Sustainable Finance
Was ändert sich für den Mittelstand?
Die neuen EU-Regulierungsinitiativen betreffen insbesondere kleine und mittlere Unternehmen. Diese sollten sich darauf einstellen, dass Nachhaltigkeit zunehmend vom Kapitalmarkt als Investitionsvoraussetzung eingefordert oder zumindest als Risikofaktor eingepreist wird, und dass die EU Sustainable Finance Initiative konkrete realwirtschaftliche Implikationen haben kann.
Der 2018 veröffentlichte Aktionsplan der Europäischen Kommission zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums beschreibt konkrete Ziele und Maßnahmen, um die Nachhaltigkeit des Europäischen Finanzwesens zu stärken. Vor dem Hintergrund der Annahme des Pariser Klimaschutzübereinkommens und der UN-Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung sollen neue EU-Regulierungsinitiativen eine Neuausrichtung von Kapitalflüssen hin zu nachhaltigen Wirtschaftsaktivitäten bewirken. Relevante regulatorische Maßnahmen diesbezüglich sind insbesondere die Einführung eines EU-Klassifizierungssystems (EU-Taxonomie) für nachhaltige Tätigkeiten (Verordnung (EU) 2020/852) sowie Normen und Kennzeichen für umweltfreundliche Finanzprodukte (Sustainable Finance Disclosure Regulation (SFDR), Verordnung (EU) 2019/2088).
Darüber hinaus werden derzeit die Berichtspflichten von Unternehmen im Rahmen der nichtfinanziellen Erklärung überarbeitet. Die CSR-Richtlinie (2014/95/EU) soll durch die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) geschärft werden. Wichtig für mittelständische Unternehmen: Der aktuelle Entwurf der CSRD (Stand 21.4.2021) sieht eine Ausweitung des Anwendungsbereichs auf kleine und mittlere Unternehmen (KMU) vor, welche an geregelten Märkten der EU notiert sind. Was bedeuten diese regulatorischen Entwicklungen nun konkret für den Mittelstand?
Zusätzliche Berichtserstattungspflichten
Im Gegensatz zu großen Kapitalmarktunternehmen, welche schon seit mehreren Jahren über die wichtigsten nichtfinanziellen Leistungsindikatoren berichten müssen, stehen KMU mittelfristig vor der Aufgabe, erstmalig eine nichtfinanzielle Erklärung zu veröffentlichen. Die CSR-Direktive ermöglichte bislang einen erheblichen Offenlegungsspielraum. Folglich war die Vergleichbarkeit von Nachhaltigkeitskennzahlen zwischen Unternehmen nur bedingt möglich, sodass die entsprechenden Informationen für Investoren und andere Stakeholder nur eingeschränkt entscheidungsnützlich waren. Die European Financial Reporting Advisory Group (EFRAG) ist derzeit damit beschäftigt, verpflichtende Nachhaltigkeitsstandards zu entwickeln, welche zukünftig Anwendung finden müssen, um die Offenlegungspflichten gemäß der CSRD zu erfüllen. 2023 sollen speziell auf KMU angepasste Standards veröffentlicht werden, welche die Verhältnismäßigkeit der Berichtserstattungspflichten zur entsprechenden Unternehmensgröße wahren sollen. Weitere Details bezüglich der zu erwartenden Erleichterungen für KMU sind jedoch noch nicht bekannt. Zumindest sollen die Standards erst 3 Jahre nach der erstmaligen Anwendung von großen Unternehmen auch für KMU verpflichtend werden. Die erstmalige Veröffentlichung nichtfinanzieller Erklärungen von KMU gemäß der CSRD und den entsprechenden EFRAG-Standards ist für 2027 geplant. Das soll KMU ermöglichen, eine geeignete Infrastruktur für die Identifikation und Quantifizierung von Nachhaltigkeitsindikatoren aufzubauen. Welche Kosten hierbei konkret entstehen, ist zu diesem Zeitpunkt kaum abzuschätzen und wird insbesondere von den KMU-angepassten Standards abhängen. Auch die EU-Taxonomie soll für KMU gelten. Das bedeutet, dass, unabhängig von den EFRAG-Standards, KMU künftig die Taxonomiekonformität ihrer Wirtschaftsaktivitäten im Lagebericht offenlegen müssen.
