"Entwicklungsbanken und private Investoren aus Deutschland müssen handeln!"
Neue FIAN-Studie beschreibt Landverlust, Hunger und Kinderarbeit durch verheerende Mikrokredit-Überschuldung in Kambodscha
Manche verkaufen ihr Land und nehmen alles Geld, um die Banken zu bezahlen. Wenn das Geld nicht reicht, verkaufen sie auch ihr Haus. Manche sind gezwungen, ihre Kinder aus der Schule zu nehmen und arbeiten zu lassen, um die Schulden zu tilgen." Was die Landrechtsaktivistin Phav Nherng aus der Gemeinde Chi Khor Kraom im Südwesten Kambodschas berichtet ist kein Einzelfall, wie die am 17.2. veröffentlichte FIAN-Studie "Mikrokredite und Überschuldungskrise in Kambodscha" aufzeigt. Überall im Land werden überschuldete Haushalte in Hunger und den Verkauf ihrer Felder getrieben. Familienmitglieder müssen in die Städte oder ins Ausland migrieren. Kinder und Jugendliche werden aus der Schule genommen, um bei der Rückzahlung der Darlehen zu helfen. Manche Familien werden sogar in die Schuldknechtschaft getrieben. Betroffene haben kaum eine Möglichkeit, sich zu wehren - es gibt kaum Gesetze oder Verordnungen, welche Mikrokreditnehmer*innen schützen.
Im vergangenen Jahrzehnt wuchs der Mikrofinanzsektor Kambodschas mit rasanter Geschwindigkeit und ist heute einer der größten weltweit. Ende 2020 umfassten die 2,8 Millionen ausstehenden Mikrokredite satte 11,8 Milliarden US-Dollar. Die durchschnittliche Höhe dieser "Mikro"-kredite liegt bei 4.280 US-Dollar - die höchste weltweit. Zwischen 28 Prozent und 50 Prozent der Kreditnehmer*innen sind überschuldet oder von Überschuldung bedroht. Über viele Jahre waren Jahreszinssätze von 20-30 Prozent die Norm. 2017 kappte die Regierung den Jahreszinssatz auf 18 Prozent, doch die kambodschanischen Kreditinstitute umgehen diese offizielle Obergrenze. Durch die COVID-Pandemie hat sich die Situation für viele Kreditnehmer*innen nochmals deutlich verschärft, während die kambodschanischen Mikrofinanzinstitute (MFI) und Banken auch im Krisenjahr 2020 Rekordgewinne einfuhren.
Viele der kambodschanischen MFI und Banken, welche für systematische Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sind, werden von den deutschen Entwicklungsbanken KfW und DEG finanziert - entweder direkt, oder über Mikrofinanzfonds wie MEF und MIFA, an denen wiederum das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) beteiligt ist.
Auch private Anleger*innen aus Deutschland sind über die Investitionen "nachhaltiger" Banken und Mikrofinanzinvestoren beteiligt. Zu den größten privaten Investoren, über die Geld aus Deutschland in den kambodschanischen Mikrokreditsektor fließt, gehören laut FIAN-Recherchen Oikocredit, die Triodos Bank, Invest in Visions und der österreichisch-luxemburgische Dual Return Fund. Auch die Bank im Bistum Essen und die GLS Bank verfügen über Mikrofinanzfonds, die große MFI in Kambodscha finanzieren.
Die Reaktion von Entwicklungsbanken und privaten Investoren auf die Überschuldungskrise und die Vorwürfe von Menschenrechtsverletzungen sind bisher völlig ungenügend. Die Bundesregierung lässt zwar mittlerweile verlauten, dass sie die Kritik ernst nehme und genauer untersuchen wolle. Ergebnisse und konkrete Konsequenzen stehen aber noch aus. Mikrofinanzinvestoren wie Oikocredit oder die GLS Bank haben ihr Kambodscha-Portfolio sogar trotz der bekannten Probleme im vergangenen Jahr deutlich erhöht.
"Gemeinsam mit den kambodschanischen Menschenrechtsgruppen fordert FIAN die Investoren aus Deutschland und Europa auf, die Menschenrechtsverletzungen im Rahmen ihrer Investitionen umfassend aufzuklären und endlich konkrete Maßnahmen zu ergreifen, um den betroffenen Kreditnehmer*innen in Kambodscha zu helfen", so FIAN-Referent Mathias Pfeifer. Kambodschanische Menschenrechtsgruppen haben die systematischen Menschenrechtsverletzungen im Mikrofinanzsektor seit 2019 im Rahmen mehrerer Untersuchungen aufgedeckt. Auch FIAN sprach vor Ort mit Betroffenen.
Hier können Sie die Studie "Mikrokredite und Überschuldungskrise in Kambodscha".
Hier finden Sie den Artikel in der Frankfurter Rundschau "Ohne Haus und Hof".
Gesellschaft | Politik, 17.02.2022
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