97 Prozent aller Legehennen haben Knochenbrüche
Auch Bio-Hennen sind betroffen
Neue Röntgen-Analysen zeigen: Das Eierlegen nonstop hat schwerwiegendere Folgen fürdie Legehennen, als bislang angenommen. Auch Bio-Hennen sind betroffen.
Das Problem ist nicht neu: Knochenbrüche bei hochgezüchteten Hühnern, hervorgerufen durch den Calciumabbau, der mit dem Eierlegen einhergeht. Doch das Ausmaß scheint bislang nicht erkannt worden zu sein. Der Grund: Bislang wurden die Hühner nur abgetastet, um Brüche zu erkennen, wodurch viele Brüche unentdeckt blieben. Nun liegen breit durchgeführte Röntgenuntersuchungen der Universität Bern vor, wie die Konsumentenzeitschrift „K-Tipp" berichtet. Demnach hatte jedes Huhn im Durchschnitt drei Knochenbrüche – bei einzelnen Tieren waren es sogar elf.
Wasser mit Schmerzmittel
Michael Toscano, Leiter des Zentrums für tiergerechte Haltung an der Universität Bern sagte: Zwar sehe man den Hühnern den Schmerz oft nicht an. Trotzdem gebe es Beweise, dass ein Leiden vorhanden sei: „Hennen mit gebrochenen Knochen bewegen sich weniger. Sie brauchen länger beim Absteigen von ihren Sitzstangen. Und sie wählen zum Trinken häufiger Wasser, das Schmerzmittel enthält", so Toscano gegenüber „K-Tipp".
Hanno Würbel, Professor für Tierschutz an der Fakultät für Veterinärmedizin in Bern, übt im Magazin schwere Kritik: „Mit der heutigen Haltung und der Zucht von Hühnern sind Schmerz und Leiden für viele Tiere unvermeidbar. Und das ist einfach nicht haltbar." Das Ausmaß des Leids sei weltweit enorm.
Die Alternative: Zweinutzungshühner
Laut Würbel sind fast alle in der Schweiz eingesetzten Legehennen in allen Haltungsformen betroffen, also auch Freiland- und Biobetriebe. Das liegt daran, dass die Eierproduzenten weltweit die gleichen Hochleistungsrassen halten, deren Zucht in der Hand weniger Konzerne liegt. Zu diesen Konzernen zählen etwa die deutsche EW Group oder der niederländischen Hendrix Genetics. Beide versuchen nach eigenen Angaben derzeit, Hennen zu züchten, die weniger anfällig für Knochenbrüche sind.
Nadja Brodmann vom Zürcher Tierschutz bezeichnet diese Strategie jedoch als Sackgasse: „Wir brauchen Hühner, die robuster sind und weniger Eier legen. Die heutige Hochleistungszucht führt zwangsläufig zu Tierleid und verstößt deswegen gegen das Gesetz." Die Tierschutzorganisation empfiehlt, auf Zweinutzungshühner auszuweichen, die neben Eiern auch Fleisch hergeben. Diese würden 70 bis 100 Eier weniger pro Jahr legen, aber wären dafür weniger von Brüchen betroffen.
Die Stellungnahme von Bioland
Der Verband „Bioland" sagte auf Anfrage von forum zu dem Problem: „Die Ursachen für Brustbeinveränderungen bei Legehennen sind ebenso vielfältig wie die Arten der Veränderungen selbst, bei denen man unter anderem zwischen Brüchen, Mikrobrüchen und Prellungen unterscheidet. Es ist daher wichtig, dass die Forschung in diesem Bereich intensiviert wird, um Rückschlüsse für Züchtung und Tiermanagement zu ziehen. Die einseitige Züchtung auf besonders hohe Legeleistung ist eine Ursache für das Problem, weil sie eine Belastung für die Knochen der Tiere ist. In der Ökologischen Tierzucht (ÖTZ), die Bioland gemeinsam mit Demeter 2015 gegründet hat, werden daher Zweinutzungshühner gezüchtet. Eine weitere Ursache ist wenig Freiraum im Stall, der die Verletzungsgefahr erhöht. Bei Bioland haben die Tiere daher mehr Platz, als in der konventionellen oder EU-Bio-Haltung. Über die Bioland-Richtlinien sind zudem der Zugang zu einem Außenklimabereich sowie Auslauf geregelt."
Sind Zweinutzungshühner die Lösung?
Im Gegensatz zu Hybridrassen, die entweder zum Eierlegen oder zur Fleischnutzung gezüchtet sind, eignen sich sogenannte Zweinutzungshühner sowohl zur Eier- als auch zur Fleischproduktion. Allerdings legen sie weniger Eier und setzen auch langsamer Fleisch an. Der Rückgriff auf Zweinutzungshühner stellt nicht nur eine Lösung für das Problem der Knochenbrüche dar. Er ist auch eine wirtschaftlich tragbare Alternative zum Töten männlicher Küken, wie es weltweit in der Legehennenzucht praktiziert wird.
