permaculture 2.0

im Gespräch: Jascha Rohr & Reto Stauss (http://nachhaltigbeobachtet.ch)

Jascha Rohr hatte definitiv meine Aufmerksamkeit, als er auf seiner Website einen Workshop zu Permaculture 2.0 ankündigte. Er ist daran, Permakultur vom "Selbstversorger auf dem Land"-Image zu befreien.

Bitte erkläre kurz, wer Du bist und was Du machst.
Ich heiße Jascha Rohr, habe einen Sohn und wohne in einer Ökosiedlung in Huntlosen bei Oldenburg. Vor ca. 6 Jahren habe ich die deutsche Permakultur Akademie gegründet und bewege mich seitdem mit meiner Arbeit zwischen den Themen Nachhaltigkeit und Bildung. Konkret versuche ich jede Form des Gestaltens, sei es im Gartenbau, in der Landschaftsarchitektur, in Bildungsprojekten oder Projekten jeder Art, die mir meinen Weg kreuzen, auf partizipative Weise anzugehen.

Dazu arbeite ich mit meiner Partnerin Sonja Hörster in der Planungswerkstatt, in der wir Bürgerbeteiligungsverfahren durchführen. Anfang dieses Jahr haben wir das Institut für Partizipatives Gestalten gegründet, um das Thema von allen Aspekten aus zu vertiefen und in Berlin bin ich gerade dabei für den self HUB eine Weiterbildungsakademie zu initiieren. Viele Aufgabenfelder aber alle mit einem Thema: nachhaltige Beziehungen partizipativ zu knüpfen.

Die obligate Frage: was verstehst Du unter Nachhaltigkeit?
Ehrlich gesagt verabschiede ich mich innerlich von dem Begriff, auch wenn ich ihn der besseren Kommunikation wegen weiter nutze (s.o.). Letztendlich geht es ja immer darum, die Welt lebenswerter, lebendiger zu machen und in einem Zustand zu navigieren, der die Lebenssituation für nachfolgende Generationen nicht verschlimmert. Ich sage navigieren und nicht halten oder erhalten, weil ich glaube, dass dieser Zustand veränderlich bleiben muss. Er darf jeweils anders sein und darf keinen Zustand auf Ewig einfrieren.

Zustände dürfen sich auflösen, Systeme zerfallen. Die Frage ist immer nur: ist das, was danach kommt, auch gut, anders gut? Ich teste gerade in meiner Arbeit die Haltung zu sagen: "Wenn ich aus Beziehungen heraus gestalte, dann führen diese Gestaltungen immer zu "nachhaltigen" Lösungen." Es ist schlechterdings nicht vorstellbar für mich, dass ich etwas im Negativen verändere, mit dem ich in enger Beziehung stehe und dessen Zusammenhalt ich aufmerksam beobachte. Geschieht das doch, dann ist es als Teil des Systems und seiner Pathologien zu verstehen.

Der Gestaltungsansatz der Moderne ist dagegen einer der Separation: ich begebe mich in eine Position außerhalb des Systems, von der aus ich das System verändere, dort bin ich sicher und mache mir die Hände nicht schmutzig. Aus dieser Haltung heraus wundert es mich überhaupt nicht, das die Systeme auch mal leichtfertig zerstört werden, denn ich habe die Beziehung zu dem mit dem ich arbeite, abgebrochen. So gesehen wäre Nachhaltigkeit die Haltung, sich für die Beziehungen des Systems zu öffnen, dem man selbst zugehörig ist und der Versuch, aus diesem Verbindungsbewusstsein heraus in den flexiblen Systemen mitzuleben.

