Sommer 2000 –, folgte ein Börsenabsturz von gut 40 Prozent über die nächsten etwa zwei Jahre.

Die Aktien sind in den letzten Jahren viel schneller gestiegen als die Unternehmensgewinne. In den letzten drei Jahren sind die US-Unternehmensgewinne, abgesehen von einem kurzen Rückgang während der Lockdowns im ersten Halbjahr 2020, in etwa gleich hoch geblieben. Im selben Zeitraum ist der S&P 500 aber um über 50 Prozent gestiegen, das KGV hat sich in diesen drei Jahren um fast 80 Prozent erhöht. Deutlich steigende Aktienkurse bei gleichbleibenden Gewinnen sind ein Hinweis auf eine Aktienblase, auf heiße Luft bei den Bewertungen.

Das Vertrauen auf stetiges Wachstum
Was heißt „heiße Luft"? Wenn man als Anleger eine Aktie kauft, erwirbt man einen künftigen Zahlungsstrom, die künftigen Gewinne. Die erwartete Rendite auf die Anlage kommt aus Dividenden oder Kurssteigerungen. Für einen bestimmten künftigen Zahlungsstrom muss ich heute als Anleger aber beinahe drei Mal so viel bezahlen wie im Durchschnitt der letzten 150 Jahre. Trotzdem glauben meiner Einschätzung nach immer noch sehr viele Aktienanleger, dass die Rendite ähnlich sein wird wie in der Vergangenheit, sprich, dass die Kurse oder die Gewinne deutlich steigen werden. Das ist aber ein großer Irrtum, eine Illusion. Denn die Unternehmensgewinne belaufen sich derzeit auf etwa 10 Prozent vom US-Sozialprodukt und liegen damit auf einem historischen extrem hohen Wert, der kaum mehr nennenswert gesteigert werden kann.

Ich vermute, dass ein großer Teil der Inhaber von Aktiendepots in dieser Illusion lebt, der Illusion, dem Traum ständig weiter steigender Aktienkurse oder Dividenden. Wenn diese Illusion platzt, dann platzen auch die Aktienkurse.

Historisch hohe Preise für Wohnimmobilien
Ähnliches wie für den S&P 500 gilt auch für die Wohnimmobilienpreise in sehr vielen Industrieländern. Seit dem Platzen der letzten Immobilienblase 2007 sind die Haus- und Landpreise mittlerweile in den meisten Industrieländern wieder stark angestiegen und liegen heute nach Abzug der Inflationsrate meistens deutlich höher als 2007.

In Deutschland stiegen vom ersten Quartal 2010 bis zum vierten Quartal 2020 die Immobilienpreise um etwa 72 Prozent. Allerdings liegen die deutschen Hauspreise im internationalen Vergleich und vor allem gemessen am Einkommen der Menschen noch immer weit unter den Werten fast aller anderer Industrieländer.

Nach meiner Einschätzung wiegen sich viele Hauseigentümer in einer Illusion. Sie glauben an einen höheren Wert ihrer Immobilie, als ihr nach den ökonomischen Grunddaten eigentlich zukommt.

Das Zittern des Kartenhauses
Als am 12. Mai 2021 mit 4,2 Prozent überraschend hohe Inflationszahlen aus den USA gemeldet wurden, gab es ein kurzes Börsenzittern, weil im Markt eine Anhebung der Notenbankzinsen befürchtet wurde. Nachdem die US-Notenbank beteuert hatte, trotz der hohen Inflationsrate ihre Zinsen nicht anzuheben, erholte sich die Börse schnell wieder und die Party ging weiter. Diese kurze Episode zeigt aber gut, wie nervös die Aktienbörsen sind und wie sehr sie an den Niedrigzinsen der Notenbanken hängen. Eine signifikante Erhöhung der Leitzinsen dürfte die Börsen einbrechen lassen.

Der Hauptgrund dafür sind die historisch einzigartig hohen Schulden weltweit. Im Zuge der Corona-Lockdowns sind sie allein im Jahr 2020 von etwa 320 auf 360 Prozent der Weltwirtschaftskraft nach oben geschnellt. Wegen dieses riesigen Schuldenberges dürfte jede leichte Erhöhung der Notenbankzinsen schnell zu starken Kreditausfällen führen und dann die Börsen- und Immobilienpreise auf Talfahrt schicken.

