Grundstückspreise steigen ungebremst
Eine Stadt wehrt sich erfolgreich gegen Immobilienspekulation
Ausufernde Spekulation muss nicht sein. Die Stadt Ulm führt seit Jahren vor, wie Baupreise und Mieten kontrolliert und Spekulationen mit Grundstücken vermieden werden können.
Boden und Bauland waren in Deutschland noch nie so teuer wie heute. Die Preise für Bauland steigen rasant – und mit ihnen schießen auch die Immobilienpreise in die Höhe. Laut Statistischem Bundesamt haben sich die Preise für Bauland von 2010 bis 2020 mehr als verdoppelt – sie stiegen um 102 Prozent. Das Gleiche gilt für die Immobilienpreise. Nach dem Immobilienmarktbericht der Gutachterausschüsse wurden 2020 mit Immobilien 312,4 Milliarden Euro umgesetzt, 2009 waren es 136 Milliarden. Die Zahl der Kaufverträge ist dagegen nicht gestiegen. Diese Preisspirale trieb freilich die Mieten in die Höhe. Während Mieter und Bauwillige unter den steigenden Preisen stöhnen, öffnet der Markt für Spekulanten ein Schlaraffenland.
Steuerfreie Gewinne durch ungenutzte Grundstücke
Wer Bauland erwirbt und es nach ein paar Jahren verkauft, kann hohe Spekulationsgewinne einstreichen. Wer zehn Jahre mit dem Verkauf wartet, erhält die Gewinne sogar steuerfrei. Ein Bundesgesetz macht dies möglich. Da verwundert es nicht, dass derzeit bundesweit 600.000 Baugenehmigungen nicht abgerufen werden. Und es verwundert noch weniger, dass der Widerstand gegen die steigenden Mieten und Baupreise wächst, vor allem in Großstädten. Nicht zuletzt deshalb stimmte eine Mehrheit der Berliner für eine Initiative zur Enteignung großer Wohnkonzerne. Und in manchen politischen Kreisen wird über eine stärkere Besteuerung der Spekulationsgewinne oder über eine sogenannte Bodenwertzuwachssteuer diskutiert.
Grundstücke für die Bürger auf Vorrat
Doch es gibt auch ganz praktische Möglichkeiten, um die explodierenden Baupreise und Mieten unter Kontrolle zu halten. Wie das geht, demonstriert die Stadt Ulm seit Jahrzehnten. Die Revolution findet hier ganz unspektakulär im Liegenschaftsamt statt. Ihre Leitidee klingt entsprechend bürokratisch: „Baugrundbevorratung". Doch sie hat es in sich.
Konkret: In der 130.000 Einwohner-Stadt kauft das Liegenschaftsamt seit vielen Jahren Flächen im Stadtgebiet auf Vorrat auf. Ihr Preis wird vom örtlichen Gutachterausschuss für Immobilien, in dem auch die Immobilienbranche vertreten ist, je nach Lage der Grundstücke berechnet. Dies ist möglich, da im Stadtgebiet Ulm nur die Stadtverwaltung als Käufer von Grundstücken auftreten darf. Und nur für dieses selbst erworbene Land werden Baugenehmigungen erteilt. Wenn die einzelnen Flächen eine größere Baufläche ergeben, dann werden sie für die Entwicklung von Wohn- und Gewerbegebieten ausgewiesen. Investoren und Häuslebauer können sie zu einem ebenfalls festgelegten Preis erwerben und bauen.
Nichtnutzung verboten
Dann jedoch gilt ein zweites Zauberwort. Es lautet „Auflassungs-Vormerkung". Das heißt: Erwerben Häuslebauer, Investoren oder Unternehmer ein unbebautes Grundstück von der Stadt, dann dürfen sie es nicht an Dritte weiterverkaufen. Sie müssen Wohnungen oder Gewerbegebäude errichten. Wird in einem bestimmten Zeitraum nicht gebaut, geht das Grundstück zum Kaufpreis wieder an die Stadt zurück. „Ein Weiterverkauf spekulativer Art an Dritte ist damit nicht möglich", sagt Ulrich Soldner, der Leiter des Ulmer Liegenschaftsamtes. Doch damit nicht genug. Die Stadt nutzt diese Baulandbevorratung, um Investoren Bedingungen zu stellen. Sie müssen auf rund 30 Prozent der bebauten Fläche vergünstigten Wohnraum anbieten. Inzwischen kommt als neue Bedingung auch eine klimagerechte Energieversorgung oder mehr Grünflächen hinzu.
Sozialpolitik mit lukrativem Umsatz
Ein gutes Beispiel für diese Politik liefert das Gelände der ehemaligen Hindenburgkaserne, das sich im Besitz der Stadt befindet. Hier bauen derzeit die Ulmer Wohnungsbaugesellschaft UWS, die Genossenschaft Ulmer Heimstätte und zwei Bauträger 900 Wohnungen. Bedingung: Dachbegründung, Solarstrom und Heizungen mit Fernwärme sowie günstige Mieten für 30 Prozent der neuen Wohnungen.