Warum beschäftigst Du Dich mit Permakultur?
Ursprünglich hatte ich wohl den Traum wie jeder Permakulturist: Aufs Land ziehen, mich mit eigenem Gemüse ernähren, in einer Gemeinschaft leben, eine Seminarhaus aufbauen. Kommt bekannt vor, oder? Dafür wollte ich auf jeden Fall das notwendige Handwerkszeug lernen. Dann - vor allem durchs Unterrichten - habe ich immer mehr das unglaubliche Potential in der Permakultur entdeckt und verstanden, dass mein Traum auch nur ein Teil eines gesellschaftlichen Codes ist.

Man kann nicht aussteigen. Adorno hat ungefähr gesagt, dass selbst das Aussteigen aus dem System eine Funktion des Systems sei. Die Sache ist komplizierter bzw. komplexer und mir war es wichtiger zu verstehen, als an meinem Traum festzuhalten. So habe ich mich auf eine Reise begeben, die mir unheimlich viel eröffnet hat: eine unglaublich diverse Welt voller Optionen, in der jede Ideologie (auch meine Ausstiegsideologie) die Chancen auf plurale, lebendige Welten eher verhindert als bestärkt. In den Potentialen dieser Welten versuche ich gerade zu surfen.

Die Pioniere werden älter und sterben. Überlebt Permakultur trotzdem? Wer gehört zur neuen Generation, welche Permakultur weiterbringt?
Die Permakulturbewegung habe ich bis heute nicht verstanden. Bei Bill Mollison ist eigentlich schon alles angelegt, aber er wurde immer wieder auf Selbstversorgung reduziert. Und seine chaotische Methodik hat uns alle lange Rätsel raten lassen, nur langsam können wir da wirklich Licht reinbringen.

Das Verrückte ist, dass Permakultur wie eine Bruthilfe wirkt. Die Leute kommen rein, lassen sich durchbrüten und, wenn sie sich erfolgreich entwickelt haben, sind sie irgendwann weg. Das macht stutzig. Vor allem mich, der ich immer noch dabei bin ;-). Daher lässt sich die Frage nicht beantworten.

Die Pioniere gehen nämlich immer woanders hin: in den Strohballenbau, die Regionalwährungen, das Car-Sharing, in Projektarbeit, die NGO-Arbeit etc.pp. Vielleicht ist der Fehler der, dass wir immer von der Permakultur sprechen. Im Grunde gibt es aber viele: die Mollison-Permakultur, die Eso-Permakultur, die Holmgren-Permakultur, die Komposttoiletten-Permakultur, die Architekten-Permakultur, die Kiffer-Permakultur, die Holzer-Permakultur etc. Nun gibts auch noch die Permakultur 2.0. Und jede hat seine eigenen Pioniere.

Du hast Permaculture 2.0 ausgerufen und versprichst, Permakultur aus den Niederungen der Landschaftsgestaltung und -nutzung auf eine höherere, allgemeine Ebene zu tragen. Warum und wie willst Du das erreichen?
Landschaftsgestaltung und -nutzung ist ein essentieller Bestandteil von Permakultur und wird es bleiben, solange Menschen Land nutzen und Essen benötigen, also immer. Aber wie gesagt: das theoretische und das praktisch-gestalterische Potential der Permakultur kann viel mehr und ich kenne kaum jemanden, mich eingeschlossen, der das bisher so wirklich begriffen hat.

Ich will vor allem raus aus der Enge, aus der Defensive, aus den Ideologien. Man kann nicht über flexible Systeme am Lagerfeuer diskutieren und selbst ein geschlossenes Weltbild besitzen oder die Vielfalt und Komplexität beschwören, aber das eigene Leben mit wenigen Lehrsätzen jeder Komplexität berauben. Ich will neue professionelle Allianzen quer durch alle Bereiche des Lebens. Permakultur trägt diese Professionalität in sich!

Ich wünsche mir Mut, an den eigenen Grenzen zu rütteln, neue Wege auszuprobieren und sich auf ein Leben in Flexibilität einzustellen, statt aus Sicherheitsbedürfnis jede Bewegung zu unterbinden. Ich will auch weg von der Schuld am Elend der Welt, die zu Burnout und Verzweiflung führt, hin zu unseren Potentialen, die uns bestimmt nicht geschenkt wurden, damit wir sie verleugnen und klein halten, sondern durch deren Nutzung wir größer, stärker und "potenter" werden.