Das Problem der Verschuldung
Aber nicht nur eine Zinserhöhung kann ein Erdbeben an den Finanzmärkten auslösen, sondern auch andere Schocks. Für die Stärke der Kursschwankungen (Volatilität) an den Börsen besonders interessant ist der Umfang der kreditfinanzierten Aktienkäufe an der Wall Street (sogenannte margin debt). Sie sind seit dem Ende des massiven, aber kurzen Lockdown-Börsencrashs im März 2020 um etwa 70 Prozent von rund 500 Milliarden auf 847 Milliarden Dollar im April 2021 und damit auf einen weiteren neuen Höchststand geklettert. Das heißt, derzeit werden etwa 847 Milliarden Dollar Aktienkäufe nicht mit eigenem, sondern mit Fremdkapital finanziert.

Diese margin debt verstärken sowohl die Aufwärts- als auch die Abwärtsbewegung und können daher einen einsetzenden Börsenabschwung leicht in einen Crash übergehen lassen. Alle drei größeren Börsenkorrekturen seit 2000 waren jeweils von einem starken Rückgang der margin debt begleitet, genauer gesagt: Die Rückforderungen der Kredite führten zu zusätzlichen Aktienverkäufen und beschleunigten dadurch den Abschwung.

Ein aktuelles Beispiel dazu von März 2021 ist Archegos. Ein einziger, vergleichsweise kleiner Investor hatte sich verspekuliert, dadurch die Aktienkurse von zwei Großbanken auf Talfahrt geschickt und sogar die Börsenkurse insgesamt belastet. Einer der Gründe dafür war, dass Archegos stark kreditfinanzierte Börsengeschäfte gemacht hatte. Was passiert erst, wenn einmal ein Großinvestor auf dem falschen Fuß erwischt wird?

Dazu kommt: Die weltweiten Schulden der Unternehmen (ohne Banken und Versicherungen) belaufen sich derzeit auf 84.600 Milliarden Dollar oder 101 Prozent des Weltsozialproduktes. Sehr viele Unternehmensschulden haben ein schlechtes Rating. Einige Unternehmen sind sogenannte Zombie-Unternehmen, die eigentlich schon längst pleite wären, wenn die Zinsen nicht seit 13 Jahren so extrem niedrig gewesen wären.

Ähnliches gilt für den Immobilienmarkt. Fast alle Immobilien werden mit hohen Krediten finanziert. Wenn einmal eine Abwärtsbewegung bei den Immobilienpreisen einsetzt wie 2007, fallen schnell viele Kredite aus und wie in einem Schneeballsystem kann sich der Abschwung leicht auswachsen zu einem Immobilien-Crash.

Was kommt?
Christian Kreiß erwartet ein schmerzhaftes Aufwachen.© privat
Das Aufwachen wird schmerzhaft werden, denn nach allen Gesetzen der Ökonomie muss eine Bereinigung kommen. In den letzten Jahrzehnten, vor allem aber seit den Lockdowns wurden zu viele Schecks auf die Zukunft gezogen. Wer wird die offenen Rechnungen bezahlen?

Ich sehe zwei Szenarien. Das erste ist Inflation. Möglicherweise gelingt es den USA und vielleicht sogar dem Euroraum, über ein Jahrzehnt hinweg eine kontrollierte Inflation von acht bis zwölf Prozent herbeizuführen. Damit könnten die Schulden auf ein erträgliches Maß reduziert werden. Die Last würden vor allem mittlere und kleinere Anleger tragen, die in Geld- und Schuldpapiere investiert haben, möglicherweise auch die Arbeitnehmer, wenn die Löhne nicht mit den Preisen Schritt halten. Gewinner wären alle Schuldner und alle, die Realvermögen besitzen.

Das zweite Szenario ist eine Börsen-, Schulden-, Banken-, Staats- und Wirtschaftskrise, also ein großer Crash. Das würde zusammenbrechende Märkte und ein Millionenheer von Arbeitslosen bedeuten. Wenn das auf uns zukommt, dürfte auch der Euro auseinanderbrechen. Ein Crash kann relativ leicht losgetreten werden. Ähnliches wie im September 2008, als eine Investmentbank – Lehman – in eine Schieflage geriet und den gesamten Markt mit nach unten riss, könnte diesmal auch wieder geschehen. In der derzeitigen überspannten, überbewerteten und nervösen Situation, in der mit großen Mengen von Schulden und riesigen Futures-Wetten operiert wird, kann leicht eine Abwärtslawine ausgelöst werden.

Christian Kreiß: Früher Investmentbanker, seit 2002 Professor für Finanzierung an der Hochschule Aalen und Autor zahlreicher Bücher. Als Mitglied des Kuratoriums von forum Nachhaltig Wirtschaften skizziert er Wege in eine menschlichere Wirtschaft. Sein 1919 erschienenes Buch „Das Mephisto-Prinzip" kann auf dieser Website heruntergeladen werden: www.menschengerechtewirtschaft.de 

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