Geld regiert die Welt! - Doch wer regiert das Geld?
Von Prof. Dr. Margrit Kennedy
Über diese Frage sind sich selbst die Fachleute selten einig. Die weltweite Krise, in die uns gerade die amerikanische Immobilienblase hineinzieht, zeigt jedoch, dass diese Frage immer mehr zu einer Überlebensfrage für viele Menschen wird. Überlassen wir es den Spekulanten an den Börsen oder dem so genannten "freien Markt" zu bestimmen, was unsere Währung wert ist? Oder sind wir in der Lage, selbst zu bestimmen, mit welcher Münze wir bezahlen?
Ich habe vor 25 Jahren einen kleinen, aber bedeutsamen Konstruktionsfehler in unserem jetzigen Geldsystem entdeckt, und arbeite seitdem daran aufzuzeigen, wie dieser Fehler im System behoben werden kann und wir neue Geldsysteme entwickeln können. Bevor ich jedoch beginne, einige dieser Geldentwürfe vorzustellen, möchte ich drei grundlegende Missverständnisse bezüglich unseres herkömmlichen Geldes aufzeigen.
Erstes Missverständnis
Das Geld - und damit die Wirtschaft - können dauerhaft quantitativ wachsen.
Zuerst gilt es zu unterscheiden zwischen begrenztem und unbegrenztem Wachstum. Sowohl unser Körper als auch Pflanzen und Tiere folgen physisch dem begrenzten Wachstum. Ab einer optimalen Größe, also etwa ab dem 21sten Lebensjahr, hören wir auf zu wachsen. Wir verändern uns also die längste Zeit unseres Lebens - mit all unseren Subsystemen - fast ausschließlich qualitativ statt quantitativ.
Ein grundlegend unterschiedliches Wachstumsmuster ist das so genannte exponentielle oder Verdoppelungs- Wachstum. Hier ist das Wachstum anfangs gering, steigt dann kontinuierlich an und geht schließlich in fast senkrechtes, "unbegrenzt" quantitatives Wachstum über. Es findet seine Grenze erst beim Zusammenbruch oder der Zerstörung des Organismus, auf dem es wächst. Genau nach diesem Muster verhält sich unser Geld, da sich Geldanlagen durch Zins und Zinseszins in regelmäßigen Zeitabständen verdoppeln.
Das berühmte Beispiel vom Josephs- Pfennig zeigt, dass ein Geldsystem, welches auf Zins und Zinseszins beruht, nur kurz- und mittelfristig funktionieren kann. Hätte Joseph zur Zeit von Christi Geburt einen Pfennig investiert und wäre dieser von einer Bank mit durchschnittlich 5 Prozent pro Jahr verzinst worden, wäre dieser Pfennig im Jahr 2000 zum damals gültigen Goldpreis etwa 500 Milliarden Kugeln aus Gold vom Gewicht dieser Erde wert gewesen - zum Goldpreis in diesem Jahr. Das zeigt, in Form eines realistischen Symbols: "Geld frisst Welt". Ein andauernder Zinsbezug mit Zinseszins ist zwar mathematisch rechenbar, faktisch aber unmöglich. Wären die Zinszahlungen hingegen auf ein unverzinsliches Konto geflossen - womit der Zins auf Zins oder Zinseszins entfallen wäre - hätte sich auf diesem Konto im selben Zeitraum nur 1,01 DM angesammelt. Welch ein Unterschied! Das Problem ist, dass der Zins - als wichtigster Preis in unserer Wirtschaft - die Grenze setzt für das, was wir als "wirtschaftlich" betrachten. Wenn nicht wenigstens die Zinsen verdient werden, ist eine Investition nicht wirtschaftlich. Das heißt, dass die Wirtschaft ein exponentielles Wachstum anstreben muss und, dass die Schere zwischen Geldwerten und Realwirtschaft - im Laufe der Zeit - ständig weiter auseinander klaffen wird, bis sich Spekulationsblasen bilden, diese platzen und der ganze Zyklus wieder von vorn anfängt.
Zweites Missverständnis
Wir zahlen Zinsen nur, wenn wir uns Geld bei der Bank oder von anderen leihen.