Nachhaltigkeit und Finanzierungskosten
Die übergeordnete Zielsetzung der Sustainable Finance Initiative der Europäischen Kommission ist, die Kapitalallokation zu nachhaltigen Investitionen zu fördern. Welche Folgen dieses Eingreifen in die bestehenden Marktmechanismen im Einzelnen haben wird, ist bislang kaum abzuschätzen. Es ist jedoch naheliegend, dass die aktuellen Regulierungsmaßnahmen den Kapitalabzugstrend großer institutioneller Investoren (z.B. BlackRock) aus umweltschädlichen Unternehmen beschleunigt. Die SFDR erhöht die Transparenz über Nachhaltigkeitsrisiken und nachteilige Nachhaltigkeitsauswirkungen auf Ebene des Finanzprodukts (z.B. ETFs und Rentenfonds). Es ist wahrscheinlich, dass die Integration von Nachhaltigkeitskriterien im Portfoliomanagement in den kommenden Jahren zusätzlich an Bedeutung gewinnen wird. Nimmt die Präferenz von Investoren für Nachhaltigkeit weiter zu, kann dies zu einer Verringerung der erforderlichen Ertragsrate (required rate of return) für taxonomiekonforme Unternehmen führen. Umgekehrt ist es möglich, dass die Eigenkapitalaufnahme für nicht nachhaltige Unternehmen erschwert wird.
Artikel 8 der Taxonomie-Verordnung führt außerdem eine neue Nachhaltigkeitskennzahl für Kreditinstitute ein. Die Green Asset Ratio (GAR) beschreibt den Anteil der Wirtschaftsaktivitäten im Vergleich zum Gesamtportfolio eines Kreditinstitutes, die taxonomiekonform sind. Dies wird dazu führen, dass auch bei der Kreditaufnahme die entsprechenden Nachhaltigkeitskennzahlen eine Rolle spielen werden. Höhere Kreditkosten für nicht nachhaltige KMU werden zumindest nicht explizit gefordert. Welche Relevanz die GAR bei der Kreditvergabe letztendlich haben wird, ist derzeit noch nicht absehbar und wird von Bank zu Bank unterschiedlich sein.
Fazit
Das Thema Nachhaltigkeit gewinnt in der Realwirtschaft und an den Finanzmärkten rasant an Bedeutung. Die EU-Regulierungsinitiativen betreffen insbesondere KMU, welche mehrheitlich noch keine Erfahrung in der Nachhaltigkeitsberichtserstattung haben. Die Offenlegung quantitativer Kennzahlen im Lagebericht gemäß der EU-Taxonomie und der CSRD erfordert jetzt Investitionen in geeignete Berichtssysteme und Datenerhebungsprozesse. Eine hohe Datenqualität ist wichtig, um den Anforderungen einer externen Prüfung, welche in der CSRD angekündigt ist, gerecht zu werden. KMU sollten sich auch darauf einstellen, dass Nachhaltigkeit zunehmend vom Kapitalmarkt als Investitionsvoraussetzung eingefordert oder zumindest als Risikofaktor eingepreist wird. Außerdem sollten sich Geschäftsführende und Nachhaltigkeitsverantwortliche in KMU dessen bewusst sein, dass die EU Sustainable Finance Initiative konkrete realwirtschaftliche Implikationen haben kann. Beispielsweise kann die Auswahl des Zulieferunternehmens von Einzelteilen oder Rohstoffen die Taxonomiekonformität des Endproduktes beeinflussen. Insofern gewinnen Nachhaltigkeitskriterien auch bei Lieferverträgen verstärkt an Bedeutung.
Prof. Dr. Kerstin Lopatta ist Professorin für Financial Accounting, Auditing and Sustainability an der Universität Hamburg. Sie ist Mitglied im Sustainability Reporting Board der EFRAG und im Fachausschuss Nachhaltigkeitsberichterstattung des DRSC. Kerstin Lopatta ist Mitglied im Aufsichtsrat und Vorsitzende des Prüfungsausschusses der EQS Group AG.
Quelle: BAUM e.V. - Netzwerk für nachhaltiges Wirtschaften
Lifestyle | Geld & Investment, 01.07.2022
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 02/2022 mit dem Schwerpunkt: Wirtschaft im Wandel - Habeck Superstar? erschienen.
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