Ulm lässt sich diese Baulandbevorratung eine hübsche Stange Geld kosten. Das Liegenschaftsamt erhält für den Ankauf von Bauland jedes Jahr mindestens 16 Millionen Euro aus der Stadtkasse. Da die Stadt die Grundstücke zu einem etwas höheren Preis verkauft, als sie sie gekauft hat, macht sie Gewinn, der wieder in den Kauf von Bauland investiert wird. In den Jahren 2019 und 2020 standen dem Liegenschaftsamt jeweils etwas mehr als 30 Millionen Euro für den Grundstückskauf zur Verfügung.
Ein Erfolg, der für sich spricht
Mit dieser Strategie ist die Stadt überaus erfolgreich. Inzwischen hat sie auf etwa 4500 Hektar, etwa einem Drittel des Stadtgebietes, die Kontrolle über das Bauland erlangt. Es ist der Stadt gelungen, Baupreise und Mieten günstig zu halten. Nach Angaben des Liegenschaftsamtes sind die Grundstückspreise in Ulm in den vergangenen Jahren viel geringfügiger gestiegen als in den meisten Kommunen. Die Quadratmeterpreise liegen, so das Amt, bei einem Drittel vergleichbarer Städte. Zugleich gibt es keine Grundstücke, die nur deshalb nicht bebaut werden, weil jemand auf steigende Preise setzt. Spekulation ist ausgeschlossen.
Entsprechend ist der Wohnungsmarkt in Ulm sehr viel entspannter als in Berlin, Frankfurt, München oder Freiburg. Nicht zuletzt deshalb wird die Kontrolle des Grundstücksmarktes inzwischen von einem breiten Konsens im Kommunalparlament getragen, der von SPD, Grünen, Linken bis zu jenen Parteien reicht, die in der Wohnungspolitik zumeist auf den freien Markt setzen, vor allem CDU und FDP.
Können andere Kommunen nachziehen?
Natürlich ist diese Strategie nicht so einfach auf andere Kommunen übertragbar. Ulm profitiert von der jahrzehntelangen Tradition seiner Vorratskäufe von Bauland. Deshalb erfordert diese Strategie Geduld. Sie zahlt sich erst nach Jahren aus. Und sie erfordert vor allem in der Anfangsphase Geld, das ärmere Kommunen oft nicht haben. Allerdings zeigt sie klar, wie Mieten und Baupreise unter Kontrolle gehalten werden können: durch die Regulierung des Marktes.
Erste Schritte hin zu einer stärkeren Regulierung des Bodenmarktes sind fast überall möglich. Die grün-schwarze Landesregierung von Baden-Württemberg empfiehlt deshalb allen Kommunen neue Strategien im Umgang mit Bauland: „Öffentliche Eigentümer von Grund und Boden sollten sehr verantwortlich mit dem Thema umgehen", heißt es bereits im Koalitionsvertrag von 2016. Und weiter: „Sehr verantwortlich damit umgehen heißt eben nicht, dass man Flächen meistbietend im Internet ausschreibt, sondern dass man überlegt, was in der jeweiligen Kommune oder Stadt Sinn macht".
Anderen Strategien überlegen
Bei alledem ist die Baubevorratung von Ulm anderen Strategien zur Veränderung des Wohnungs- und Baumarktes überlegen: Werden zum Beispiel nur die Mieten gedeckelt, wie dies in Berlin versucht wurde, so besteht die Gefahr, dass weniger neue Wohnungen gebaut werden. Forderungen nach einer Bodenwertsteuer sind sicherlich berechtigt im Sinne von mehr sozialer Gerechtigkeit, denn die Grundstückspekulationen verstärken die ohnehin schon wachsende Vermögensungleichheit. Allerdings besteht die Gefahr, wenn keine entsprechenden vorsorglichen Regelungen getroffen werden, dass Grundbesitzer diese Steuererhöhungen auf die Mietpreise umlegen. Dann würden die Steuern letztlich von den Mietern bezahlt.
Das Beispiel Ulm zeigt dagegen zweierlei: Keine Stadtverwaltung muss tatenlos zusehen, wie die Preise von Bauland und Immobilien ebenso in die Höhe schießen wie die Mieten. Und Kommunen müssen schon gar nicht akzeptieren, dass wenige Konzerne und Wohlhabende die Wohnungsnot und einige Steuerlücken ausnutzen werden, um auf Kosten des Gemeinwohls hohe Spekulationsgewinne zu erzielen. Mögen andere Städte und Kommunen sich dem Beispiel von Ulm anschließen!
Wolfgang Kessler ist Ökonom und Publizist. Er war von 1999 bis 2019 Chefredakteur der Zeitschrift Publik-Forum. Im April 2021 erschien von ihm das Erklärbuch: Macht Wirtschaft! Ökonomie verstehen – und verändern, Publik-Forum-Verlag.
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Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 03/2022 mit dem Schwerpunkt: Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft - Ist die Party vorbei? erschienen.
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