Die Zeit der Freiwilligkeit ist vorbei
Transparenz in Lieferketten
Die (völlig legale) Praxis von Unternehmen, in erster Linie auf den größtmöglichen wirtschaftlichen Erfolg hinzuarbeiten und sich mit Lobbyarbeit gegen alles zu wenden, was dem entgegenstehen könnte, hat uns in eine missliche Lage gebracht: Unser Planet ist am Limit, die globalen Ungerechtigkeiten sind erschütternd, die gesellschaftlichen Systeme auf der Kippe. Deshalb wird es Zeit für verbindliche, ambitionierte und schnell wirksame gesetzliche Rahmenbedingungen für mehr Nachhaltigkeit in der Wirtschaft. Dies verhindern zu wollen, ist rückwärtsgewandt und verschlimmert nur, was schon schlimm genug ist.
Unternehmen haben einen bedeutenden Einfluss auf die ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen, in denen wir alle leben. Nicht nur mit ihren Dienstleistungen und Produkten prägen sie Lebensstandard und Kultur. Mindestens ebenso wichtig ist der Einfluss von Unternehmen auf Lebensqualität, Wohlstand und Entwicklung all der Menschen, die mit ihnen verbunden sind – eigene Mitarbeitende, aber auch die Arbeitskräfte in den Lieferketten. Hier entscheidet sich wesentlich, ob Unternehmen einen positiven oder negativen Beitrag zum Weltgeschehen leisten.
Natürlich gibt es Unternehmen, die ihre Lieferantenbeziehungen über Preis, Menge und Lieferzeiten hinaus im Sinne partnerschaftlicher und fairer Geschäftsbeziehungen auf Augenhöhe pflegen. Die unter Qualität nicht nur technische Performance, sondern auch Menschenrechte sowie Umwelt- und Verbraucherschutz verstehen. Ganz freiwillig, einfach aus persönlichem Verantwortungsbewusstsein.
Wäre dies der unternehmerische Normalfall, gäbe es auf unserem Planeten einige Probleme weniger. Die Realität sieht leider anders aus. Die freiwillige Analyse der eigenen Auswirkungen von Unternehmen auf Mensch und Natur, freiwilliges Reporting und freiwillige Verbesserungsmaßnahmen haben bei weitem nicht zu einem ausreichenden Engagement der Wirtschaft geführt, ihren Beitrag zu den Nachhaltigen Entwicklungszielen der Vereinten Nationen, zum Pariser Klimaschutzabkommen oder zur Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen zu leisten.
Lobbyarbeit für eine nachhaltige Wirtschaftspolitik ist selten
Viele Unternehmen nutzen ihren Einfluss nicht, um in ihren Netzwerken aktiv für mehr Gerechtigkeit, mehr Entwicklung und mehr Vertrauen zu sorgen. Oft genug ist sogar das Gegenteil der Fall: Die eigene Verantwortung wird geleugnet oder zumindest ignoriert. Und ja, auch wenn diese Aussage weh tut: Es hat immer noch Seltenheitswert, dass Unternehmen und ihre Verbände Lobbyarbeit im Sinne einer wirklich nachhaltigen Wirtschaftspolitik betreiben.
Dabei geht an nachhaltigem Wirtschaften kein Weg vorbei – nicht nur aus moralischen Gründen, sondern auch aus einer Perspektive des unternehmerischen Risikomanagements. Für Unternehmen entstehen unkalkulierbare wirtschaftliche und Reputations-Risiken, wenn sie in einer sich immer schneller und „radikaler" entwickelnden Welt ungeplant und damit viel kostenintensiver auf Situationen reagieren müssen. Aktuelle Beispiele: Die Versorgungskrise mit fossiler Energie, die auch ohne Krieg in der Ukraine lange schon absehbar war. Das Verbot der Chemikalie PFOA in der EU. Das Importverbot für Produkte mit Baumwolle aus Xingjiang in die USA.
Interne und externe Stakeholder wie Mitarbeitende, Kund:innen und Investor:innen hinterfragen immer stärker, ob sie ihre Arbeits- oder Finanzkraft in Unternehmen investieren wollen, die nicht Richtung Nachhaltigkeit aktiv werden. Fehlende verbindliche Vorgaben, worüber Unternehmen die Öffentlichkeit unterrichten müssen, öffnen derzeit aber Tür und Tor für Greenwashing und Shitstorms und führen zur Verwirrung von Konsument:innen, statt Angebot und Nachfrage gezielt in Richtung Nachhaltigkeit zu lenken.
Faire Marktbedingungen durch klare gesetzliche Vorgaben
Unternehmen, die bereits aktiv in Richtung nachhaltigen Wirtschaftens umsteuern und darüber freiwillig öffentlich berichten, tragen derzeit in der Regel die zusätzlichen Kosten selbst – und zwar sowohl für Analysen und Reporting als auch für die Umsetzung von Maßnahmen für Umwelt- und Verbraucherschutz sowie Wahrung der Menschenrechte. Sie sind damit am Markt häufig im Nachteil gegenüber Unternehmen, denen Profit wichtiger ist als Menschenrechte.