Richtig ist, dass in jedem Preis, den wir entrichten, ein Zinsanteil enthalten ist. Nämlich die Zinsen, welche die Produzenten der gekauften Güter und Dienstleistungen der Bank zahlen mussten, um Maschinen und Geräte anzuschaffen. Bei den Müllgebühren zum Beispiel liegt dieser Anteil bei etwa 12 Prozent, beim Trinkwasserpreis bei 38 Prozent und bei der Miete im sozialen Wohnungsbau erreicht er sogar 77 Prozent. Im Durchschnitt zahlen wir etwa 40 Prozent Zinsen in den Preisen für die Güter und Dienstleistungen unseres täglichen Lebens. Könnte der Zins also durch einen anderen Mechanismus ersetzt werden, der die Geldbesitzer anregt, ihr Geld zu verleihen, könnten Innovative Geldwirtschaft die meisten von uns ihre Einkünfte fast verdoppeln oder entsprechend weniger arbeiten, um denselben Lebensstandard zu halten.
Drittes Missverständnis
Der Zins ist eine gerechte Gebühr oder Prämie für die Überlassung von Liquidität, die jede/r auf Spareinlagen bekommt und die von allen in jedem Preis bezahlt werden müssen.
Nur die wenigsten verstehen, in welchem Ausmaß sie selbst draufzahlen, da der Zins- und Zinseszinseffekt ganz legal für eine ständige Umverteilung des Geldes sorgt. Unterteilt man die deutschen Haushalte in zehn gleiche Gruppen, so zeigt sich, dass acht Teile oder 80 Prozent der Haushalte fast doppelt soviel Zinsen zahlen, wie sie einnehmen. Bei 10 Prozent sind Einnahmen und Ausgaben durch Zinsen in etwa ausgeglichen. Die reichsten 10 Prozent der Bevölkerung nehmen hingegen ein, was die große Mehrheit über den Zins verliert. Das heißt, die "Gerechtigkeit", die darauf beruht, dass wir alle - über Sparverträge und Geldanlagen - Zinsen zurückbekommen, stellt sich bei näherem Hinsehen als trügerisch heraus. Erst bei Zins schaffenden Anlagewerten in Höhe von über 500.000 Euro können diejenigen, die diese Anlagen besitzen, vom Zinssystem profitieren. Im Jahr 2001 betrug die Summe, die in Deutschland an Zinsen tagtäglich umverteilt wurde, zirka 1Milliarde Euro.
Die Folgen des Konstruktionsfehlers
Der Zins ermöglicht auf diese Weise im Gegensatz zum viel zitierten Anspruch auf Leistung in einer
"Leistungsgesellschaft" ein leistungsloses Einkommen. Er zwingt zu einem pathologischen (krankhaften) Wirtschaftswachstum und führt zu einer Verschärfung der ungleichen Einkommensverteilung, das heißt zur Polarisierung der Gesellschaft. Darüber hinaus wird die Spekulation mit Währungen auf den Finanzmärkten weit lukrativer als Investitionen in der Realsphäre,
ohne dass dabei wirkliche Werte entstehen.
Wie können neue Geldentwürfe dieses Problem vermeiden?
Dazu existieren viele brauchbare Modelle auf allen Ebenen wirtschaftlichen Handelns:
Diese neuen Geldentwürfe oder zinsfreien Zahlungssysteme für verschiedene geographische Größenordnungen werden ergänzt von sektoralen Komplementärwährungen, welche so gestaltet werden können, dass das Geld dahin fließen kann, wo es den größten sozialen und wirtschaftlichen Nutzen stiftet. Sie bieten in einem bestimmten Sektor, wie beispielsweise das japanische Fureai-Kippu-System in der Altenpflege, die Möglichkeit, mit Hilfe von Stundengutschriften für junge Leute, Dienstleistungen zu verbessern und eine Stundenwährung in Umlauf zu bringen.
