Was ist falsch daran, auf eine diplomatische Lösung zu pochen?
Christoph Quarch hält den Shit-Storm, der gerade über Gerhard Schröder einbricht für übertrieben.
Während Olaf Scholz und Annalena Baerbock nach diplomatischen Auswegen aus der Ukraine-Krise fahnden, tut sich für die Bundesregierung eine heikle Heimatfront auf: Gerhard Schröder. Der Ex-Bundeskanzler ist zuletzt immer mehr ins Fadenkreuz der Kritik geraten, nachdem er in einem Podcast der Ukraine „Säbelrasseln" vorgeworfen und Verständnis für die russische Position geäußert hatte. Journalisten und Politiker aller Parteien – auch aus den Reihen der SPD – warfen dem Altkanzler daraufhin vor, die westliche Solidarität mit der Ukraine zu untergraben und die Position der NATO zu schwächen. CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen ging sogar so weit, Schröder als „bezahlten Handlanger Putins" zu bezeichnen. Andere werfen Schröder vor, dass er als Top-Manager der Staatskonzerne Nord Stream 2 und Rozneft prächtig verdient. Wie soll man umgehen mit einem Ex-Kanzler, der in einer Konfliktsituation strittige Positionen vertritt.
Fragen wir den Philosophen: Herr Quarch, hat Schröder die Würde seines ehemaligen Amtes verletzt?
Ehrlich gesagt halte ich den Shit-Storm, der jetzt über Schröder hereinbricht, für übertrieben. Der Mann hat öffentlich seinen Standpunkt in der Ukraine-Krise vertreten. Und – ehrlich gesagt – ist dieser Standpunkt nicht komplett abwegig. Ich meine: Was ist falsch daran, auf eine diplomatische Lösung zu pochen? Ist es abwegig zu behaupten, es bräuchte für Europa eine Lösung, bei die Sicherheitsinteressen beider Seiten Berücksichtigung finden? Und ist es nicht erlaubt, die Rhetorik ukrainischer Top-Politiker zu kritisieren? Mich beunruhigt, mit welcher Vehemenz Unionspolitiker und Kommentatoren über den Ex-Kanzler herfallen. Und ich frage mich, ob deren Nerven in Sachen Ukraine schon so blank liegen, dass sie keine andere Meinung als die ihre mehr zulassen?
Aber Herr Quarch: Gerhard Schröder ist nicht irgendjemand. Er ist der Ex-Kanzler der Bundesrepublik, bezieht einen sogenannten Ehrensold und andere Annehmlichkeiten aus der Staatskasse. Zugleich bezieht er Managergehälter aus Russland. Kann man da nicht erwarten, dass er sich in einem heißen Konflikt mehr zurückhält?
Wahrscheinlich wäre das politisch klüger. Andererseits steht nirgends geschrieben, dass ein Ex-Kanzler nicht eine kontroverse Meinung vertreten dürfe; ebenso wenig, dass er nicht für ausländische Unternehmen tätig sein darf. Natürlich macht er sich damit extrem angreifbar und setzt sich dem Vorwurf aus, als Lobbyist für Putin zu agieren. Aber das heißt nicht, dass das, was er sagt, von vornherein Unsinn wäre. Zumal seine Punkte gar nicht so weit von der außenpolitischen Linie der Bundesregierung entfernt sind, wie beim Treffen von Biden und Scholz sichtbar wurde.
Aber da liegt ja gerade das Problem, denn der Verdacht scheint nicht unbegründet, dass Schröder – unter dem Olaf Scholz SPD-Generalsekretär war – in der Ukraine-Frage Einfluss auf die Regierungslinie nimmt. Zumindest deuten manche Beobachter so das Schweigen des Kanzlers bezüglich eines möglichen Endes von Nord Stream 2.
Auch was das angeht, möchte ich zur Besonnenheit mahnen. So wie derzeit über Nord Stream 2 geredet wird, entsteht der Eindruck, dass nur darauf gewartet wird, dass ein russischer Panzer über die ukrainische Grenze rollt, damit man endlich dieses Projekt begraben kann. Ich finde das verstörend, denn es wirft die Frage auf, worum es bei diesem Konflikt eigentlich geht. Ich weiß es nicht, kann es auch nicht beurteilen. Aber ich kann nicht verleugnen, dass es mich befremdet, mit welcher Wucht in unserem Land ein Konfrontationskurs gegen Russland gefordert wird. Mir scheint, dass die diplomatischen Optionen noch lange nicht ausgereizt sind, und dass wir gut daran täten, in enger Abstimmung mit den europäischen Partnern auf diplomatische Verhandlungen zu pochen.
Noch mal zurück zu Gerhard Schröder. Im Juni soll er in den Aufsichtsrat von Gazprom aufgenommen werden. Ist es da nicht verständlich, dass sogar der Bund der Steuerzahler fordert, Schröder möge auf sein staatlich bereitgestelltes Büro, Mitarbeiter und Dienstwagen verzichten?
Klar, kann man das verstehen – aber ein gutes Gefühl habe ich dabei nicht. In solchen Forderungen schwingt eine für mich ungute Personalisierung mit. Über Meinungen und Positionen darf und muss man in einer Demokratie streiten können. Aber man sollte nie die Personen, die unliebsame oder problematische Meinungen vertreten, verurteilen oder gar bestrafen. Und darauf liefe es ja hinaus, wenn man Schröder das nähme, was ihm als Altkanzler zusteht – und zwar einfach, weil er sich acht Jahre lang um das Land verdient gemacht hat. Es sieht einfach nicht gut aus, wenn Leute wie Röttgen oder Dobrindt den Ex-Kanzler angreifen, ohne auf seine inhaltlichen Punkte einzugehen. So, als wäre unumstößlich klar, wie man sich in der Ukraine-Krise zu verhalten habe. Aber so klar ist es eben nicht. Und das sollte man anerkennen, bevor man denjenigen, der einen daran erinnert, niedermacht. Das hat Schröder nicht verdient. Selbst dann nicht, wenn er ansonsten grauenvolle peinliche Podcasts in Umlauf bringt. Aber das ist ein anderes Thema.
Der Bestseller-Autor Christoph Quarch ist Philosoph aus Leidenschaft. Seit ihm als junger Mann ein Büchlein mit »Platons Meisterdialogen« in die Hand fiel, beseelt ihn eine glühende Liebe (philia) zur Weisheit (sophia), die er als Weg zu einem erfüllten und lebendigen Leben versteht. Als Autor, Publizist, Berater und Seminarleiter greift er auf die großen Werke der abendländischen Philosophen zurück, um diese in eine zeitgemäße Lebenskunst und Weltdeutung zu übersetzen."
In seinem neuen Buch "Begeistern! Wie Unternehmen über sich hinauswachsen" geht's um Fragen wie diese:
Wie kommt der Geist in unsere Unternehmen? – Durch Begeisterung! Und wie entsteht Begeisterung? Anders als die meisten glauben.
Als forum-Redakteur zeichnete Christoph Quarch verantwortlich für den Sonderteil „WIR - Menschen im Wandel".
Gesellschaft | Politik, 10.02.2022
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