Gesetzliche Regelungen schaffen verbindliche Grundlagen für ein Problembewusstsein in den Führungsetagen der Unternehmen und ermöglichen eine systematische Bewertung der Risiken sowohl für Mensch und Natur als auch für die Zukunftsfähigkeit des eigenen Geschäftsmodells. Sie sind ein wichtiger Baustein für die Wettbewerbsfähigkeit von europäischen Unternehmen im globalen Markt. Klare Regelungen zur Berichterstattung sorgen für Transparenz und damit Vertrauen. Sie unterbinden Greenwashing und fördern stattdessen echten nachhaltigen Konsum, der auch wirtschaftlichen Erfolg mit sich bringt.
Chance für eine echte Transformation der Wirtschaft
Abwehrende Appelle von Unternehmen zur Abschwächung oder Verzögerung von Gesetzen müssen enden! Unternehmensverbände aller Branchen sollten konstruktiv und kreativ an verbindlichen, ambitionierten und schnell wirksamen gesetzlichen Regelungen zu Sorgfaltspflichten und Nachhaltigkeitsberichterstattung mitwirken. Sie machen sich ansonsten auf fahrlässige Weise mitschuldig – nicht nur gegenüber vulnerablen Gruppen und folgenden Generationen, sondern auch gegenüber ihren Mitgliedsunternehmen, wenn sie suggerieren, dass „Business as usual" einfach weitergehe.
In dem hoffentlich baldigen Ende der Freiwilligkeit liegt eine große Chance für eine echte Transformation der Wirtschaft. Klare gesetzliche Vorgaben sind ein Gewinn für die betroffenen Menschen und sorgen für die Zukunftsfähigkeit unserer Wirtschaft. Nachhaltiges Wirtschaften muss endlich zum unternehmerischen Normalfall werden.
Hilke Patzwall ist seit 2006 beim Sportartikelhersteller VAUDE verantwortlich für die Nachhaltigkeit des Unternehmens, insbesondere die kontinuierliche Weiterentwicklung der Nachhaltigkeitsstrategie sowie die Integration von Nachhaltigkeitsaspekten in alle Unternehmensbereiche, Produkte und die Lieferkette. Sie ist stellvertretende Vorsitzende des Beirats Umwelt und Sport des Bundesumweltministeriums, Sprecherin der Arbeitsgruppe CSR im Bundesverband Deutscher Sportartikelindustrie (BSI) und Mitglied der Strategiegruppe Sorgfaltspflichten im Bündnis für nachhaltige Textilien.
Stephanie Herrling ist seit 2004 bei VAUDE und zeichnet verantwortlich für die CSR-Kommunikation. Beide sind Mitglieder des interdisziplinären CSR-Teams des Familienunternehmens, das sich für hohe ökologische und soziale Standards engagiert.
Unternehmen haben einen bedeutenden Einfluss auf die ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen, in denen wir alle leben. Nicht nur mit ihren Dienstleistungen und Produkten prägen sie Lebensstandard und Kultur. Mindestens ebenso wichtig ist der Einfluss von Unternehmen auf Lebensqualität, Wohlstand und Entwicklung all der Menschen, die mit ihnen verbunden sind – eigene Mitarbeitende, aber auch die Arbeitskräfte in den Lieferketten. Hier entscheidet sich wesentlich, ob Unternehmen einen positiven oder negativen Beitrag zum Weltgeschehen leisten.
Natürlich gibt es Unternehmen, die ihre Lieferantenbeziehungen über Preis, Menge und Lieferzeiten hinaus im Sinne partnerschaftlicher und fairer Geschäftsbeziehungen auf Augenhöhe pflegen. Die unter Qualität nicht nur technische Performance, sondern auch Menschenrechte sowie Umwelt- und Verbraucherschutz verstehen. Ganz freiwillig, einfach aus persönlichem Verantwortungsbewusstsein.
Wäre dies der unternehmerische Normalfall, gäbe es auf unserem Planeten einige Probleme weniger. Die Realität sieht leider anders aus. Die freiwillige Analyse der eigenen Auswirkungen von Unternehmen auf Mensch und Natur, freiwilliges Reporting und freiwillige Verbesserungsmaßnahmen haben bei weitem nicht zu einem ausreichenden Engagement der Wirtschaft geführt, ihren Beitrag zu den Nachhaltigen Entwicklungszielen der Vereinten Nationen, zum Pariser Klimaschutzabkommen oder zur Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen zu leisten.
Lobbyarbeit für eine nachhaltige Wirtschaftspolitik ist selten
Viele Unternehmen nutzen ihren Einfluss nicht, um in ihren Netzwerken aktiv für mehr Gerechtigkeit, mehr Entwicklung und mehr Vertrauen zu sorgen. Oft genug ist sogar das Gegenteil der Fall: Die eigene Verantwortung wird geleugnet oder zumindest ignoriert. Und ja, auch wenn diese Aussage weh tut: Es hat immer noch Seltenheitswert, dass Unternehmen und ihre Verbände Lobbyarbeit im Sinne einer wirklich nachhaltigen Wirtschaftspolitik betreiben.
