Durch Effizienz allein lässt sich die Umwelt- und Klimakrise nicht bewältigen. Effizienz kann nur dann im positiven Sinne zu Nachhaltigkeit beitragen, wenn Suffizienz die Leitplanken setzt. Damit digitale Technologien tatsächlich nachhaltige Lebens- und Wirtschaftsweisen begünstigen, wurde das Konzept der Digitalen Suffizienz entwickelt.
Autonomes Fahren wird als nachhaltige Lösung für effizientere Verkehrsführung angepriesen; Smart Farming und Precision Farming sollen eine effizientere Landwirtschaft mit gezielterem und dadurch geringerem Pestizideinsatz ermöglichen, während Smart Homes den Komfort im Haus erhöhen und gleichzeitig den Energieverbrauch optimieren sollen. Dabei ist die Hoffnung stets, dass digitale Innovationen Prozesse verbessern und Effizienz steigern.
Effizienzgewinne der Digitalisierung verpuffen
Bislang bleiben diese Hoffnungen weitgehend unerfüllt. Der Gesamtenergieverbrauch des IKT-Sektors ist zuletzt aufgrund des hohen Strombedarfs von Rechenzentren und Netzen deutlich angestiegen (Lange et al., 2020). Dies liegt daran, dass Effizienzgewinne der Digitalisierung häufig nicht (nur) zur Einsparung von Energie und Ressourcen eingesetzt werden, sondern dazu dienen, Verbräuche zu erhöhen und neue Konsumoptionen zu schaffen. Beispiel Smart Home: Zwar kann die Energienutzung im Haushalt gesenkt werden, gleichzeitig erhöht jedoch die Produktion der zusätzlichen digitalen Infrastruktur den Energieverbrauch wieder und steigert meist sogar den Ressourcenverbrauch (Pohl et al., 2021).
Die sog. Rebound- und Induktionseffekte verhindern, dass sich das Nachhaltigkeitspotenzial digitaler Innovationen entfalten kann. Beim Rebound-Effekt werden durch Effizienzsteigerungen erwartete Einsparpotenziale nicht erreicht, weil die eingesparten Ressourcen an anderer Stelle eingesetzt werden und damit auch der Energieverbrauch steigen kann. Wenn die erwarteten Einsparungen durch ein immer größeres Angebot von Konsumgütern und Dienstleistungen ausbleiben, ist von Induktionseffekten die Rede.
Vier Strategien für digitale Suffizienz
Entscheidend ist die Frage, wie viel Konsum Unternehmen und Konsument:innen als erstrebenswert erachten. Diese Erkenntnis setzt sich in der Debatte zur Verantwortung von Unternehmen und Gesellschaft für den sozial-ökologischen Wandel immer mehr durch und rückt Suffizienzstrategien in den Fokus. Suffizienz bedeutet, ein gutes Leben für alle zu ermöglichen und gleichzeitig Ressourcenverbrauch und Umweltauswirkungen, insbesondere im Globalen Norden, auf ein langfristig tragfähiges Maß zu reduzieren. Das Konzept der Digitalen Suffizienz umfasst insgesamt vier Bereiche, die darauf abzielen, den absoluten Verbrauch von Ressourcen und Energie digitaler Technologien direkt oder indirekt zu senken (Santarius et al., 2022).
Hardware-Suffizienz bedeutet, dass Hersteller langlebige, reparierbare und aufrüstbare Geräte entwickeln und damit deren Lebensdauer verlängern, wodurch die Nachfrage nach neuen Geräten reduziert wird. Auch verbesserte Recyclingsysteme können den Ressourcenverbrauch senken. Die Verlängerung der Lebensdauer ist umso dringlicher, als die absolute Anzahl digitaler Geräte ständig zunimmt (vgl. dazu den Beitrag von Eva Gouwens auf S. 120f).
Bei
Software-Suffizienz geht es darum, das Datenvolumen, den Datenverkehr und die Nachfrage nach Rechenleistung durch energieeffizientes und datensparsames Softwaredesign zu minimieren. Dabei bietet die Vermeidung unnötiger Datentransfers durch ungewollte Werbe- und Tracking-Dienste von Drittanbietern großes Potenzial. Bei Smartphone-Apps können so 3–8 Tonnen CO?-Äquivalente pro Jahr eingespart werden (Uijttewaal et al., 2021). Darüber hinaus bedeutet Software-Suffizienz, Rechenkapazitäten der aktuellen Nachfrage anzupassen, z.B. indem Software nicht benötigte Netzwerkinfrastruktur in einen Schlafmodus versetzt. Auch Free- und Open-Source-Software sowie Open-Data-Ansätze können einen suffizienten Umgang mit Daten und Rechenkapazitäten begünstigen.
