Offener Brief an Parteispitzen von SPD, Grüne, FDP und CDU/CSU
Initiative des Deutschen Nachhaltigkeitsrates und 14 weiterer Beiräte und Beratungsgremien der Bundesregierung
"Die nächste Regierungskoalition hat eine historische Verantwortung für die richtige Weichenstellung zu einem nachhaltigen Leben und Wirtschaften. Für das Erreichen von Klimaneutralität bis 2045 müssen die Weichen in der kommenden Legislaturperiode richtig gestellt werden, hieran hängt der Erfolg der anstehenden Transformationen", erklärte Werner Schnappauf, Vorsitzender des Rates für Nachhaltige Entwicklung (RNE). "Das hat uns als Nachhaltigkeitsrat dazu bewogen, uns erstmals in dieser Form gemeinsam an die Spitzen der Parteien und Bundestagsfraktionen einer möglichen Regierungskoalition zu richten", so Schnappauf weiter.
Zu den Initiator*innen zählen neben dem RNE-Vorsitzenden Schnappauf und der stellvertretenden Vorsitzenden Imme Scholz außerdem
- Veronika Grimm, Monika Schnitzer, Achim Truger, Volker Wieland; Mitglieder, Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung
- Anna-Katharina Hornidge, Gesine Schwan; Co-Vorsitzende, Sustainable Development Solutions Network Germany
- Karen Pittel, Sabine Schlacke; Co-Vorsitzende, Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen
- Daniela Jacob, Mark Lawrence, Christa Liedtke; Co-Vorsitzende, Wissenschaftsplattform Nachhaltigkeit 2030
Weitere Unterstützer*innen sind:
- Marianne Beisheim, Manuel Fröhlich, Thilo Marauhn; Mitglieder, VN-politischer Beirat
- Bodo von Borries, Kira Vinke; Co-Vorsitzende, Beirat der Bundesregierung zivile Krisenprävention und Friedensförderung
- Andreas Löschel; Vorsitzender, Expertenkommission zum Monitoringprozess "Energie der Zukunft"
- Peter Kenning, Louisa Specht-Riemenschneider; Vorsitzender und stellv. Vorsitzende, Sachverständigenrat für Verbraucherfragen
- Ferdinand Gerlach, Petra Thürmann, Jonas Schreyögg; Vorsitzender und Mitglieder, Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen
- Ute Klammer; stellv. Vorsitzende, Sozialbeirat
- Karsten Löffler, Silke Stremlau; Vorsitzender und stellv. Vorsitzende, Sustainable-Finance-Beirat
- Klaus Schmidt; Vorsitzender, Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie
- Achim Spiller, Hiltrud Nieberg, Britta Renner; Vorsitzender und stellv. Vorsitzende, Wissenschaftlichen Beirat für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz
- Peter H. Feindt, Volkmar Wolters; Vorsitzender und stellv. Vorsitzender, Wissenschaftlicher Beirat für Biodiversität und Genetische Ressourcen
Hier der Offene Brief "Den Weg in eine nachhaltige Zukunft frei machen" im Wortlaut:
Sehr geehrte Damen und Herren,
Deutschland braucht jetzt eine mutige Politik und einen Aufbruch in Gesellschaft und Wirtschaft: Wir brauchen eine Strategie für den zügigen Übergang zu Klimaneutralität bei gleichzeitigem Erhalt unserer Wettbewerbsfähigkeit, im Einklang mit den planetaren Grenzen. Eine Strategie, die soziale Spaltungen vermeidet und überwindet, Demokratie und gesellschaftlichen Zusammenhalt stärkt sowie einen Beitrag leistet, die Zusammenarbeit in der Staatengemeinschaft auf das globale Gemeinwohl auszurichten.
Ohne eine grundlegende, weltweite Kurskorrektur in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft drohen eine Erderhitzung um mehr als drei Grad und ein dramatischer Verlust an Biodiversität und Lebensräumen, eine dauerhafte Gefährdung von Wohlstand und Entwicklungschancen in ärmeren wie reicheren Ländern und eine Zunahme gesellschaftlicher Zerreißproben mit ernsten Gefahren für Demokratie und Menschenrechte.
In dieser kritischen Situation wenden wir uns erstmals gemeinsam als Vorsitzende und Mitglieder unterschiedlicher, die Bundesregierung und den Bundestag beratender Gremien an Sie als die verantwortlichen Politikerinnen und Politiker, die einen neuen Koalitionsvertrag aushandeln und Deutschland in den zwanziger Jahren des 21. Jahrhunderts gestalten wollen.
Nach unserem Eindruck sind weite Teile von Wirtschaft und Gesellschaft in Deutschland bereit, die anstehenden Transformationen mit zu gestalten. Gleichzeitig haben sich viele Staaten weltweit auf Grundlage des Pariser Klimaübereinkommens zum Ziel der Klimaneutralität gegen Mitte des Jahrhunderts bekannt. Erforderlich sind nun klare Weichenstellungen durch die Politik, die im Einklang mit der UN-Nachhaltigkeitsagenda den ordnungspolitischen Rahmen auf den Klima- und Ressourcenschutz und die Erhaltung der Biodiversität ausrichten und die Klimapolitik global stärker in den Mittelpunkt rücken.