An einem Beispiel aus dem Bildungsbereich soll etwas ausführlicher deutlich werden, wie eine Komplementärwährung für einen speziellen Zweck konzipiert werden kann: Der "Saber" - eine brasilianische Bildungswährung - wurde vor einigen Jahren von Bernard Lietaer entwickelt. Er funktioniert als ein Gutschein-Modell, welches das Ziel hat, der größtmöglichen Anzahl von Schülern in den wirtschaftlich schwächeren Gebieten Brasiliens, zu einer Schulbildung bis zur Hochschulreife zu verhelfen. Die Gutscheine werden an die jüngsten Schüler/Innen verteilt, die damit etwas ältere Schüler/Innen bezahlen können, die ihnen Förderunterricht oder Nachhilfestunden geben. Die älteren SchülerInnen können wiederum SchülerInnen bezahlen, die noch etwas älter sind, und so setzt sich das Angebot fort, bis zu den 17-Jährigen, die damit die Studiengebühren an teilnehmenden Universitäten bezahlen können. Nur die Universitäten können die Sabers in Reais umwandeln. Am Saber 20 Prozent an Wert, wenn er nicht bei den Universitäten ausgegeben wurde. Das heißt, niemand wird ihn horten oder dafür Zinsen verlangen. Man kann mit ihm keine Autos in Japan kaufen oder auf dem Weltmarkt spekulieren. Die SchülerInnen lernen ihre MitschülerInnen besser kennen und erwerben beim "Lehren" zusätzliches Wissen und soziale Kompetenzen. Da die Kosten für die Student/Innen auf sonst freibleibenden Studienplätzen nur einen Bruchteil dessen betragenm, was die Universitäten normalerweise dafür aufbringen müssen, kostet der Studienplatz in Saber etwa 50 Prozent weniger. Diese Einsparung und die zirka fünffache Weitergabe des Sabers in einem Studienjahr ergeben einen zehnfachen Nutzen des Geldes. Das heißt: aus 1 Milliarde Reais entsteht durch den Saber ein Nutzen
für Bildung von 10 Milliarden Reais.
Neue Geldmodelle - globale, nationale, regionale und sektorale - weisen wesentliche Gemeinsamkeiten untereinander und grundlegende Unterschiede zum herkömmlichen Geld auf:
Anstelle sozialer Programme, die sich mit dem Transfer finanzieller Ressourcen von Reich zu Arm begnügen, sind Komplementärwährungen ein völlig neuer Weg, dem Anspruch auf soziale Leistungen und mehr sozialer Gerechtigkeit zu genügen. Wenn sie einmal eingeführt sind und funktionieren, können
sie sich letztlich selbst finanzieren, ohne den Staatshaushalt weiter zu belasten. Das heißt, sie können den Wohlfahrtsstaat ergänzen, ohne selbst ein Wohlfahrtssystem zu sein. Sie sind in diesem Sinne hoch innovative Selbsthilfemittel, die durch kreatives Handeln im Sinne einer "kollektiven Intelligenz" die Eigeninitiative von einzelnen und Gruppen fördern, ihren Selbstwert und damit insgesamt unser "Sozialkapital" stärken.
Prof. Dr. Margrit Kennedy, 68, ist Autorin des Buches "Geld ohne Zinsen und Inflation" (1991, 8. aktualisierte Neuauflage 2006), das in 20 Sprachen übersetzt wurde. Ihr Buch "Regionalwährungen - ein neuer Weg zu nachhaltigem Wohlstand," zusammen mit Bernard Lietaer, erschien 2004. Ein Schwerpunkt ihrer heutigen Arbeit ist die Einführung und Erprobung regionaler Tauschmittel.
Kontakt
margritkennedy@monneta.org
www.margritkennedy.de
Ich habe vor 25 Jahren einen kleinen, aber bedeutsamen Konstruktionsfehler in unserem jetzigen Geldsystem entdeckt, und arbeite seitdem daran aufzuzeigen, wie dieser Fehler im System behoben werden kann und wir neue Geldsysteme entwickeln können. Bevor ich jedoch beginne, einige dieser Geldentwürfe vorzustellen, möchte ich drei grundlegende Missverständnisse bezüglich unseres herkömmlichen Geldes aufzeigen.
Erstes Missverständnis
Das Geld - und damit die Wirtschaft - können dauerhaft quantitativ wachsen.
Zuerst gilt es zu unterscheiden zwischen begrenztem und unbegrenztem Wachstum. Sowohl unser Körper als auch Pflanzen und Tiere folgen physisch dem begrenzten Wachstum. Ab einer optimalen Größe, also etwa ab dem 21sten Lebensjahr, hören wir auf zu wachsen. Wir verändern uns also die längste Zeit unseres Lebens - mit all unseren Subsystemen - fast ausschließlich qualitativ statt quantitativ.