Nutzungs-Suffizienz bedeutet, digitale Technologien energie- und ressourcensparsam einzusetzen oder sie zu verwenden, um suffiziente Praktiken zu fördern. Es geht darum, Nutzungspraktiken in Privathaushalten, Unternehmen und öffentlichen Institutionen so anzupassen, dass digitale Technologien nur zum Einsatz kommen, wenn sie tatsächlich zu mehr Nachhaltigkeit beitragen. Das kann bedeuten, weniger Geräte zu kaufen oder deren Lebensdauer durch Pflege, Wartung, Reparatur, Teilen oder Second Hand zu verlängern. Darüber hinaus können Apps und smarte Systeme suffiziente Lebensstile oder Wirtschaftsaktivitäten erleichtern.
Ökonomische Suffizienz schließlich hat das Ziel, mit Hilfe der Digitalisierung den Übergang zu einer Postwachstumsökonomie zu ermöglichen. Sie erfordert tiefere politische Eingriffe als die anderen Dimensionen. Zunächst sollten IKT-gestützte Verbesserungen der Arbeitsproduktivität dafür eingesetzt werden, die durchschnittliche Arbeitszeit zu reduzieren, so dass mehr Zeit für Care- und Subsistenzarbeit bleibt. Darüber hinaus sollten die digitalen Möglichkeiten genutzt werden, um eine Kreislaufwirtschaft zu fördern. Diese Entwicklungen setzen jedoch voraus, dass sich alternative Unternehmensformen wie gemeinwohlorientierte oder genossenschaftliche Unternehmen mit Hilfe der Politik etablieren.
So viel Digitalisierung wie nötig, so wenig wie möglich
Digitale Suffizienz fragt, welche Art von Digitalisierung wir brauchen, um unsere Lebensqualität zu sichern und gleichzeitig Umwelt und Klima zu schützen, und wie viel Digitalisierung eigentlich genug ist. Eine solche Perspektive kann aufzeigen, dass beispielsweise die Förderung ökologischer Landwirtschaft zielführender ist als Smart Farming oder die Investition in Bus und Bahn mehr bringt als Autonomes Fahren. Zudem eröffnet sie eine wertebasierte Diskussion, in der soziale Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit höher gewichtet sind als schnelllebiger Konsum und Profite von Industrie und IT-Konzernen. Digitale Räume können dieses Umdenken durchaus begünstigen. Beispiele wie Free- und Open-Source-Software, das nichtkommerziell organisierte Wikipedia oder das offene Betriebssystem Linux zeigen, dass gemeinschaftliches Nutzen, Erarbeiten und Teilhaben gerade hier gut funktionieren. Richtig eingesetzt, sind die Effizienzpotenziale der Digitalisierung zudem weiterhin enorm. Flankiert von digitaler Suffizienz können diese Innovationen zu einer nachhaltigeren und sozial gerechteren digitalen Welt beitragen.
- Dr. Vivian Frick ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für ökologische Wirtschaftsforschung. Der Forschungsschwerpunkt der Sozial- und Umweltpsychologin liegt auf sozial-ökologischer Transformation, digitalem Wandel und Verhaltensveränderung für einen suffizienten Lebensstil.
- Dr. Mareike Gossen ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachgebiet Sozial-ökologische Transformation der TU Berlin. Sie forscht und lehrt zu den Themen nachhaltiger Konsum, suffizienzförderndes Marketing und sozial-ökologische Transformation.
Quellen:
Lange, S., Pohl, J. & Santarius, T. (2020): Digitalization and energy consumption. Does ICT reduce energy demand? Ecological Economics, 176, 106760. DOI: 10.1016/j.ecolecon.2020.106760.
Pohl, J., Frick, V., Hoefner, A., Santarius, T. & Finkbeiner, M. (2021): Environmental saving potentials of a smart home system from a life cycle perspective: How green is the smart home? Journal of Cleaner Production, 312, 127845. DOI: 10.1016/j.jclepro.2021.127845.
Santarius, T., Bieser, J.C.T., Frick, V., Höjer, M., Gossen, M., Hilty, L. M., Kern, E., Pohl, J., Rohde, F., Lange, S. (2022): Digital sufficiency: conceptual considerations for ICTs on a finite planet. Annals of telecommunications. DOI: 10.1007/s12243-022-00914-x.
Uijttewaal, Meis, Bergsma, Geert & Scholten, Thijs (2021): Carbon footprint of unwanted data-use by smartphones: An analysis for the EU. https://cedelft.eu/publications/carbon-footprint-of-unwanted-data-use-by-smartphones-an-analysis-for-the-eu/