Wie ist es möglich, dass uns das Pflegepersonal ausgeht?
Christoph Quarch hält es für einen Skandal, dass jeder Controller in einer Klinik mehr verdient als eine Krankenpflegerin.
Die Hilferufe aus den Krankenhäusern werden lauter. Um Intensivbetten freizuhalten, werden planbare Operationen verschoben. An Hotspots werden Patienten in andere Bundesländer verlegt, weil keine Intensivbetten mehr vorhanden sind. Das müsste aber nicht so sein, wenn man dem Heidelberger Medizinhistoriker Christian Sammer Glauben schenkt. Die Betten seien in der Regel da, sagt er, aber es fehle am nötigen Personal. Die Klinik-Engpässe sind so gesehen – zumindest auch – ein Personalproblem; und zwar eines, das immer größer wird, da inzwischen ein Drittel der Beschäftigten an Kündigung denke. Wie kann das sein? Wie ist es möglich, dass uns das Pflegepersonal ausgeht? Darüber reden wir mit unserem Philosophen Christoph Quarch.
Herr Quarch, ist der Pflegenotstand im Krankenhaus das Symptom für ein gesellschaftliches Problem?

Unbedingt. Und deshalb bin ich Herrn Sammer sehr dankbar, dass er das Thema öffentlich angesprochen hat. Denn in der öffentlichen Kommunikation – etwa in den Statements von Ärzte-Chef Montgomery – entsteht ja der Eindruck, schuld an den Engpässen seien entweder laxe Politiker oder fahrlässige Patienten – vor allem Ungeimpfte. Was natürlich nicht falsch ist, aber eben auch nicht die ganze Wahrheit, die bedauerlicher Weise darin besteht, dass die Privatisierung und Ökonomisierung des Gesundheitswesens zu der Schieflage geführt hat, in Deutschland die meisten Intensivplätze pro Einwohner zu haben, aber nicht genügend Menschen zu beschäftigen, die sie bedienen können. Dass wir in bald zwei Jahren Pandemie dieses Problem nicht lösen konnten, ist schockierend.
Mag sein, aber trotzdem: Gäbe es mehr Geimpfte hätten wir das Problem nicht.
Das Problem wäre nur weniger sichtbar. Es wäre auch naiv zu glauben, es durch eine Impfplicht lösen zu können. Man würde die Lösung auf diese Weise nur bis zur nächsten Pandemie oder Katastrophe vertagen. Und die Missstände im Gesundheitswesen würden fortbestehen. Es ist ein Skandal, dass jeder Controller in einer Klinik mehr verdient als eine Krankenpflegerin. Es ist ein Skandal, dass Aktionäre und Investoren von medizinischen Einrichtungen Rendite machen, während Ärzte und Krankenschwestern auf dem Zahnfleisch gehen. Es ist ein Skandal, wenn derzeit wegen Personalnot mehr Intensivbetten ungenutzt sind als es Intubationspatienten gibt. Da liegt ein Problem, das die neue Regierung angehen muss. Und natürlich wäre es gut, wenn in der Zwischenzeit möglichst viele geimpft wären.
Die Privatisierung der Krankenhäuser wurde aber doch nur betrieben, weil die von öffentlichen Trägern betriebenen Kliniken unprofitabel arbeiteten.
Ja, aber die Frage ist, ob Krankenhäuser wirtschaftlich betrieben werden müssen, oder ob ein reiches Land wie unseres nicht in der Lage sein müsste, sich die medizinische Versorgung etwas kosten zu lassen. Mir ist klar, dass die Kosten für Intensivmedizin explodiert sind und dass die Kassen am Limit sind. Aber trotzdem. Die Pandemie zeigt, dass die Gesundheit in unserer Gesellschaft de facto zum höchsten Wert avanciert ist. Man muss das nicht gut heißen – ich tue es nicht – aber so ist es. Was den höchsten Wert hat, hat – das ist ein einfaches Prinzip der Ökonomie – auch den höchsten Preis. Aber den sind wir nicht bereit zu zahlen. Wir sind eine Gesellschaft, die Milliarden für Automobilität investiert, aber das Gesundheitswesen kaputtspart; und selbst dann noch die Schuld bei anderen sucht, wenn es kollabiert. Das ist schizophren.
Was wollen Sie machen: das Gesundheitswesen verstaatlichen? Für diese Idee werden sie nicht viel Unterstützer finden.
Das ist mir klar. Man wird das Problem auf diese Weise nicht lösen. Denn hinter der Ökonomisierung des Gesundheitswesens steht ein noch größeres Thema. Ich nenne es: die kollektive Psychopathologie der Selbstbezüglichkeit – oder auch Egozentrik. Es liegt ja nicht nur an der schlechten Bezahlung, dass es in den Kliniken an Personal fehlt. Es liegt auch an dem fehlenden Willen vieler Menschen, einen Beruf zu ergreifen, der per se eines Stück Hingabe, Altruismus und Opferbereitschaft verlangt. Vor allem fehlt es an der Einsicht, dass solche Berufe viel mehr Erfüllung schenken, als irgendwelche Controller-Jobs mit perfekter Work-Life-Balance. Was uns fehlt sind Gemeinsinn, Solidaritätsbewusstsein und der Mut, die eigenen Interessen hintan zu stellen. Solange dieser Mangel herrscht, werden wir weder mit der Covid-Krise klar kommen noch mit allen anderen Herausforderungen der Zukunft.

In seinem neuen Buch "Begeistern! Wie Unternehmen über sich hinauswachsen" geht's um Fragen wie diese:
Wie kommt der Geist in unsere Unternehmen? – Durch Begeisterung! Und wie entsteht Begeisterung? Anders als die meisten glauben.
Als forum-Redakteur zeichnete Christoph Quarch verantwortlich für den Sonderteil „WIR - Menschen im Wandel".
Wirtschaft | Branchen & Verbände, 06.12.2021

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