Ein grundlegend unterschiedliches Wachstumsmuster ist das so genannte exponentielle oder Verdoppelungs- Wachstum. Hier ist das Wachstum anfangs gering, steigt dann kontinuierlich an und geht schließlich in fast senkrechtes, "unbegrenzt" quantitatives Wachstum über. Es findet seine Grenze erst beim Zusammenbruch oder der Zerstörung des Organismus, auf dem es wächst. Genau nach diesem Muster verhält sich unser Geld, da sich Geldanlagen durch Zins und Zinseszins in regelmäßigen Zeitabständen verdoppeln.
Das berühmte Beispiel vom Josephs- Pfennig zeigt, dass ein Geldsystem, welches auf Zins und Zinseszins beruht, nur kurz- und mittelfristig funktionieren kann. Hätte Joseph zur Zeit von Christi Geburt einen Pfennig investiert und wäre dieser von einer Bank mit durchschnittlich 5 Prozent pro Jahr verzinst worden, wäre dieser Pfennig im Jahr 2000 zum damals gültigen Goldpreis etwa 500 Milliarden Kugeln aus Gold vom Gewicht dieser Erde wert gewesen - zum Goldpreis in diesem Jahr. Das zeigt, in Form eines realistischen Symbols: "Geld frisst Welt". Ein andauernder Zinsbezug mit Zinseszins ist zwar mathematisch rechenbar, faktisch aber unmöglich. Wären die Zinszahlungen hingegen auf ein unverzinsliches Konto geflossen - womit der Zins auf Zins oder Zinseszins entfallen wäre - hätte sich auf diesem Konto im selben Zeitraum nur 1,01 DM angesammelt. Welch ein Unterschied! Das Problem ist, dass der Zins - als wichtigster Preis in unserer Wirtschaft - die Grenze setzt für das, was wir als "wirtschaftlich" betrachten. Wenn nicht wenigstens die Zinsen verdient werden, ist eine Investition nicht wirtschaftlich. Das heißt, dass die Wirtschaft ein exponentielles Wachstum anstreben muss und, dass die Schere zwischen Geldwerten und Realwirtschaft - im Laufe der Zeit - ständig weiter auseinander klaffen wird, bis sich Spekulationsblasen bilden, diese platzen und der ganze Zyklus wieder von vorn anfängt.
Zweites Missverständnis
Wir zahlen Zinsen nur, wenn wir uns Geld bei der Bank oder von anderen leihen.
Richtig ist, dass in jedem Preis, den wir entrichten, ein Zinsanteil enthalten ist. Nämlich die Zinsen, welche die Produzenten der gekauften Güter und Dienstleistungen der Bank zahlen mussten, um Maschinen und Geräte anzuschaffen. Bei den Müllgebühren zum Beispiel liegt dieser Anteil bei etwa 12 Prozent, beim Trinkwasserpreis bei 38 Prozent und bei der Miete im sozialen Wohnungsbau erreicht er sogar 77 Prozent. Im Durchschnitt zahlen wir etwa 40 Prozent Zinsen in den Preisen für die Güter und Dienstleistungen unseres täglichen Lebens. Könnte der Zins also durch einen anderen Mechanismus ersetzt werden, der die Geldbesitzer anregt, ihr Geld zu verleihen, könnten Innovative Geldwirtschaft die meisten von uns ihre Einkünfte fast verdoppeln oder entsprechend weniger arbeiten, um denselben Lebensstandard zu halten.
Drittes Missverständnis
Der Zins ist eine gerechte Gebühr oder Prämie für die Überlassung von Liquidität, die jede/r auf Spareinlagen bekommt und die von allen in jedem Preis bezahlt werden müssen.
Nur die wenigsten verstehen, in welchem Ausmaß sie selbst draufzahlen, da der Zins- und Zinseszinseffekt ganz legal für eine ständige Umverteilung des Geldes sorgt. Unterteilt man die deutschen Haushalte in zehn gleiche Gruppen, so zeigt sich, dass acht Teile oder 80 Prozent der Haushalte fast doppelt soviel Zinsen zahlen, wie sie einnehmen. Bei 10 Prozent sind Einnahmen und Ausgaben durch Zinsen in etwa ausgeglichen. Die reichsten 10 Prozent der Bevölkerung nehmen hingegen ein, was die große Mehrheit über den Zins verliert. Das heißt, die "Gerechtigkeit", die darauf beruht, dass wir alle - über Sparverträge und Geldanlagen - Zinsen zurückbekommen, stellt sich bei näherem Hinsehen als trügerisch heraus. Erst bei Zins schaffenden Anlagewerten in Höhe von über 500.000 Euro können diejenigen, die diese Anlagen besitzen, vom Zinssystem profitieren. Im Jahr 2001 betrug die Summe, die in Deutschland an Zinsen tagtäglich umverteilt wurde, zirka 1Milliarde Euro.
