Heldinnen im Hintergrund
Die globalen Nachhaltigkeitsziele 2030 – Entstehungsgeschichte und Potenzial der SDG
Jede*r kennt sie: die bunten Kacheln der globalen Nachhaltigkeitsziele, der Sustainable Development Goals (SDG), auf die sich die Vereinten Nationen 2015 als globale Agenda 2030 verständigt haben. Alle Länder dieser Erde. Sie wurden im gleichen Jahr wie das Klimaabkommen von Paris verabschiedet, und man geht davon aus, dass der Konsens in Paris, die mittlere globale Erwärmung auf unter zwei Grad Celsius zu begrenzen, ohne die SDG nicht möglich geworden wäre.
Starke Frauen zeigen den Weg in die Zukunft: Paula Caballero und ihr Team in Peru. © The Nature Conservancy
Die große Vision
Paula Caballero, eine energische und gleichzeitig bescheidene Frau, hat die Sustainable Development Goals (SDG) auf den Weg gebracht. © The Nature ConservancyPaula Caballero arbeitete 2011, als die Fortsetzung der globalen Entwicklungsagenda, der Millenium Development Goals (MDG), noch offen war, als Direktorin für wirtschaftliche, soziale und ökologische Angelegenheiten im kolumbianischen Außenministerium. Vizeministerin Patrizia Londoño unterstützte ihren grundlegend neuen Ansatz, eine große Vision für alle Staaten weltweit zu formulieren. Zwei Frauen sind somit der initiale Nukleus für die große Idee einer globalen Entwicklungsagenda, die im Sommer 2011 ihren Anfang nahm. Die nächsten Kolleg*innen, die Paula Caballero auf dem diplomatischen Parkett unterstützten, waren Jimena Leiva aus Guatemala, Ye-Min Wu aus Singapur und später Rita Mishaan aus Guatemala sowie die Mexikanerin Alicia Bárcena, Exekutivsekretärin der Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik.
Sechs Frauen und drei Männer, darunter der kolumbianische Botschafter und stellvertretende ständige Vertreter bei der UNO in New York, bildeten schließlich den initialen Kreis für diese große, kluge Vision, die jedes Land dieser Erde einbezieht in die Anforderungen der großen, grundlegenden Transformation, wie sie Gro Harlem Brundlandt mit ihrer Kommission 1987 in „Our Common Future" bereits formulierte.
Es ist ein Teil des Erfolgs, dass die Idee der globalen Nachhaltigkeitsziele ihren Ursprung in einem südamerikanischen Land nahm und damit nicht aus den Regionen der Welt kommt, die seit Jahrhunderten gewohnt sind, hegemoniale Politik zu machen. Die Unterstützung der Europäischen Union war früh da, doch hielt man sich zurück, dies allzu öffentlich zu machen. Im November 2011 wurden die SDG allerdings bereits in den offiziellen Verhandlungstext für den Rio+20-Gipfel aufgenommen. Der erste Meilenstein war erreicht.
Wo stehen die SDG heute?
Sind wir mutig genug, Gegenwart und Zukunft neu zu denken?
Die Aufgabe lautet, uns in unseren jeweiligen Wirkungskreisen immer wieder dafür einzusetzen, dass die nachhaltigere Option im Vergleich zum Status quo gewählt und Hindernisse für die Wahl der konsequent nachhaltigen Option aus dem Weg geräumt werden. Haupthindernisse sind das „Nicht-Wahrhaben-Wollen", das Silodenken und die Scheu vor systemischem, vernetztem Denken. Wir müssen genauso klug und entschlossen sein, wie es Paula Caballero und Patti Londoño waren, als sie eine*n nach dem und der anderen überzeugt und eingesammelt haben. Der Lohn werden eine resiliente Gesellschaft und Wirtschaft sein, der Ertrag neue Partnerschaften beider mit der Politik.

Wie ist dieses Leitmotiv der Agenda 2030 entstanden, die sich auf fünf „P" konzentriert, nämlich People, Planet, Prosperity, Peace und Partnership (zu Deutsch: Menschen, Planet, Wohlstand, Frieden und Partnerschaft)? Antwort: über Jahre. Wer waren die treibenden Kräfte? Antwort: Frauen. Im Gegensatz zum weltbekannten Abschlussfoto der COP 21 in Paris wäre ein Gruppenbild der Menschen, die die SDG „erfunden" und über Jahre in einem diplomatischen Prozess vorangebracht haben, von Frauen dominiert. Dieses Bild der SDG gibt es leider nicht. Deshalb zeichne ich es hier, um einmal bewusst zu machen, warum die SDG so grundlegend anders sind und uns so grundlegend anders ansprechen, wenn wir sie lassen.
Die große Vision

