Das Geschäft mit dem Hunger

Der aktuelle Kommentar von Chris Methmann, foodwatch

Im Sudan hat sich der Brotpreis binnen kurzem verdoppelt, weltweit springen die Lebensmittelpreise um ein Drittel nach oben. Ein Grund: Finanzinvestoren spekulieren mit Nahrungsmitteln – und die EU lässt sie machen.
 
Es ist ein zutiefst unmoralisches Geschäft: Seit Russlands Panzer ukrainische Weizenfelder verheeren und der Krieg den Handel blockiert, steigen die Preise für Weizen und andere Nahrungsmittel rasant. Doch dahinter steckt nicht nur die Angst vor Knappheit, sondern auch die Geldgier von Finanzinvestoren: Sie spekulieren an den Börsen mit Getreide, um sich ihre Taschen zu füllen.

Ein Leben lang geschädigte Kinder
Die Wetten auf Knappheit mit der Hortung von Lebensmitteln erzeugen erst recht Knappheit. © minthu, pixabay.comDie Wetten auf Knappheit mit der Hortung von Lebensmitteln erzeugen erst recht Knappheit. © minthu, pixabay.com
Bereits in den ersten Tagen des Krieges flossen Milliarden Euro und Dollar in Fonds, die mit Nahrungsmitteln spekulieren. Anleger wetten an den Rohstoffbörsen auf steigende Kurse und treiben so die Börsencharts steil nach oben. Der ehemalige UN-Berichterstatter für das Recht auf Nahrung, Olivier de Schutter, bringt es auf den Punkt: "Die Spekulation ist zurück, hier wird auf steigende Preise gewettet, also quasi auf Hunger."

In Ländern wie dem Jemen oder dem Sudan, in denen schon jetzt der Hunger grassiert, wird Getreide und Brot für viele unbezahlbar. Selbst Hilfsorganisationen bekommen für das gleiche Geld nur noch 30 bis 50 Prozent der Hilfsgüter. Die Folge: Bei noch mehr Menschen bleibt der Teller leer – darunter auch Millionen Kinder. Die Mangelernährung schädigt ihre Körper oft lebenslang.

Die Versäumnisse der Politik
Die Preissteigerungen an den Rohstoffbörsen sind nicht zuletzt erheblichen Versäumnissen der EU-Kommission und der US-Regierung geschuldet. Zwar hatte die Politik eigentlich aus der letzten Spekulationskrise gelernt. Nachdem Anleger 2007 und 2008 die Preise schon einmal in die Höhe getrieben hatten, führte die EU Obergrenzen für die Spekulation ein. Doch die sind viel zu hoch, um die Finanzwetten wirksam zu begrenzen. Im Jahr 2020 wurden sogar Deregulierungen durchgeführt.

foodwatch hat jahrelang gegen die Spekulation mit Nahrungsmitteln gestritten. Aus Erfahrung wissen wir: Die Finanzlobby hat noch immer viel zu viel Einfluss in Brüssel. Wir Bürger müssen dagegenhalten.

Nur wenn es im Verborgenen bleibt…
Was eine kleine Organisation wie foodwatch bewegen kann, haben wir 2011 gesehen. Unser Report "Die Hungermacher" deckte die Machenschaften der Nahrungsmittelspekulanten an den Börsen auf. Unsere Kampagne „Hände weg vom Acker, Mann" brachte das unmoralische Geschäft in die Zeitungen und Abendnachrichten – und wurde für die Banken zum PR-Desaster. Die Commerzbank und andere stiegen ganz aus, einige wie die Deutsche Bank gaben sich zumindest zerknirscht.

Denn so richtig trauen Banken sich die Spekulation mit Nahrung nur, wenn es im Verborgenen bleibt – und die Behörden sie lassen. So auch jetzt: Immer wieder verstecken sich Investoren dahinter, dass Weizen, Getreide und Co. durch den Krieg eben knapp würden – und allein diese Knappheit die Preise treibe. Und tatsächlich kaufen reichere Länder und auch Unternehmen aus Sorge um knapp werdende Nahrungsmittel schon jetzt zukünftige Ernten zu teils hohen Preisen auf.
 
Transparenz gegen die Angst
Chris Methmann © foodwatchChris Methmann © foodwatch
Doch diese Krisenangst allein kann die immensen Preissprünge nicht auslösen, wie Experten betonen. Denn auffällig viele Investoren, die mit Ernährung gar nichts zu tun haben, pumpen gerade Milliarden in den Markt – und blähen die Preise damit auf. Das niederländische Recherchenetzwerk Lighthouse rechnet das am Beispiel zweier großer Investmentfonds vor, die mit Nahrung handeln: Im gesamten Jahr 2021 hätten sie lediglich knapp zweihundert Millionen Euro investiert – in den ersten vier Monaten dieses Jahres allein schon das Sechsfache.

Bei mehr als 800 Millionen Hungernden auf der Welt dürfen wir das nicht zulassen. Es braucht Transparenz darüber, wer über welche Getreidereserven verfügt – nur so kann der Angst vor Knappheit begegnet werden. Und die EU muss dringend wirksame Handelsschranken, sogenannte Positionslimits, festlegen und so die Wetten auf steigende Preise beenden.

Dr. Chris Methmann ist Geschäftsführer von foodwatch Deutschland. Die internationale Verbraucherorganisation hat Büros in Berlin, Amsterdam, Paris, Wien und Brüssel und beschreibt ihre Mission wie folgt: „Was wir essen, entscheiden nicht wir selbst. Die Verbraucherinnen und Verbraucher in Europa müssen machtlos zuschauen, wie die Nahrungsmittelindustrie der Politik die Spielregeln diktiert. Das Versprechen des europäischen Lebensmittelrechts, uns effektiv vor unsicheren Lebensmitteln und Täuschung zu schützen, steht nur auf dem Papier. Lobbyeinflüsse bestimmen, was auf unsere Teller kommt. Wichtige Informationen werden uns vorenthalten, wir werden sogar ganz legal getäuscht." foodwatch setzt sich mit vielen Aktionen dafür ein, dies zu ändern.

Unter "Der aktuelle Kommentar" stellen wir die Meinung engagierter Zeitgenossen vor und möchten damit unserer Rolle als forum zur gewaltfreien Begegnung unterschiedlicher Meinungen gerecht werden. Die Kommentare spiegeln deshalb nicht zwingend die Meinung der Redaktion wider, sondern laden ein zur Diskussion, Meinungsbildung und persönlichem Engagement. Wenn auch Sie einen Kommentar einbringen oder erwidern wollen, schreiben Sie an Alrun Vogt: a.vogt@forum-csr.net

Gesellschaft | Politik, 05.06.2022

     
        
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