Die Folgen des Konstruktionsfehlers
Der Zins ermöglicht auf diese Weise im Gegensatz zum viel zitierten Anspruch auf Leistung in einer
"Leistungsgesellschaft" ein leistungsloses Einkommen. Er zwingt zu einem pathologischen (krankhaften) Wirtschaftswachstum und führt zu einer Verschärfung der ungleichen Einkommensverteilung, das heißt zur Polarisierung der Gesellschaft. Darüber hinaus wird die Spekulation mit Währungen auf den Finanzmärkten weit lukrativer als Investitionen in der Realsphäre,
ohne dass dabei wirkliche Werte entstehen.
Wie können neue Geldentwürfe dieses Problem vermeiden?
Dazu existieren viele brauchbare Modelle auf allen Ebenen wirtschaftlichen Handelns:
- Auf der internationalen Ebene gibt es den Vorschlag von Bernard Lietaer für eine auf Waren und Dienstleistungen abgesicherte globale Währung, den "Terra" (www.terratrc.org), und die weltweit vorhandenen Barter-Systeme (www.barterportal.net).
- Auf der nationalen oder multinationalen Ebene werden seit vielen Jahren die Vorschläge von verschiedenen Experten für eine zinslose Währung diskutiert (www.inwo.de). Das WIR-System in der Schweiz bietet seit 70 Jahren ein Vorbild, welches mittels einer Parallelwährung kleine und mittlere Unternehmen mit neuer Liquidität versorgt (www.wir.ch).
- Auf der regionalen Ebene zeigt die wachsende Zahl von Regionalwährungen in Deutschland, dass Menschen bereit sind, neue Wege zu gehen. Im März 2008 gibt es etwa 28 Initiativen, die bereits ein eigenes Zahlungsmittel herausgeben, und 32 weitere, die das vorbereiten (www.regiogeld.de).
- Und auf der lokalen Ebene beweisen seit Jahrzehnten viele Tauschringe, dass man das "Geld- Geschäft" nicht nur den Banken überlassen muss (www.tauschringe.de).
Diese neuen Geldentwürfe oder zinsfreien Zahlungssysteme für verschiedene geographische Größenordnungen werden ergänzt von sektoralen Komplementärwährungen, welche so gestaltet werden können, dass das Geld dahin fließen kann, wo es den größten sozialen und wirtschaftlichen Nutzen stiftet. Sie bieten in einem bestimmten Sektor, wie beispielsweise das japanische Fureai-Kippu-System in der Altenpflege, die Möglichkeit, mit Hilfe von Stundengutschriften für junge Leute, Dienstleistungen zu verbessern und eine Stundenwährung in Umlauf zu bringen.
An einem Beispiel aus dem Bildungsbereich soll etwas ausführlicher deutlich werden, wie eine Komplementärwährung für einen speziellen Zweck konzipiert werden kann: Der "Saber" - eine brasilianische Bildungswährung - wurde vor einigen Jahren von Bernard Lietaer entwickelt. Er funktioniert als ein Gutschein-Modell, welches das Ziel hat, der größtmöglichen Anzahl von Schülern in den wirtschaftlich schwächeren Gebieten Brasiliens, zu einer Schulbildung bis zur Hochschulreife zu verhelfen. Die Gutscheine werden an die jüngsten Schüler/Innen verteilt, die damit etwas ältere Schüler/Innen bezahlen können, die ihnen Förderunterricht oder Nachhilfestunden geben. Die älteren SchülerInnen können wiederum SchülerInnen bezahlen, die noch etwas älter sind, und so setzt sich das Angebot fort, bis zu den 17-Jährigen, die damit die Studiengebühren an teilnehmenden Universitäten bezahlen können. Nur die Universitäten können die Sabers in Reais umwandeln. Am Saber 20 Prozent an Wert, wenn er nicht bei den Universitäten ausgegeben wurde. Das heißt, niemand wird ihn horten oder dafür Zinsen verlangen. Man kann mit ihm keine Autos in Japan kaufen oder auf dem Weltmarkt spekulieren. Die SchülerInnen lernen ihre MitschülerInnen besser kennen und erwerben beim "Lehren" zusätzliches Wissen und soziale Kompetenzen. Da die Kosten für die Student/Innen auf sonst freibleibenden Studienplätzen nur einen Bruchteil dessen betragenm, was die Universitäten normalerweise dafür aufbringen müssen, kostet der Studienplatz in Saber etwa 50 Prozent weniger. Diese Einsparung und die zirka fünffache Weitergabe des Sabers in einem Studienjahr ergeben einen zehnfachen Nutzen des Geldes. Das heißt: aus 1 Milliarde Reais entsteht durch den Saber ein Nutzen
für Bildung von 10 Milliarden Reais.
