Keine Insekten in Lebensmitteln

Der aktuelle Kommentar der Albert-Schweizer-Stiftung zur neuen EU-Verordnung

Seit Anfang 2023 erlaubt die EU die Beimischung von Hausgrillen und Getreideschimmelkäfern in Lebensmitteln. Sie dürfen jetzt eingefroren, getrocknet und zu Pulver verarbeitet in zahlreichen Lebensmitteln enthalten sein, unter anderem in Brot und Teigwaren, Nudeln, Pizzas, Keksen, Kartoffelerzeugnissen, bierähnlichen Getränken, Suppen, Schokolade, Ölsaaten und Fleischalternativen. So dürfen 100 Gramm einer "Fleischalternative" ab sofort bis zu fünf Gramm Insekten beinhalten. Was als scheinbare Lösung für Ernährungs- und Umweltprobleme verkauft wird, hat Tücken.
 
Seit Kurzem als Pulver in Nahrungsmitteln erlaubt: Die Hausgrille. © rgerber, pixabay.comDie Nahrungsmittel, die Insekten beinhalten, werden sich nicht von herkömmlichen Produkten unterscheiden. Verbraucher sollten auch wissen, dass ein mit Insektenpulver versetztes Lebensmittel nicht auffällig gekennzeichnet sein muss. Ob ein Produkt Hausgrille oder Getreideschimmelkäfer enthält, liest man im Zutatenverzeichnis. Bereits 2021 genehmigte die EU Mehlwürmer und die Europäische Wanderheuschrecke.

Effizient und ressourcenschonend?
Der Konsum von Tierprodukten verursacht gravierende Umweltprobleme und ist zudem für die Sicherung der Welternährung höchst problematisch. In der Diskussion um mögliche Lösungswege wird immer häufiger auf Insekten verwiesen: Als Nahrungsmittel für den Menschen sowie als Futtermittel für die sogenannten Nutztiere sollen sie ressourcenschonend Proteine liefern. Doch sind Insekten tatsächlich die Lösung für aktuelle und zukünftige Probleme? Ein Blick auf die Argumente der Insekten-BefürworterInnen und wissenschaftliche Studien zeigt: So einfach ist es nicht. Wir zeigen Gegenargumente auf und haben eine bessere Idee, die eigentlich auf der Hand liegt.

BefürworterInnen argumentieren vor allem mit der effizienten Nutzung von Ressourcen dafür, Insekten als Nahrungsmittel zu verwenden: Sie verursachen deutlich weniger Treibhausgase und Ammoniak als die heute gehaltenen »Nutztiere«, außerdem benötigt man bedeutend weniger Wasser für ihre Aufzucht. Zudem heißt es, dass sie Futtermittel effizienter in Nahrungsprotein umwandeln können. Diese Erkenntnis wurde bei Versuchen mit relativ kleinen Insektengruppen gewonnen. Wissenschaftliche Studien mit größeren Populationen zeigen jedoch, dass Insekten, die für den menschlichen Verzehr gezüchtet werden, ihr Futter nur ähnlich effizient verwerten wie Schweine oder (bei der am besten für sie geeigneten Ernährungsform) wie Geflügeltiere.
 
Die Abhängigkeit von konventioneller Tierhaltung
Insekten werden häufig als kostengünstige Alternative zu konventionellen Tierprodukten beworben: Die Aufzucht der Insekten sei billig, weil sie z. B. auf Lebensmittelabfällen kultiviert werden können. Das trifft derzeit aber nur auf Insekten zu, die als Tierfutter gezüchtet werden. Die Insekten, die für den menschlichen Verzehr vorgesehen sind, benötigen speziellere, kontrollierte und dadurch kostenintensive Futtermittel.
 
Weil es profitabler ist, Insekten für Tierfutter statt für den menschlichen Verzehr zu züchten, sind die Profite der Insektenzüchter davon abhängig, dass die konventionelle Tierhaltung der Status quo bleibt. Von einer Lösung aktueller und zukünftiger Probleme der Nahrungsmittelsicherheit kann somit keine Rede sein.
 
Gefahren fürs Ökosystem
Werden Insekten in industriellen Anlagen gezüchtet und brechen aus – etwa aufgrund einer Naturkatastrophe oder anderer unvorhersehbarer Unfälle – kann das weitreichende negative Folgen haben: Sie verbreiten sich in den Ökosystemen vor Ort, ernähren sich von den Produkten regionaler landwirtschaftlicher Betriebe und vermehren sich unkontrolliert in Gegenden, in denen sie nicht heimisch sind. Da es unmöglich ist, einmal entkommene Insekten wieder einzufangen, könnte ein derartiger Unfall ernsthafte und kaum abzusehende Konsequenzen für lokale Ökosysteme haben.
 
Proteinversorgung
Es ist ein verbreiteter Irrglaube, dass Insekten mehr Protein liefern als Pflanzen. Tatsächlich enthalten viele essbare Insektenarten weniger bioverfügbares Protein als beispielsweise Soja- oder Mykoprotein (aus Pilzen). Die Produktionskosten für Insektenprotein können zudem bis zu viermal höher sein als für Protein aus diesen Alternativen.
 
