Verheerende CO2-Bilanz von internationalen Messen
CO2-Fußabdruck der IFA größer als der von Frankfurt
- Studie der Hochschule Macromedia Köln im Auftrag von Visable sieht in internationalen Messen riesige CO2-Schleudern
- CO2-Fußabdruck der IFA größer als der von Frankfurt
- Digitalisierung als Ausweg: Hybride Modelle belasten das Klima weniger
Die lebendige öffentliche Diskussion über nachhaltiges Wirtschaften und CO2-Reduktion in Deutschland hat einen blinden Fleck: Nirgends wird bisher der immense CO2-Verbrauch von Messeveranstaltungen thematisiert. Der Hamburger B2B-Plattformbetreiber Visable und die Hochschule Macromedia Köln haben sich die Thematik im Rahmen der Studie „Messewirtschaft - Epochenwechsel oder ‚back to normal‘?" jetzt einmal genauer angeschaut.
Das Ergebnis ist eindeutig: Die CO2-Bilanz von internationalen Messen ist durch die immense Flugreisetätigkeit katastrophal – und niemand nimmt Anstoß daran. Es gibt noch nicht einmal gesetzliche Regelungen zur Offenlegung des CO2-Verbrauchs. Visable CEO Peter F. Schmid sagt als Mitinitiator der Studie dazu: „Das Veranstalten von Messen und der damit verbundene Reiseverkehr der internationalen Besucher verursachen riesige Mengen CO2. Aber niemand packt das Thema an. Das können wir uns nicht leisten, wenn wir es mit dem Klimaschutz ernst meinen."
Vor allem der Flugverkehr der Messebesucher belastet die Bilanz
Auch Prof. Dr. Mareike Müller von der Hochschule Macromedia Köln übt als wissenschaftliche Autorin der Studie Kritik am Ist-Zustand: „Wer verantwortet eigentlich bei der CO2-Bilanz die ressourcenintensiven Reiseaktivitäten der Aussteller und Besucher? Diese Frage ist der wichtigste Aspekt für die CO2-Reduzierung, aber hier fehlt es vollständig an Transparenz!" Eine Zahl aus der Studie verdeutlicht das Ausmaß: Der Mobile World Congress in Barcelona bilanziert seit 2011 seine CO2-Emissionen. Bis zu 90% der CO2-Emissionen der Veranstaltung entfallen demnach auf die An- und Abreise sowie die Übernachtung der internationalen Teilnehmer. Mobilität ist also der entscheidende Faktor in der äußerst schlechten CO2-Bilanz von Messeveranstaltungen. Vergleichbare offizielle Zahlen von Messeveranstaltern aus Deutschland? Fehlanzeige.
Der Blick auf eine konkrete Messeveranstaltung in Deutschland macht die Problematik greifbar. Vom 2.-6. September findet in Berlin die Internationale Funkausstellung (IFA) statt, eine international renommierte Leitmesse. Die Macromedia hat beispielhaft den CO2-Verbrauch der Veranstaltung berechnet. Das Ergebnis auf Basis der letzten Besucherzahlen vor der Pandemie (2019): Allein die Flüge der 82.739 internationalen Besucher verursachten 110.000 Tonnen an CO2-Belastung. In fünf Tagen Messe. Zum Vergleich: So viel CO2 verbrauchen 886.012 Deutsche im gleichen Zeitraum, wenn eine jährliche Pro-Kopf-Emission von 9,7 Tonnen CO2 zugrunde gelegt wird (Stand 2019). Köln hat 1.083.498 Einwohner, Frankfurt am Main 759.224 Einwohner. Rechnete man das CO2 der IFA zu Lasten Berlins, so stiege Berlins Fußabdruck während der IFA-Zeit um 24%.
Müller fasst zusammen: „Der CO2-Abdruck der IFA ist enorm. Es ist, als würde Berlin für die Dauer der Messe um die Größe Frankfurts anwachsen. So rechnet man offiziell nicht, aber es verdeutlicht das Problem." Noch drastischer werden die Dimensionen bei einem Blick auf das gesamte Messewesen in Deutschland. 2019 kamen ungefähr 3,2 Millionen ausländische Messebesucher nach Deutschland. Die Studie errechnet dafür einen CO2-Fußabdruck von ca. 3 Millionen Tonnen CO2. Das ist fast doppelt so viel wie der komplette DB-Konzern im Schienen-, Straßen-, Luft- und Schiffsverkehr ausstößt. Schmid verdeutlicht, was das in typischen Messezeiträumen bedeutet: „Wir gehen davon aus, dass der durchschnittliche ausländische Messebesucher mit An- und Abreise fünf Tage in Deutschland ist. In diesen fünf Tagen verbrauchen die vergleichsweise wenigen internationalen Messebesucher allein über ihre Reisetätigkeit so viel CO2 wie 22,6 Millionen Deutsche in der gleichen Zeit. Das sind alle neuen Bundesländer inklusive Berlin. Und dann noch Hessen obendrauf."
Die Messewirtschaft muss ihr Geschäftsmodell überdenken
Müller nimmt Politik und Messewirtschaft in die Pflicht: „Den CO2-Verbrauch von Messen schaut sich bislang niemand in der Politik ernsthaft an. Das muss sich ändern. Für ganzheitlich nachhaltig ausgerichtete Veranstaltungskonzepte müssen Rahmenbedingungen geschaffen werden. Es reicht eben nicht, Solarpanels auf den Dächern der großen Messehallen in Deutschland zu installieren und zu denken, damit sei alles gut. Die Messewirtschaft muss sich insgesamt verändern." Die Studie fordert dazu auf, die Zuständigkeit für die CO2-Bilanzierung von Reiseaktivitäten bei Messen schnell zu klären. Die Veranstalter müssten sich klar zu Klimaschutz und Nachhaltigkeit bekennen und entsprechend handeln. Dafür bedürfe es entsprechender öffentlicher Aufmerksamkeit für das Thema.
Einen möglichen Weg Richtung Nachhaltigkeit sieht die Studie in virtuellen oder hybriden Messemodellen. Schmid ist allerdings irritiert von der Zurückhaltung der Messeveranstalter, was den Übergang in ein digitales Zeitalter angeht: „Bedenklich finde ich, dass nicht einmal die IFA als Technologiemesse versucht, Treiber des digitalen Wandels ihrer Branche zu sein. Haben denn noch nicht genügend Branchen den digitalen Wandel verschlafen? Gerade Messen sind doch Orte, an denen Informationsvermittlung und Kommunikation im Mittelpunkt stehen - und beides ändert sich gerade massiv durch die Digitalisierung. Wer glaubt denn ernsthaft, dass das zutiefst analoge Messemodell aus dem Mittelalter sich da nicht anpassen müsste? Das ist ja auch eine enorme Chance für die Messebetreiber. Aber wenn sie die nicht bald nutzen, dann sind die Aussichten für die IFA und die deutsche Messewirtschaft düster."
Kontakt: TDUB Kommunikationsberatung, Daniel Gerloff | visable@tdub.de
Wirtschaft | Branchen & Verbände, 29.08.2022
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