Verbot des Kükentötens – und jetzt?
Seit Anfang 2022 ist das Kükentöten verboten. Die Alternativen und Probleme, vor denen Brütereien, Produzenten und Handel nun angesichts von 45 Millionen „ungewollter" männlicher Küken stehen, sind vielschichtig. forum stellt hier die Methoden vor, die derzeit angewandt werden.
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Die gute Nachricht: Die Nachfrage nach den Eiern von Zweinutzungshühnern (ausgewiesen durch das Label „Zweinutzungshuhn") steigt stetig. Der Verkauf des Fleisches derselben gestaltet sich dagegen schwieriger. Kein Wunder: Da die Futterverwertung von Zweinutzungshühnern schlechter ist und die Tiere länger gemästet werden als ein übliches Masthuhn, ist die Erzeugung des Fleisches hier aufwändiger und somit auch teurer. Zudem ist den Verbrauchern die andere Beschaffenheit dieses Fleisches erst einmal nicht vertraut.
Geduld mit Auszeichnung
Das Fleisch von Zweinutzungshühnern ist aufgrund des höheren Alters der Tiere bei der Schlachtung und ihrer Futterverwertung zwar bissfester und sehr geschmacksintensiv. Doch es erfordert andere Verarbeitungs- und Zubereitungsverfahren. Es muss länger und dafür auf niedrigerer Temperatur gegart werden. Ist dies den Kunden nicht bekannt, führt dies häufig zu Reklamationen. Daher ist es sehr wichtig, den Verbrauchern ausführliche Zubereitungshinweise an die Hand zu geben und über die Besonderheit des Fleisches zu informieren.
Mit die Ersten, die sich mit der Haltung von Zweinutzungshühnern beschäftigt haben, waren die Herrmannsdorfer Landwerkstätten in Glonn. Zu Beginn war die größte Herausforderung, die richtigen Rassen zu finden. Weitere Probleme waren im Produktionsprozess zu lösen. So zum Beispiel auch bei der Schlachtung. Zweinutzungshühner sind in ihrem Körperbau sehr vielfältig und eignen sich deshalb nicht für eine standardisierte Schlachtanlage. Die Hermannsdorfer mussten daher auch in diesem Bereich komplett bei null anfangen. Das war ein langer und teurer Weg, für welchen der Lebensmittelhersteller bereits 2012 mit dem Förderpreis Ökologischer Landbau ausgezeichnet wurde.
Den Kunden nicht verschrecken
Die Initiatoren des Projektes „ei care" im Nordosten Deutschlands haben ähnliche Erfahrungen gemacht. „Die Fleischqualität der von uns genutzten Rasse ‚Les Bleues’ ist bei richtiger Zubereitung hervorragend, die Herausforderung liegt darin, den Kundinnen und Kunden dies zu vermitteln und nicht beim Erstkauf zu verschrecken", sagt Ute Günster von der Naturland Markt Gesellschaft, die das ei care-Projekt betreut.Die Aufzucht und Verarbeitung von Zweinutzungshühnern steht noch am Anfang „Dauerhaft braucht es neue Rassen und wieder mehr Zeit und Geld für die Geflügelzucht", so Ute Günster. "Wir arbeiten weiter an der Wirtschaftlichkeit, um damit eine ganzheitliche Alternative für unsere Naturland Betriebe und den Ökolandbau insgesamt aufzuzeigen. Mit einer regionalen Wertschöpfungskette und fair zertifizierten Produkten zeigen wir aber, dass es in der Geflügelhaltung auch nachhaltig geht
Von Alrun Vogt
Rekordtief beim Fleischverzehr
Die Menschen in Deutschland haben 2021 so wenig Fleisch gegessen wie noch nie in den letzten 30 Jahren. Zum einen ist der Trend zum geringeren Fleischverzehr darauf zurückzuführen, dass immer mehr Menschen das Leid der Tiere im Auge haben sowie den Beitrag der Massentierhaltung an Umweltzerstörung, Klimaerhitzung und dem Hunger in der Welt. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung (55 Prozent) bezeichnet sich laut Ernährungsreport des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) inzwischen als flexitarisch und verzichtet zumindest ab und zu bewusst auf Fleisch. Unter den 15- bis 29-Jährigen ist der Anteil an Vegetariern laut aktuellem Fleischatlas der Heinrich-Böll-Stiftung am höchsten. Eine andere Ursache für den Rückgang des Fleischkonsums ist die Situation während der Corona-Pandemie: Durch die Ausgangsbeschränkungen, Homeoffice und weil viele Veranstaltungen ausfielen, kochten auch wieder mehr Menschen zu Hause. Möglicherweise entschieden sie sich dabei eher für fleischlose Gerichte, als wenn sie auswärts essen würden.
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Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 03/2022 mit dem Schwerpunkt: Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft - Ist die Party vorbei? erschienen.
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