Scheitert die Klimaneutralität am Personalmangel?
Das Handwerk muss attraktiver werden
Der Handlungsdruck in Sachen Klimaschutz ist enorm. In einer Situation, in der der Ausbau erneuerbarer Energien und die Nutzung von Energieeinsparpotenzialen energisch vorangetrieben werden müssen, fehlt es an den nötigen Fachkräften. Es braucht jetzt eine massive Offensive für Berufe im Klima- und Umweltschutz.
Klimawandel und Klimaneutralität sind nicht nur Schlagwörter, sondern ein elementarer Teil eines notwendigen Transformationsprozesses. Wir spüren u.a. den Klimawandel und seine vielfältigen Folgen und wachsenden Schäden immer mehr, auch bei uns vor der eigenen Haustür. Dabei sind es nicht nur die Sachschäden, sondern auch Verluste an Menschenleben sowie klimabedingte Gesundheitsrisiken, die zunehmen.
Klimaneutralität ist auch ein politisches Thema, von der internationalen Ebene heruntergebrochen auf die nationalen Ebenen mit entsprechenden Umsetzungszielen. Im Koalitionsvertrag der Bundesregierung für die Legislaturperiode ab 2021 steht das Jahr 2045 als Ziel der Klimaneutralität, auch mit Hinweis auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2021. Es ist dort auch zu lesen, dass auf dem Weg zur Klimaneutralität alle Sektoren ihren Beitrag zum Erreichen der Klimaziele leisten müssen. Der Druck ist also groß, und die Herausforderungen sind ebenso groß wie vielfältig. Bei den Sustainable Developement Goals (SDGs) der Vereinten Nationen, die auch das Thema Klima beinhalten (SDG 13), haben wir von 2021-2030 die „Dekade des Handelns", zu der UN-Generalsekretär António Guterres aufgerufen hat. In dieser befinden wir uns jetzt, aber: Wie stark ist denn unser Handeln? Wie sieht der Masterplan inklusive klarer Verpflichtungen und Sanktionsmöglichkeiten aus? Und gibt es echte Sanktionsmöglichkeiten?
Haben wir noch zeitlichen Spielraum?
Der IPCC-Bericht spricht eine sehr deutliche Sprache: Das 1,5-Grad-Ziel scheint realistisch kaum noch erreichbar, wenn wir nicht sehr deutlich die Umsetzung von Maßnahmen intensivieren und deren Tempo erhöhen. Der Weg zur Klimaneutralität ist keine Wunschvorstellung mehr, sondern bezogen auf die Wirtschaft mittlerweile notwendiger Teil einer Unternehmensstrategie. Die uns verbleibende Menge an CO2, die wir noch emittieren dürften, ist im Jahr 2047 aufgebraucht.
Mit Glasgow 2021, der COP26, liegt ein weiterer Weltklimagipfel hinter uns: Wieder einmal eine große Show mit Kompromissen und Versprechen, aber ohne wirkliche Lösungen und die notwendigen großen Schritte voran für eine echte Zukunftssicherung. Zudem diskutiert die EU im Herbst 2021 ernsthaft, ob Atomkraft und fossiles Gas im Rahmen der EU-Taxonomie als „grüne" Technologie eingestuft werden sollen. Damit wird das Instrument EU-Taxonomie eigentlich unbrauchbar und unglaubwürdig. Das große Projekt des EU-Green-Deal wird ebenso Schaden nehmen. Wird die neue Bundesregierung einen Durchbruch beim Thema Klima schaffen oder sind die Unterschiede der Ampel-Partner und die notwendigen Rücksichtsnahmen zu groß?
