Bach und das IOC haben sich vollends verrannt - der olympische Geist ist tot!
Christoph Quarch votiert dafür, die Olympischen Spiele einzustellen
Nun geht es also los. Heute beginnen die 24. Olympischen Winterspiele in Peking – obwohl die Covid-Zahlen in der Volksrepublik China steigen und immer mehr Infektionen aus der abgeschirmten Sphäre der Athleten vermeldet werden; und obwohl im Vorfeld heftig über einer Boykott der Spiele diskutiert wurde. Tatsächlich hat die US-Regierung einen diplomatischen Boykott verhängt. Auch Bundesaußenministerin Annalena Baerbock hat schon vor Wochen angekündigt, aus persönlichen Gründen nicht nach Peking reisen zu wollen. Das alles stört die politische Führung in China offenbar wenig. Staatspräsident Xi Jinping zeigt sich entschlossen, die Spiele als Propaganda-Instrument zu nutzen. Angesichts dessen fragt man sich manchmal, was eigentlich von der olympischen Idee übrig geblieben ist. Darüber sprechen wir mit unserem Philosophen Christoph Quarch.
Herr Quarch, was ist eigentlich dieser vielberufene „Olympische Spirit"?
Dafür muss ich weit ausholen zu den olympischen Spielen der Antike. Sie wurden seit dem frühen 8. Jahrhundert v.Chr. alle vier Jahre im Heiligtum von Olympia im Westen der Peloponnes ausgetragen. Die Teilnehmer kamen aus allen Teilen der griechisch sprechenden Welt. Später wurden auch die Römer zugelassen. Wichtig ist, dass die Spiele ursprünglich eine Kultfeier zu Ehren des Zeus waren, des wichtigsten Gottes der Hellenen. Entsprechend ging es bei den Wettkämpfen auch nicht primär darum, wer am schnellsten laufen und am weitesten springen kann, sondern welcher Athlet am ehesten die Kraft und Stärke des Gottes manifestiert – weshalb auch nur Männer zugelassen waren. Dieser religiöse Kontext existiert heute überhaupt nicht mehr. So gesehen haben die Spiele mit dem ursprünglichen olympischen Spirit nichts mehr zu tun.
Das war aber doch auch schon so, als Pierre de Coubertin am Ende des 19. Jahrhunderts die Idee publik machte, neuzeitliche Olympische Spiele einzuführen. Dabei rückte er die Ideen der Völkerverständigung und des Friedens ins Zentrum der Spiele.
So ist es. Wobei ich als Fan der alten Griechen erwähnen möchte, dass diese Ideen schon in der Antike eine wichtige Rolle spielten. Nicht nur in Olympia, sondern auch bei den drei anderen panhellenischen Spielen, die in den Zwischenjahren stattfanden, galt das Gebot, drei Monate vor und drei Monate nach dem Spektakel alle kriegerischen Auseinandersetzungen ruhen zu lassen, damit Zuschauer und Athleten unbeschadet an- und abreisen können. Erstaunlicherweise hielt man sich daran. Das ist heute anders. Die olympische Idee von Frieden und Völkerverständigung wird zwar in den Statements des IOC oder der chinesischen Propaganda noch erwähnt, aber das hindert so gut wie niemanden daran, die Spiele in einem Land abzuhalten, das unverhohlen die Rückeroberung Taiwans anstrebt und die Menschenrechte mit Füßen tritt.
Naja, ganz ohne Kritik ist es ja im Vorfeld nicht gegangen. Um ein Zeichen gegen die chinesischen Menschenrechtsverletzungen zu setzen, haben neben den USA sich auch Großbritannien, Australien, Neuseeland, Kanada, Japan und die baltischen Staaten dem diplomatischen Boykott angeschlossen.
Ja, aber das ist reine Symbolpolitik. In gewisser Weise ist das auch verständlich, denn es wäre – wie die Politik betont – ja wirklich ein schwerer Schlag für die Sportlerinnen und Sportler, wenn sie aus politischen Gründen nicht bei Olympia antreten dürften. Trotzdem muss gefragt werden, welchen Sinn diese Spiele eigentlich noch haben, wenn sie so dermaßen von ihrem geistigen Zentrum entkernt werden. Für mich ist jedenfalls keinerlei Unterschied mehr zu Weltmeisterschaften oder anderen internationalen Wettkämpfen erkennbar. Meiner Ansicht nach hat das IOC die Spiele zu einer lukrativen Ware konvertiert, die meistbietend verschachert wird. Dabei ist es Leuten wie dem IOC-Präsident Thomas Bach völlig schnuppe, ob der Käufer eine Unrechtsstaat ist oder nicht.
Bach selbst sieht sich als Anwalt der Athleten.
Tut er, aber ich sehe ihn als Totengräber der Spiele. Gut, der olympische Geist – und jetzt rede ich vom neuzeitlichen – wurde schon vorher verraten. Aber Bach hat ihn pervertiert, wenn er jede Kritik an sich abprallen lässt und sich als Speichellecker der chinesischen Führung hervortut. Ich denke, er und das IOC haben sich vollends verrannt. Der olympische Geist ist tot. Ich votiere deshalb dafür, die Spiele einzustellen. Den Namen „olympisch" haben sie jedenfalls nicht mehr verdient. Was schade ist, weil die olympische Idee an Wahrheit und Bedeutung überhaupt nichts verloren hat. Aber ehrlicher als sie fortwährend zu missachten und zu missbrauchen, wäre es, ganz darauf zu verzichten. Für die Athleten wäre der Schaden nicht so groß – zumal vom alten olympischen Zauber in der keimfreien Anti-Covid-Blase von Peking dem Vernehmen nach eh nichts mehr zu spüren ist.
Der Bestseller-Autor Christoph Quarch ist Philosoph aus Leidenschaft. Seit ihm als junger Mann ein Büchlein mit »Platons Meisterdialogen« in die Hand fiel, beseelt ihn eine glühende Liebe (philia) zur Weisheit (sophia), die er als Weg zu einem erfüllten und lebendigen Leben versteht. Als Autor, Publizist, Berater und Seminarleiter greift er auf die großen Werke der abendländischen Philosophen zurück, um diese in eine zeitgemäße Lebenskunst und Weltdeutung zu übersetzen."
In seinem neuen Buch "Begeistern! Wie Unternehmen über sich hinauswachsen" geht's um Fragen wie diese:
Wie kommt der Geist in unsere Unternehmen? – Durch Begeisterung! Und wie entsteht Begeisterung? Anders als die meisten glauben.
Als forum-Redakteur zeichnete Christoph Quarch verantwortlich für den Sonderteil „WIR - Menschen im Wandel".
Lifestyle | Sport & Freizeit, Reisen, 03.02.2022
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