"Nur wer eine Idee davon hat, wohin die Reise gehen soll, wird in einer Krise den Mut finden, neue Wege zu gehen."
Christoph Quarch wünscht sich einen gesellschaftlichen Diskurs darüber, von welcher Zukunft wir träumen.
Keines der G7-Länder schafft nach heutigem Stand das 2015 beim Pariser Klimagipfel ausgegebene Ziel, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Experten der Londoner Nonprofit-Organisation CDP (Carbon Disclosure Project) haben ermittelt, dass die Industriestaaten derzeit auf eine Erderwärmung von 2,7 Grad zusteuern. Dabei gehört Deutschland sogar zu den Ländern, die noch am besten abschneiden: Immerhin sei die hiesige Wirtschaft auf einem Pfad in Richtung 2,2 Grad. Doch auch das ist noch zu viel. Da fragt man sich: Warum kommen wir nicht schneller voran? Darüber sprechen wir mit dem Philosophen Christoph Quarch.
Herr Quarch, geht es uns immer noch zu gut, um endlich die nötigen Emissionseinsparungen hinzubekommen?
Ich bin kein Anhänger der Theorie, dass es einem Menschen immer erst dreckig gehen muss, bevor er etwas in seinem Leben ändert. Die Erfahrung lehrt, dass die entscheidenden Faktoren bei Veränderungen nicht Leid, Verlust und Kummer sind, sondern das genaue Gegenteil: Begeisterung, Leidenschaft und Freude. Nur wer eine Idee davon hat, wohin die Reise gehen soll, wird in einer Krise den Mut finden, neue Wege zu gehen. Davon sind wir in Deutschland und wohl auch in anderen Industrienationen weit entfernt. Gerade hierzulande neigt man eher dazu, in Verlustängsten zu schwelgen, als gemeinsam in die Zukunft zu schauen.
Ich bin kein Anhänger der Theorie, dass es einem Menschen immer erst dreckig gehen muss, bevor er etwas in seinem Leben ändert. Die Erfahrung lehrt, dass die entscheidenden Faktoren bei Veränderungen nicht Leid, Verlust und Kummer sind, sondern das genaue Gegenteil: Begeisterung, Leidenschaft und Freude. Nur wer eine Idee davon hat, wohin die Reise gehen soll, wird in einer Krise den Mut finden, neue Wege zu gehen. Davon sind wir in Deutschland und wohl auch in anderen Industrienationen weit entfernt. Gerade hierzulande neigt man eher dazu, in Verlustängsten zu schwelgen, als gemeinsam in die Zukunft zu schauen.
Dafür gibt es gute Gründe. Die Menschen hierzulande haben sich seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs einen außerordentlichen Wohlstand erarbeitet. Den möchte man nun nicht wieder einbüßen.
Diese Sichtweise kommt mir vor wie ein psychologisches Feigenblatt, das etwas verdecken soll, für das man sich schämen sollte: unseren Egoismus. Und das ist kein Wunder: Man hat uns über Jahrzehnte das Dogma eingetrichtert, es sei gut, immer mehr haben zu wollen – und es stehe einem zu, alles was man will zu konsumieren. Noch immer gibt es liberale Politiker, die gebetsmühlenartig predigen, niemand solle auf irgendetwas verzichten müssen. Aber das ist Unsinn. Leben heißt: Verzichten. Wer krank wird, muss verzichten. Wer Kinder in die Welt setzt, muss verzichten. Ja, auch wenn man das kaum sagen darf: Wer alt wird, muss verzichten. Verzichten ist ein Naturgesetz. Aber wir glauben immer noch, gegen die Naturgesetze verstoßen zu dürfen und wundern uns, wenn die Natur zurückschlägt.
Meinen Sie, dass die Klimaziele ohne Verzicht nicht erreicht werden können?
Absolut. Wir alle werden verzichten lernen müssen, wenn wir nicht warten wollen, bis die Natur uns dazu zwingt. Stichwort Wasserknappheit. Die wirklich relevante Frage ist: Worauf können und wollen wir am ehesten verzichten? Wo liegen unsere Einsparpotenziale? Eigentlich ist es großartig, dass die aktuelle Energiekrise – und unsere Regierung – uns jetzt dazu zwingen, diese Frage an uns ranzulassen. Und man staunt, wozu das führt. Gerade habe ich von dem Filialleiter einer Baumarktkette gehört, der die Idee hatte, mal um Mitternacht in seinem Markt zu schauen, was da an elektrischen Geräten läuft. Das Ergebnis: Zigtausend Kilowattstunden können – buchstäblich – über Nacht eingespart werden. Was im Großen geht, geht auch im Kleinen.
Aber wir tun es nicht. Ist die Macht der Gewohnheit doch zu groß?
Danke, dass Sie noch mal nachfassen. So kann ich zu meiner Anfangsthese zurückkommen. Ich sagte ja: Um der Macht der Gewohnheit zu entkommen und Krisen konstruktiv zu nutzen, braucht es begeisternde Visionen oder Perspektiven. Wir alle wissen das: Wann haben wir etwas geändert in unserem Leben? Wenn wir uns neu verliebt haben. Wenn wir für etwas gebrannt haben. Wenn das Feuer der Leidenschaft ins uns loderte. Und das wünsche ich mir für unser Land: dass wir aufhören, alles schlecht zu reden, ständig Panik zu verbreiten, rumzujammern dass wir jetzt auf irgendwas verzichten müssen. Wie wäre es mit einem gesellschaftlichen Diskurs darüber, von welcher Zukunft wir träumen. Was wir uns für unsere Enkel wünschen – und darauf zu hören, wovon unsere jungen Leute träumen. Eigentlich wissen wir es ja: ein gesundes, gemeinschaftliches, ökologisch intaktes Leben. Darüber sollten wir öfter reden anstatt uns in Gejammer zu ergehen.
Der Bestseller-Autor Christoph Quarch ist Philosoph aus Leidenschaft. Seit ihm als junger Mann ein Büchlein mit »Platons Meisterdialogen« in die Hand fiel, beseelt ihn eine glühende Liebe (philia) zur Weisheit (sophia), die er als Weg zu einem erfüllten und lebendigen Leben versteht. Als Autor, Publizist, Berater und Seminarleiter greift er auf die großen Werke der abendländischen Philosophen zurück, um diese in eine zeitgemäße Lebenskunst und Weltdeutung zu übersetzen."
In seinem neuen Buch "Begeistern! Wie Unternehmen über sich hinauswachsen" geht's um Fragen wie diese:
Wie kommt der Geist in unsere Unternehmen? – Durch Begeisterung! Und wie entsteht Begeisterung? Anders als die meisten glauben.
Als forum-Redakteur zeichnete Christoph Quarch verantwortlich für den Sonderteil „WIR - Menschen im Wandel".
Gesellschaft | Megatrends, 10.09.2022
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