Der Weg dahin ist gar nicht so revolutionär neu: Viel Beobachtung und Wahrnehmung für die Systeme, in denen wir uns bewegen und vor allem die Lust mit Neugierde und Gestaltungswillen den Aufgaben zu begegnen, die sich uns stellen. Viele kommen zur Permakultur, weil sie von "dem System" verletzt oder traumatisiert wurden und eine Welt suchen, in der alles wieder gut ist. Dieser Schonraum wird sicherlich benötigt und ist individuell gesehen eine ganz wichtige Station.

Ich wünsche mir jedoch, dass der Schonraum so gut funktioniert, dass man irgendwann wieder aus ihm heraustreten kann und sagen kann: ich bin frei von Schuld und frei von Wut und jetzt schenke ich mich meiner Umwelt, ich sage oft meinem Kontext, mit meinen Potentialen, meinen Fähigkeiten, meiner Professionalität und beginne wieder mitzugestalten. Vielleicht ist PK 1.0 die Schutzkapsel und PK 2.0 der Weg zurück ins Getümmel. Wie das geht? Mut machen, Potentiale aufzeigen und ausprobieren.

Die ominöse 2.0 wird ja heute gerne verwendet, um Altbackenes aufzuwerten. Man verbindet es mit all den neuen Web-Phänomenen wie Crowdsourcing, Wikinomics, Social Networks, etc. Gibt es Gemeinsamkeiten mit PC 2.0, ja überhaupt Schnittstellen ins Internet oder ist das einfach "alter Wein in neuen Schläuchen"?
Natürlich will ich mit dem Begriff ein bisschen sticheln und sagen: bewegt Euch, das kann noch nicht alles gewesen sein! Permakultur war nie altbacken, aber der Diskurs um Permakultur ist altbacken geworden und geht völlig an dem vorbei was viele Menschen heute bewegt.

Ich meine die 2.0 durchaus liebevoll und ironisch. Und ja, ich habe bewusst eine Anlehnung ans Web gesucht. Im Web finden zur Zeit erstaunliche soziale Innovationen statt. Unsere gesamte Lebens- und Arbeitsweise wird von den dortigen Entwicklungen umgekrempelt. Eine Wirkung, die sich die Permakultur immer für sich gewünscht, aber nie erreicht hat, weil sie oft in der Defensive geblieben ist: gegen das Wirtschaftssystem, gegen Technologie, gegen Wissenschaft, gegen Politik, gegen dies und jenes.

Die Pioniere des Web 2.0 haben eine andere Einstellung. Sie sagen: wir machen's jetzt einfach anders und probieren aus, wie weit unsere Konzepte tragen. Dabei fahren sie regelmäßig gegen die Wand, aber das scheint mir in der Regel heilsam. Diese Risikobereitschaft gepaart mit Kreativität und einer gehörigen Portion Verrücktheit vermisse ich in der Permakultur.

Aber es gibt auch einen zweiten, konzeptionelleren Aspekt: Das Web 2.0 sucht nach neuen Wegen der Kooperation und Partizipation: kollektive Intelligenz und Schwarmverhalten sind nur zwei Stichworte. Stell Dir mal vor, die gleiche innovative Energie würden wir offline generieren können in Bereichen wie Bildung, Technologie, Wirtschaft, Ressourcenversorgung usw. usf., was dann alles möglich wäre!

mit freundlicher Genehmigung von http://nachhaltigbeobachtet.ch

permalink: http://nachhaltigbeobachtet.ch/blog/archive/2008/07/09/im-gespraech-jascha-rohr.html

Quelle:
Lifestyle | LOHAS & Ethischer Konsum, 09.07.2008

     
        
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