Kernelemente einer solchen zukunftsfähigen Entwicklung in Deutschland sind unter anderem:
- der zügige Ausbau der erneuerbaren Energien - vor allem Windkraft und Photovoltaik - als Basis für einen schnellen Ausstieg aus den fossilen Energieträgern,
- ein umfangreicher und zügiger Infrastrukturausbau für die Energiewende sowie eine klimafreundliche Mobilität,
- der Einstieg in eine Wasserstoff-Ökonomie,
- ein effektiver Schutz der biologischen Vielfalt und damit auch der unverzichtbaren Ökosystemleistungen für Gesellschaft und Wirtschaft sowie eine konsequente Reduzierung des Flächenverbrauchs,
- der Aufbau von Kooperationen für den globalen Handel erneuerbarer Energien sowie von Technologiekooperationen weltweit,
- der Aufbau einer klimaneutralen und 'ressourcenleichten' zirkulären Ökonomie, in der Wiederverwendbarkeit und Langlebigkeit von Beginn an mitgedacht werden,
- eine Verkehrswende, die emissionsarme Antriebe mit neuen Mobilitäts¬konzepten und dem Ausbau der öffentlichen Verkehre verbindet, um attraktive Angebote für Bürgerinnen und Bürger in Stadt und Land zu machen, und
- Transformation der Agrar- und Ernährungssysteme, die die Kernempfehlungen der Zukunftskommission Landwirtschaft aufgreift.
Insgesamt müssen Anstrengungen unternommen werden, um eine sozial gerechte Verteilung der Nutzen und Lasten aus den Transformationsfolgen zu erreichen (z.B. über eine deutliche finanzielle Entlastung der Verbraucherinnen und Verbraucher durch Senkung der Abgaben und Umlagen beim Strompreis) und negative Folgewirkungen unseres Handelns auf globaler Ebene zu vermeiden.
Jede dieser Transformationen ist für sich genommen bereits eine hochkomplexe Aufgabe. Zusammengenommen werden sie in ihren Interdependenzen die Wandlungs- und Reformfähigkeit der Gesellschaft auf eine große Probe stellen, es ergeben sich aber auch große Chancen für eine lebenswerte Umwelt und Gesell¬schaft sowie menschliche Gesundheit. Klar ist aber auch: Ohne substanzielle nationale und globale Anstrengungen wird der aktuelle Entwicklungspfad die planetaren Grenzen überschreiten.
Daher brauchen wir auch eine Ausrichtung der auswärtigen Politiken und der internationalen Zusammenarbeit Deutschlands an den Zielen der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen und des Pariser Klimaübereinkommens sowie internationale strategische Partnerschaften auf Augenhöhe.
Notwendig ist aus unserer Sicht eine zielorientierte Nutzung verschiedener "Hebel". Dazu gehören für uns vor allem die konsequente Ausrichtung des Systems der Steuern und Abgaben auf den Klima- und Umweltschutz, der vollständige Abbau von Subventionen für fossile Energieträger und die Schaffung eines exzellenten Umfelds für technologische und soziale Innovationen. Weiteren auf eine nachhaltige Zukunft ausgerichteten Digitalisierungsschritten kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. Um privates Kapital für die Transformation zu mobilisieren, ist die Ausrichtung der Regeln für marktwirtschaftliche Preisgestaltung an den ökologischen und sozialen Folgekosten unerlässlich. Dazu gehört auch eine Stärkung des Emissionshandels und seine sektorübergreifende Verankerung auf europäischer Ebene. Zudem muss die Nachhaltigkeitsberichterstattung ausgebaut und stärker vergleichbar werden, auch mit Blick auf die Bereitstellung geeigneter Verbraucherinformationen.
Darüber hinaus halten wir es für erforderlich, die Arbeitsweise der Bundesregierung sowie der Verwaltung an die dargestellten Herausforderungen anzupassen. Wir empfehlen dazu den Ausbau der ressortübergreifenden Kooperation in Schlüsselbereichen nachhaltiger Zukunftsgestaltung, u.a. über eine Stärkung der Steuerungsfunktion des Bundeskanzleramts sowie eine Verwaltungsmodernisierung mit schlagkräftigen und strategiefähigen Strukturen in den Ministerien. Zudem brauchen wir beschleunigte Planungs- und Umsetzungsprozesse auf allen Ebenen, z.B. durch effizientere und stärker digitalisierte Prozesse, durch eine bessere Personalausstattung in allen relevanten Behörden und Gerichten sowie durch eine Reform des Planungsrechts.
Das Bundesverfassungsgericht hat der Politik und insbesondere dem Gesetzgeber aufgetragen, die Freiheit gegenwärtiger und künftiger Generationen auch angesichts der Folgen des Klimawandels zu gewährleisten und gerecht auszubalancieren. Wir appellieren an Sie, nachhaltige Entwicklung zum prägenden und strukturierenden Leitmotiv der neuen Legislaturperiode zu machen und die notwendigen Veränderungen mit Mut anzugehen.
Der gesamte Brief mit Hinweisen auf aktuelle Stellungnahmen der beteiligten Gremien und Beiräte ist hier abrufbar.
Gesellschaft | Politik, 18.10.2021
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