Sechs Frauen und drei Männer, darunter der kolumbianische Botschafter und stellvertretende ständige Vertreter bei der UNO in New York, bildeten schließlich den initialen Kreis für diese große, kluge Vision, die jedes Land dieser Erde einbezieht in die Anforderungen der großen, grundlegenden Transformation, wie sie Gro Harlem Brundlandt mit ihrer Kommission 1987 in „Our Common Future" bereits formulierte.
Es ist ein Teil des Erfolgs, dass die Idee der globalen Nachhaltigkeitsziele ihren Ursprung in einem südamerikanischen Land nahm und damit nicht aus den Regionen der Welt kommt, die seit Jahrhunderten gewohnt sind, hegemoniale Politik zu machen. Die Unterstützung der Europäischen Union war früh da, doch hielt man sich zurück, dies allzu öffentlich zu machen. Im November 2011 wurden die SDG allerdings bereits in den offiziellen Verhandlungstext für den Rio+20-Gipfel aufgenommen. Der erste Meilenstein war erreicht.
Wo stehen die SDG heute?
Sie sind präsent: in der Kommunikation von Unternehmen, bei zivilgesellschaftlichen Organisationen, auf den verschiedenen politischen Ebenen. Sie sind da, machen mit ihrer Buntheit der 17 Kacheln gute Laune und verursachen zugleich Zweifel: Taugen sie überhaupt? Diese Frage wird immer wieder gestellt. Mein Eindruck ist, der Zweifel ist beliebt, denn er fällt leichter als der Blick in die Details und schafft wohltuende Distanz. Distanz, die eine*n herausnimmt aus der Verantwortung, sich selbst in Beziehung zu dieser fordernden Vision zu setzen. Und fordernd ist sie, beschäftigt man sich mit den 169 Einzelzielen und 232 Indikatoren des politischen Rahmenwerks und mit dem Berichtswesen, das auf Staatenebene mit den Voluntary National Reports aufgebaut wurde. Die Vision der global nachhaltigen Entwicklung fordert die Abkehr vom Gewohnten, das Hinterfragen unserer Haltungen, Handlungen und Geschäftsmodelle.
„There are no passengers on spaceship earth. We are all crew."
Marshall McLuhan
Die SDG sind trotz allem so wenig präsent, dass noch kein Staat ihnen den Rücken gekehrt hat. Und das ist ihre große Chance. Sie kommen ohne Ideologie aus und zwingen uns doch in die Perspektive der Lernenden. Sie führen zu einer Neubetrachtung unserer Infrastrukturen und Investitionen in den wichtigsten erneuerbaren Rohstoff, nämlich die Klugheit und den Erfindergeist der Gesellschaft. Sie hinterfragen unsere Investitionen in die Bildungssysteme, das Schaffen von Chancengleichheit und die Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Sie führen zu einer ehrlichen Analyse der globalen Wirkungen unserer Art und Weise, wie wir wirtschaften und einkaufen, sie rücken den Wert unserer Klimaanpassungsmaßnahmen ins Licht und zwingen uns dazu – und das ist ganz wichtig – Schlüsse daraus ziehen.
Sind wir mutig genug, Gegenwart und Zukunft neu zu denken?
Sicher, die Agenda einer global nachhaltigen Entwicklung könnte bekannter sein. Unsere Aufgabe als bundesweiter Unternehmensverband sehe ich darin, sie in die Fläche zu tragen, jenseits der Ballungsräume, die gesättigt mit nachhaltigkeitsbewussten Akteur*innen sind. Die große Chance, die in den SDG liegt, ist: Sie stellen einen Wertekanon dar, in dem sich jede Unternehmerin und jeder Unternehmer wiederfinden kann. Sie erzeugen Resonanz. Und doch vermisse ich sie beispielsweise schmerzlich als sichtbare politische Agenda auf Ebene der Europäischen Union. Dort verzettelt man sich in neuen Labels (Green Deal, New European Bauhaus) oder in isolierten Regulierungsfeldern und -vorhaben (Sustainable Finance Agenda, Corporate Sustainability Due Diligence Directive, Corporate Sustainability Reporting Directive, Öko-Design-Richtlinie etc.)
Die globalen Nachhaltigkeitsziele…
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Die EU-Kommission versäumt bislang, die große Klammer darum zu legen. Eine übergeordnete europäische Nachhaltigkeitsstrategie würde das Bild eines kohärenten Ganzen zeichnen und die Grundlage schaffen für den konstruktiven Dialog mit der Wirtschaft darüber, wie die Transmissionsriemen der Finanz- und Güterströme im besten Sinne für eine nachhaltige Entwicklung wirksam werden – gestützt von (zum Teil lästiger) Regulierung. Mit der Idee, ein europäisches Wirtschaftsmodell zu stärken, das sich aus den Erfahrungen der sozialen Marktwirtschaft speist und die Bedarfe der Menschen ins Zentrum stellt, ohne die Ziele des Umweltschutzes zu kompromittieren.
Yvonne Zwick ist Vorsitzende von B.A.U.M. e.V. – Netzwerk für nachhaltiges Wirtschaften.
![]() VerzwicktVom Umgang mit Nachhaltigkeitsdilemmata
Die praktische Umsetzung der Nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen (Sustainable Development Goals, SDGs) ist meist eine ziemlich verzwickte Angelegenheit. Denn sobald es konkret wird, kommt es häufig zu Widerständen, Konflikten und Unsicherheiten, die den Transformationsprozess verlangsamen. Dabei verstecken sich in solchen Nachhaltigkeitsdilemmata häufig Lernchancen für den nötigen Wandel von Wirtschaft und Gesellschaft. Mehr dazu in der aktuellen Ausgabe des Magazins politische ökologie 3-22. |
Quelle: BAUM e.V. - Netzwerk für nachhaltiges Wirtschaften
Gesellschaft | Pioniere & Visionen, 01.12.2022
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 04/2022 mit dem Schwerpunkt: Globale Ziele und Klimaschutz - Zeit, die Stimme zu erheben und endlich zu handeln? erschienen.

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