Wegen der bekannten und nicht zu widerlegenden Probleme und Risiken bei der Atomkraft sollten wir nicht über deren Renaissance nachdenken, sondern mit Vollgas den Ausbau der erneuerbaren Energien vorantreiben. Gleichzeitig müssen wir die immer noch enorm großen und wirtschaftlich interessanten Energieeinsparpotenziale nutzen. Beides, der Ausbau von erneuerbaren Energien und die Nutzung von Energieeinsparpotenzialen, schafft positive wirtschaftliche Effekte und trägt zur Sicherung bestehender bzw. Schaffung neuer Arbeitsplätze bei. Und damit sind wir dann schon beim Thema Personal und Klima.
Fokus Gebäudesanierung
Schauen wir einmal auf den sehr bedeutsamen Bereich der energetischen Gebäudesanierung: Gebäude stehen für rund 30 Prozent der CO2-Emissionen. Um die international vereinbarten Klimaziele einzuhalten, strebt die deutsche Politik u.a. einen klimaneutralen Gebäudebestand bis zum Jahr 2050 an. 2020 hatten wir ca. 19 Mio. Wohngebäude in Deutschland (Quelle: statista). Allein bei den Heizsystemen sind 30 Prozent zwischen 11 und 20 Jahren, 12 Prozent bereits zwischen 21 und 30 Jahren und 5 Prozent sogar schon über 30 Jahre alt (Quelle: Thermondo). Weitere Potenziale liegen z.B. in der Optimierung der Wärmedämmung in den Gebäuden.
Dies sind alles Investitionen, die zum größten Teil eine sehr lange Einsatzzeit haben: Wenn heute ein Heizsystem ausgetauscht wird, wird diese Anlage voraussichtlich in den nächsten 20 Jahren nicht mehr angefasst. Sie wird also 20 Jahre lang keine neuen Beiträge zur Klimaneutralität leisten, sondern nur den Stand von heute fortschreiben. Daher müssen wir schon heute mit den verfügbaren Technologien und Materialien ein Maximum an CO2-Einsparungen erreichen, wenn wir 2045 klimaneutral sein wollen. Unsere heutigen Investitionsentscheidungen spielen eine sehr gewichtige Rolle beim Thema Klimaneutralität 2045. Die Sanierungsquote muss nach breiter Expertenmeinung auf 3 Prozent und mehr klettern. Gefordert wird dies seit vielen Jahren, aber die Realität sieht immer noch anders aus: Derzeit liegt die Sanierungsquote eher bei 1 Prozent.
Problemfeld Personalmangel
Die angesprochenen notwendigen Modernisierungsmaßnahmen benötigen neben Technik und verfügbaren Materialien auch personelle Ressourcen. Hauseigentümer:innen benötigen z.B. Energieberatungen und ausführendes Handwerk. Beides ist derzeit aber vielfach Mangelware. Es fehlt Personal auf allen Ebenen: in den Genehmigungsbehörden, bei den Energie- bzw. Gebäudeenergieberater:innen und vor allem auch beim ausführenden Handwerk.
Auch der demografische Faktor schlägt erbarmungslos zu. Die Gesellschaft wird älter. Altgesellen im Handwerk gehen in den Ruhestand, Nachwuchs fehlt. „Man muss ehrlich sein, wir haben eben ein demographisches Problem, es kommen immer weniger junge Menschen nach, wir haben eine zunehmende Anzahl von Schulabbrechern, die dann eben auch keine Lehre machen können oder nicht so leicht eine Lehre machen können, das kommt hinzu. Wer den Handwerkermangel bekämpfen will, muss bei der Schulbildung anfangen", so Marcel Fratzscher, Präsident des DIW Berlin.