Dazu kommt, dass die Diskussion um Insekten als Nahrungs- und Futtermittel häufig von der Prämisse ausgeht, es fehle der Welt an Protein. Tatsächlich sind die heutigen Industrienationen aber mit Protein überversorgt. Beispielsweise gibt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) an, dass die Proteinzufuhr in Deutschland in allen Altersklassen deutlich über dem empfohlenen Wert liegt. In den USA nehmen die meisten Erwachsenen doppelt so viel Protein zu sich wie empfohlen.
 
Im globalen Zusammenhang ist das Thema allerdings differenzierter zu betrachten, denn in einigen Regionen der Erde ist eine Unterversorgung mit Kalorien und Nährstoffen ein reales Problem. Dort geht es darum, dass die Menschen mehr und vielfältigere Lebensmittel erhalten. Der vermehrte Verzehr von Insekten könnte hier einer von mehreren Wegen sein, um die Versorgungssituation zu verbessern. Allerdings müssen auch hier tierethische Fragen einbezogen werden (siehe unten).
 
Risiko für AllergikerInnen
Werden neue Lebensmittel mit Insekten zugelassen, steigt das Risiko für AllergikerInnen. Darauf weist Kitty Verhoeckx, ehemaliges Mitglied der EFSA Fokusgruppe für Lebensmittelallergien, hin: »Wir brauchen für jedes neue Insekt, das auf unseren Speiseplan kommt, eine neue Untersuchung«. Insekten könnten demnach allergische Reaktionen bei Personen hervorrufen, die bereits auf Garnelen und Hausstaubmilben allergisch reagieren. Auch neue Allergien könnten sie auslösen.
 
Ungeklärte ethische Fragen
Es ist nach wie vor ungeklärt, ob bzw. in welchem Ausmaß Insekten dazu fähig sind, Schmerzen und Leiden zu empfinden. Belegt ist jedoch beispielsweise, dass Fruchtfliegen Stromstöße vermeiden. Von Bienen und Ameisen wissen wir, dass sie ausgeprägte kognitive Fähigkeiten besitzen. In einem Bericht der FAO heißt es deshalb: »Bis eindeutige Beweise dafür gesammelt wurden, dass Insekten Schmerz fühlen, [wird vorgeschlagen,] dass Insekten als Vorsichtsmaßnahme der ‘Vorteil des Zweifels’ zugestanden werden sollte.« Es solle daher darauf geachtet werden, Insekten ihren Bedürfnissen entsprechend zu halten. Darüber hinaus »sollten sie in einer Art und Weise getötet werden, dass Leiden minimiert wird«. Wie das in der Praxis gelingen soll, ist völlig unklar und wird nach unserem Kenntnisstand auch nicht oder kaum berücksichtigt.
 
Pflanzliche Ernährung packt Probleme an der Wurzel
Dass es ineffektiv ist, Insekten an Tiere zu verfüttern und dann diese Tiere für die menschliche Ernährung zu nutzen, liegt auf der Hand – und auch die Argumente für den direkten menschlichen Verzehr von Insekten stehen auf wackeligen Beinen. Stattdessen müssen innovative, nachhaltige Lösungen her.
Sinnvoller ist es, pflanzliche Ressourcen direkt für die menschliche Ernährung bereitzustellen. So lassen sich prinzipiell mehr Menschen ernähren als über den Umweg »Nutztier« bzw. »Insekt«. Auch auf den Klimawandel würde sich eine weit verbreitete pflanzliche Ernährung äußerst positiv auswirken, wie Forscher der Universität Oxford bestätigt haben.
 
Fazit
Die Albert-Schweizer-Stiftung hat sich die Maxime des Pazifisten Albert Schweizer „Ehrfurcht vor dem Leben' auf die Fahne geschrieben.Insekten für die menschliche Ernährung sind hierzulande nicht geeignet, um die Probleme unserer Ernährung zu lösen. Tierschutzfragen in der Insektenzucht sind zudem völlig ungeklärt. Außerdem bleibt die Haltung von Schweinen, Rindern und Hühnern in den allermeisten Fällen ineffizient und ökologisch problematisch, auch wenn sie vermehrt mit Insekten statt mit Soja oder Getreide gefüttert werden. Insekten als Futtermittel lösen zudem nicht die massiven Gesundheitsprobleme, die durch den verbreitet hohen Verzehr tierlicher Produkte bedingt sind. Und in den meisten Regionen dürfte der direkte Verzehr pflanzlicher Nahrungsmittel dem von Insekten ökologisch mindestens ebenbürtig sein – und zwar ohne die ethischen Fragen der Zucht und des Tötens von Insekten aufzuwerfen.
 
 
Die Albert-Schweizer-Stiftung informiert über die Hintergründe der Fleisch- und Milchproduktion und will die Menschen dazu motivieren und begeistern, auf ihrem Teller pflanzliche Alternativen auszuprobieren und kennenzulernen.

Unter "Der aktuelle Kommentar" stellen wir die Meinung engagierter Zeitgenossen vor und möchten damit unserer Rolle als forum zur gewaltfreien Begegnung unterschiedlicher Meinungen gerecht werden. Die Kommentare spiegeln deshalb nicht zwingend die Meinung der Redaktion wider, sondern laden ein zur Diskussion, Meinungsbildung und persönlichem Engagement. Wenn auch Sie einen Kommentar einbringen oder erwidern wollen, schreiben Sie an Alrun Vogt: a.vogt@forum-csr.net

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