Dabei geht an nachhaltigem Wirtschaften kein Weg vorbei – nicht nur aus moralischen Gründen, sondern auch aus einer Perspektive des unternehmerischen Risikomanagements. Für Unternehmen entstehen unkalkulierbare wirtschaftliche und Reputations-Risiken, wenn sie in einer sich immer schneller und „radikaler" entwickelnden Welt ungeplant und damit viel kostenintensiver auf Situationen reagieren müssen. Aktuelle Beispiele: Die Versorgungskrise mit fossiler Energie, die auch ohne Krieg in der Ukraine lange schon absehbar war. Das Verbot der Chemikalie PFOA in der EU. Das Importverbot für Produkte mit Baumwolle aus Xingjiang in die USA.
Interne und externe Stakeholder wie Mitarbeitende, Kund:innen und Investor:innen hinterfragen immer stärker, ob sie ihre Arbeits- oder Finanzkraft in Unternehmen investieren wollen, die nicht Richtung Nachhaltigkeit aktiv werden. Fehlende verbindliche Vorgaben, worüber Unternehmen die Öffentlichkeit unterrichten müssen, öffnen derzeit aber Tür und Tor für Greenwashing und Shitstorms und führen zur Verwirrung von Konsument:innen, statt Angebot und Nachfrage gezielt in Richtung Nachhaltigkeit zu lenken.
Faire Marktbedingungen durch klare gesetzliche Vorgaben
Unternehmen, die bereits aktiv in Richtung nachhaltigen Wirtschaftens umsteuern und darüber freiwillig öffentlich berichten, tragen derzeit in der Regel die zusätzlichen Kosten selbst – und zwar sowohl für Analysen und Reporting als auch für die Umsetzung von Maßnahmen für Umwelt- und Verbraucherschutz sowie Wahrung der Menschenrechte. Sie sind damit am Markt häufig im Nachteil gegenüber Unternehmen, denen Profit wichtiger ist als Menschenrechte.
Gesetzliche Regelungen schaffen verbindliche Grundlagen für ein Problembewusstsein in den Führungsetagen der Unternehmen und ermöglichen eine systematische Bewertung der Risiken sowohl für Mensch und Natur als auch für die Zukunftsfähigkeit des eigenen Geschäftsmodells. Sie sind ein wichtiger Baustein für die Wettbewerbsfähigkeit von europäischen Unternehmen im globalen Markt. Klare Regelungen zur Berichterstattung sorgen für Transparenz und damit Vertrauen. Sie unterbinden Greenwashing und fördern stattdessen echten nachhaltigen Konsum, der auch wirtschaftlichen Erfolg mit sich bringt.
Chance für eine echte Transformation der Wirtschaft
Abwehrende Appelle von Unternehmen zur Abschwächung oder Verzögerung von Gesetzen müssen enden! Unternehmensverbände aller Branchen sollten konstruktiv und kreativ an verbindlichen, ambitionierten und schnell wirksamen gesetzlichen Regelungen zu Sorgfaltspflichten und Nachhaltigkeitsberichterstattung mitwirken. Sie machen sich ansonsten auf fahrlässige Weise mitschuldig – nicht nur gegenüber vulnerablen Gruppen und folgenden Generationen, sondern auch gegenüber ihren Mitgliedsunternehmen, wenn sie suggerieren, dass „Business as usual" einfach weitergehe.
In dem hoffentlich baldigen Ende der Freiwilligkeit liegt eine große Chance für eine echte Transformation der Wirtschaft. Klare gesetzliche Vorgaben sind ein Gewinn für die betroffenen Menschen und sorgen für die Zukunftsfähigkeit unserer Wirtschaft. Nachhaltiges Wirtschaften muss endlich zum unternehmerischen Normalfall werden.
Hilke Patzwall ist seit 2006 beim Sportartikelhersteller VAUDE verantwortlich für die Nachhaltigkeit des Unternehmens, insbesondere die kontinuierliche Weiterentwicklung der Nachhaltigkeitsstrategie sowie die Integration von Nachhaltigkeitsaspekten in alle Unternehmensbereiche, Produkte und die Lieferkette. Sie ist stellvertretende Vorsitzende des Beirats Umwelt und Sport des Bundesumweltministeriums, Sprecherin der Arbeitsgruppe CSR im Bundesverband Deutscher Sportartikelindustrie (BSI) und Mitglied der Strategiegruppe Sorgfaltspflichten im Bündnis für nachhaltige Textilien.
Stephanie Herrling ist seit 2004 bei VAUDE und zeichnet verantwortlich für die CSR-Kommunikation. Beide sind Mitglieder des interdisziplinären CSR-Teams des Familienunternehmens, das sich für hohe ökologische und soziale Standards engagiert.
Quelle: B.A.U.M. e.V. - Netzwerk für nachhaltiges Wirtschaften
Wirtschaft | Lieferkette & Produktion, 27.11.2022
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 04/2022 mit dem Schwerpunkt: Globale Ziele und Klimaschutz - Zeit, die Stimme zu erheben und endlich zu handeln? erschienen.
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