Containern legalisieren als Maßnahme gegen die Lebensmittelverschwendung?
Christoph Quarch sieht darin v.a. Symbolpolitik, denn nur 7 Prozent der Lebensmittelabfälle fallen im Handel an.
Landwirtschaftsminister Cem Özdemir und Justizminister Marco Buschmann wollen das sogenannte Containern straffrei stellen: Menschen, die noch genießbare Lebensmittel aus Abfallcontainern entwenden, sollte keine strafrechtliche Verfolgung mehr drohen, sofern sie sich nicht gewaltsam Zugang verschaffen oder Hausfriedensbruch begehen. Die Minister begründen ihren Vorschlag als Maßnahme gegen Lebensmittelverschwendung und für die Entlastung von Gerichten. Zustimmung findet der Vorstoß bei Klimaaktivisten der „Letzten Generation", Widerstand kommt vom Einzelhandel, der vor den Risiken des Containerns warnt. Wer hat Recht? Darüber reden wir mit dem Philosophen Christoph Quarch.
Herr Quarch, ist es ein Gebot der Moral, das Containern zu legalisieren?
Auf den ersten Blick sieht es so aus. Man denkt sofort: „Menschen, die in Container steigen, um sich verdorbene Lebensmittel zu beschaffen, müssen verzweifelte Notleidende sein. Solche Leute kann man doch nicht bestrafen!" So spricht unsere moralische Intuition – mit gutem Grund. Nur übersehen wir dabei, dass es de facto keine Notleidenden sind, die in den letzten Jahren wegen Containerns belangt wurden, sondern Aktivisten. Ich habe gegoogelt und insgesamt nur fünf Prozesse gefunden. In allen Fällen standen Aktivisten vor Gericht, denen das Verfahren eine willkommene Bühne war, um Aufmerksamkeit zu erlangen. Da fragt man sich, ob die moralische Intuition hier nicht instrumentalisiert wird – und ob unsere Minister dem nicht auf den Leim gegangen sind.
Aber es geht bei dem Vorschlag von Özdemir und Buschmann doch um mehr. Ihr Hauptargument lautet: Wir wollen etwas gegen Lebensmittelverschwendung unternehmen.
Klar, und das ist ohne Frage ein sinnvolles Anliegen. Nur muss man sich fragen, ob die Legalisierung des Containerns diesem Anliegen auch wirklich dient. De facto fallen nur sieben Prozent der Lebensmittelabfälle im Handel an. Mehr als die Hälfte kommt aus Privathaushalten. Daher kann ich verstehen, dass die Händler sich zu Unrecht an den Pranger gestellt fühlen. Und es leuchtet mir ein, wenn sie fordern, der Staat solle lieber Lebensmittelunternehmen und gemeinnützige Einrichtungen dabei fördern, mehr verzehrbare Lebensmittel zu spenden oder an Bedürftige zu verteilen. So könnte effektiv etwas gegen Lebensmittelverschwendung getan werden. Und zugleich würde man die wirklich Bedürftigen erreichen.
Aber man kann doch das eine tun, ohne das andere zu lassen. Ein politisches Signal gegen Lebensmittelverschwendung wäre gleichwohl eine sinnvolle Sache.
Das ist gerade der Punkt. Das Ganze riecht mir zu sehr nach Symbolpolitik: einerseits, weil die jetzige Rechtslage eine sehr flexible Handhabung der vor Gericht kommenden Fälle zulässt – andererseits, weil die Zahl der Prozesse alles in allem sehr niedrig ist. Was übrigens daran liegt, dass die Händler Containern so gut wie nie zur Anklage bringen; eigentlich nur in Fällen, bei denen Sachbeschädigung oder dergleichen dazukommt. Zum Verfahren kommt es bisher nur dann, wenn Anwohner die Polizei verständigen, die dann eingreifen muss. Das heißt: Eine echte Notwendigkeit für die gesetzliche Neuregelung ist für mich schwer erkennbar. Außer eben, man will Zeichen setzen - oder man will auf die Aktivisten zugehen.
Was wäre falsch daran?
Falsch daran ist, dass man fadenscheinig vorgibt, etwas gegen Lebensmittelverschwendung zu tun und versäumt, das Problem da anzugehen, wo es eigentlich adressiert werden müsste, nämlich beim Konsumenten. Aber Özdemir hat ja noch andere Pfeile im Köcher, von daher ist der Schaden vielleicht nicht so groß. Von daher kann man meinetwegen das Containern legalisieren; nur bitte mit einer anderen Begründung, über die aber nicht gesprochen wird: Indem man Containern legalisiert, nimmt man den Aktivisten eine Bühne und erspart es unseren Gerichten, sich mit deren moralischer Überheblichkeit befassen zu müssen. Ich weiß wovon ich rede. Zufällig hat mein Bruder in Aachen als Richter so eine Verhandlung leiten müssen – und dabei erlebt, dass Rechtsstaatlichkeit und Rechtsbewusstsein nicht gerade die Tugenden von Klimaaktivisten sind, die sich lieber selbst zum Richter machen.
Der Bestseller-Autor Christoph Quarch ist Philosoph aus Leidenschaft. Seit ihm als junger Mann ein Büchlein mit »Platons Meisterdialogen« in die Hand fiel, beseelt ihn eine glühende Liebe (philia) zur Weisheit (sophia), die er als Weg zu einem erfüllten und lebendigen Leben versteht. Als Autor, Publizist, Berater und Seminarleiter greift er auf die großen Werke der abendländischen Philosophen zurück, um diese in eine zeitgemäße Lebenskunst und Weltdeutung zu übersetzen."
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Als forum-Redakteur zeichnete Christoph Quarch verantwortlich für den Sonderteil „WIR - Menschen im Wandel".
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