Wer soll also die vielen Arbeiten erledigen, die für die Erreichung der Klimaneutralität notwendig sind? Die Energiewende in Gebäuden erfordert bis zu 130.000 zusätzliche Arbeitskräfte. Allein in den SHK-Branchen (Sanitär, Heizung, Klima) werden zusätzlich bis zu 20.000 Beschäftigte benötigt. Dem SHK-Handwerk gehen aber die Fachkräfte aus und zu allem Überfluss halten viele Jugendliche eine Ausbildung im Handwerk für nicht sehr attraktiv. „Wenn wir nicht genügend Handwerksbetriebe und Fachkräfte haben, die das umsetzen, was wir in der Politik beschließen, dann wird jedes Ziel, das wir uns vorgenommen haben, nicht erreichbar sein", stellte auch Thomas Bareiß fest, bis 2021 Parlamentarischer Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium. Alle weiteren neuen rechtlichen Regelungen für mehr Klimaschutz und Energieeinsparung sowie immer mehr zur Verfügung gestellte Fördermittel z.B. über die KfW nützen nichts, wenn – überspitzt gesagt – keiner die Mittel abfordern und abarbeiten kann.
Die Jugend geht nicht nur berechtigterweise mit „Fridays for Future" auf die Straße und fordert mehr Aktivitäten und Geschwindigkeit bei der Bekämpfung des Klimawandels. Sie wird sich auch Gedanken machen müssen über den eigenen weiteren Weg. Es geht um Berufswünsche und Berufschancen, um Möglichkeiten, durch die Wahl eines Berufs selbst aktiv etwas für mehr Klimaschutz und Zukunftsfähigkeit zu tun. Das Feld interessanter und auch attraktiver Berufsfelder im Bereich Klima- und Umweltschutz ist groß und äußerst zukunftsfest. Hier nur ein paar Beispiele:
- Anlagenmechaniker:in für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik
- Elektroniker:in – Fachrichtung Energie- und Gebäudetechnik
- Solarteur:in/Techniker:in Windenergietechnik
- Energieberater:in
- Gebäudeenergieberater:in
- Umweltschutztechniker:in
Zukunft in die Hand nehmen
Das Thema Personalmangel bzw. die Suche nach Nachwuchs kann auch intelligent gestaltet werden. Hierzu ein interessantes Beispiel des SHK-Meisterbetriebs Kohl Wasser + Wärme aus Bobingen. Durch attraktive Weiterbildungen, faire Arbeitszeiten und eine leistungsgerechte Bezahlung sichert sich das Unternehmen die benötigten Fachkräfte. „Immer mehr junge Leute denken, dass sie studieren müssen, um etwas aus ihrem Leben zu machen. Wir zeigen ihnen, dass das auch im SHK-Handwerk geht, geben ihnen Freiheiten, Verantwortung, Aufstiegschancen. Und das bei Arbeitszeiten, von denen zum Beispiel ein Marketingmanager bei vergleichbarer Bezahlung wie einer unserer Meister nur träumen kann", so Geschäftsführer Albert Kohl.
Es ist notwendig, über die bisherigen Maßnahmen hinaus mehr zu tun, um die Attraktivität des Handwerks zu steigern und die Entwicklungschancen in den Berufen darzustellen. Hier sind viele Akteur:innen gefordert, nicht nur das Handwerk selbst.
Scheitern ist keine Option
Wir dürfen die Klimaneutralität nicht durch fehlendes Personal scheitern lassen! Es braucht jetzt eine massive Offensive für Berufe im Klima- und Umweltschutz, denn es dauert selbstverständlich Jahre, bis aus Ausbildung, Umschulungen oder Weiterbildungen die Zahl an Fachkräften hervorgeht, die benötigt wird. Wir müssen dabei auch die Abgänge durch Ruhestand oder aus anderen Gründen überkompensieren. Es gibt viel interessante Arbeit und Arbeitsplätze im Zusammenhang mit Umwelt- und Klimaschutz. Wir müssen sie attraktiver machen und auch das Ansehen der Berufe steigern.
Martin Oldeland ist stellvertretender Vorsitzender von B.A.U.M. Er arbeitet u.a. zu denThemen Energiewende und Klimaschutz sowie Corporate Social Responsibility (CSR).
Quelle: BAUM e.V. - Netzwerk für nachhaltiges Wirtschaften
Umwelt | Klima, 30.01.2022
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