Neue Geldmodelle - globale, nationale, regionale und sektorale - weisen wesentliche Gemeinsamkeiten untereinander und grundlegende Unterschiede zum herkömmlichen Geld auf:
- sie sind - richtig angewandt - für alle, die daran teilnehmen, ein Gewinn
- sie erzeugen, wenn sie umlaufgesichert und auf Waren oder Dienstleistungen abgesichert sind oder als Zeitwährung funktionieren, keine Inflation, sondern im Gegenteil Stabilität
- sie sind transparent in ihrem Entstehungsprozess und können damit demokratisch kontrolliert werden
- sie bringen vorhandene Ressourcen mit einem ungedeckten Bedarf zusammen, und können damit neue Arbeitsplätze schaffen, gerade in Bereichen, die sich im herkömmlichen Geldsystem nicht "rechnen"
- sie verbessern die soziale Interaktion und den sozialen Zusammenhalt unter den Teilnehmer/Innen
- sie können nicht benutzt werden, um auf dem Weltmarkt zu spekulieren
- sie entlasten den Staatshaushalt, beziehungsweise verursachen wenig oder keine Mehrkosten oder Steuererhöhungen
- sie verbessern das Angebot an Sozialleistungen oder Waren
- sie stiften Nutzen, der sonst nicht zustande käme
- die "Spielregeln" für ihre Anwendung sind einfach - nicht viel schwieriger zu begreifen als die Regeln eines Schachspiels
- welches in seiner Entstehung und in seinen Auswirkungen kaum verständlich ist
- welches langfristig immer an Wert verliert
- von dessen Verteilungswirkung über den Zinsmechanismus in wachsendem Maße nur 10 Prozent der Bevölkerung profitieren, während 80 Prozent ärmer werden
- welches - als weltweites Spekulationsmittel eingesetzt - immer häufiger allen schadet, auch denen, die oberflächlich betrachtet davon profitieren
Anstelle sozialer Programme, die sich mit dem Transfer finanzieller Ressourcen von Reich zu Arm begnügen, sind Komplementärwährungen ein völlig neuer Weg, dem Anspruch auf soziale Leistungen und mehr sozialer Gerechtigkeit zu genügen. Wenn sie einmal eingeführt sind und funktionieren, können
sie sich letztlich selbst finanzieren, ohne den Staatshaushalt weiter zu belasten. Das heißt, sie können den Wohlfahrtsstaat ergänzen, ohne selbst ein Wohlfahrtssystem zu sein. Sie sind in diesem Sinne hoch innovative Selbsthilfemittel, die durch kreatives Handeln im Sinne einer "kollektiven Intelligenz" die Eigeninitiative von einzelnen und Gruppen fördern, ihren Selbstwert und damit insgesamt unser "Sozialkapital" stärken.
Prof. Dr. Margrit Kennedy, 68, ist Autorin des Buches "Geld ohne Zinsen und Inflation" (1991, 8. aktualisierte Neuauflage 2006), das in 20 Sprachen übersetzt wurde. Ihr Buch "Regionalwährungen - ein neuer Weg zu nachhaltigem Wohlstand," zusammen mit Bernard Lietaer, erschien 2004. Ein Schwerpunkt ihrer heutigen Arbeit ist die Einführung und Erprobung regionaler Tauschmittel.
Kontakt
margritkennedy@monneta.org
www.margritkennedy.de
Quelle:
Lifestyle | Geld & Investment, 08.07.2008
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