EU-Mercosur-Handelsabkommen
„Greenwashing für die Zerstörung von Ökosystemen“
Der Streit zwischen EU und Mercosur eskaliert. Die zentrale Frage: Gewinnmaximierung statt Mensch und Natur? Die Tropenwaldstiftung OroVerde fordert eine Neuverhandlung des Vertrags.
Im argentinischen Puerto Iguazú ist schlechte Stimmung. „Wir wollen kein Abkommen, das uns dazu verdammt, für immer nur Rohstofflieferanten zu sein", sagt Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva. In Argentinien beraten die Staatschefs des lateinamerikanischen Wirtschaftsverbunds Mercosur. Das Abkommen, das Lula meint, soll den Handel zwischen den Staaten und der EU stärken. „Inakzeptabel" nennt er die Forderung nach einer Zusatzerklärung, die den Schutz der Natur sicherstellen soll. Dabei wird schon diese Erklärung von NGOs wie der Tropenwaldstiftung OroVerde aus Bonn als zahnlos kritisiert.
„Industrielle Landwirtschaft und der Walderhalt, gerade in Tropenregionen, stehen im Konflikt", sagt Martina Schaub, Vorständin von OroVerde. „Wir kennen diese Spannungen durch unsere Arbeit in Tropenwaldschutzprojekten vor Ort und die Unterstützung deutscher Unternehmen beim Aufbau entwaldungsfreier Lieferketten. Gerade deshalb lehnen wir das EU-Mercosur-Abkommen in seiner jetzigen Form ab. Es ist veraltet und zementiert umwelt- und klimaschädliche Produktionsmodelle."
Profit durch Entwaldung
Seit dem 3. Juli tagen die Mercosur-Staaten in Argentinien. Und am 1. Juli hat Spanien die Ratspräsidentschaft der Union übernommen. Eines der Ziele Spaniens: das Bündnis mit aller Macht durchsetzen. Eigentlich soll die Entscheidung über das Abkommen Mitte Juli fallen. Dann findet der EU-Lateinamerika-Gipfel in Brüssel statt. Da die Mercosur-Staaten die Minimalforderungen zum Naturschutz ablehnen und auch zwischen den EU-Ländern ein Konsens fehlt, dürfte eine Einigung schwer sein. Gerade jetzt sei die Zeit für eine Kehrtwende, fordert OroVerde.
„Mit der Entwaldungsverordnung hat die Europäische Union einen großen Schritt in die richtige Richtung gemacht. Weg von der Ausbeutung unseres Planeten für wirtschaftliche Interessen, hin zu einer nachhaltigeren Gesellschaft", sagt Martina Schaub. „Doch diesen Schritt gefährden die EU-Staaten nun kurz darauf selbst mit dem geplanten Abschluss des Mercosur-Handelsabkommen."
Die vom EU-Rat verabschiedete Entwaldungsverordnung verpflichtet Unternehmen in der Europäischen Union zum Import aus rodungsfreien Gebieten. Das geplante Handelsabkommen mit Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay droht diese Bemühungen durch Lücken in der Verordnung wieder zunichtezumachen.
Hühnchen statt Menschenrechte
„Das Mercosur-Abkommen würde den Handel mit Produkten fördern, die nicht im Anwendungsbereich der Entwaldungsverordnung sind", sagt Martina Schaub. Dazu gehören unter anderem Ethanol und Hühnerfleisch. „Hinzu kommt die Entwaldung von Lebensräumen, die für die EU bislang per Definition keine Wälder sind."
Für Rinderzucht und Sojaanbau würden diese Flächen mit dem Mercosur-Abkommen noch stärker belastet. Durch die Entwaldungsverordnung bleiben beispielsweise 74 Prozent des Cerrados in Brasilien ungeschützt. Die Flächen des brasilianischen Pantanal sind zu 76 Prozent, die der argentinischen Pampa und der brasilianischen Caatinga zu je 89 Prozent betroffen. In den vergangenen 20 Jahren hat sich der Sojaanbau im Cerrado massiv erhöht. Auch das Pantanal-Gebiet ist in Gefahr. Dort sind ein Hafenbau, Flussvertiefungen und Sojaanbaugebiete geplant. In Regionen, deren Feuchtgebiete von der Ramsar Konvention geschützt und von indigenen Völkern bewohnt sind. Bedrohungen, die das Mercosur-Abkommen auch durch eine Zusatzerklärung zum Waldschutz laut der OroVerde-Vorständin nicht aufhalten kann. Und selbst die stehen jetzt zur Disposition.
„Schon eine derartig unverbindlichen Zusatzerklärung, ohne konkrete Maßnahmen, Kontrollmechanismen und Sanktionen ist Greenwashing", sagt Schaub. „Es würde Agrarkonzerne nicht davon abhalten, bedrohte Ökosysteme für Profit zu zerstören. Wir brauchen eine Handelspolitik, die effektiv Klima-, Naturschutz und Menschenrechtsachtung fördert."
„Die Bundesregierung und die EU müssen das Abkommen neu verhandeln", fordert Schaub. „Dabei ist es essenziell, dass sie alle Menschen in Brasilien und den anderen Mercosur-Staaten mitnehmen und nicht nur die Interessen der Agrarlobby aufgreifen. Es geht um ihren Wald und unsere Welt."
Über OroVerde
Seit mehr als 30 Jahren setzt sich die Tropenwaldstiftung OroVerde für weltweit intakte Tropenwälder ein. In Tropenwaldschutzprojekten verknüpft OroVerde Naturschutz und Entwicklungszusammenarbeit, damit Waldschutz und nachhaltige Entwicklung Hand in Hand gehen. In der Bildungsarbeit und durch Wissensvermittlung zeigt OroVerde, was Bürger*innen, Politik und Wirtschaft zum Schutz der Regenwälder beitragen können und stößt einen Wandel hin zu einer nachhaltigen Gesellschaft an. Durch Handlungsempfehlungen und Kampagnen nimmt OroVerde zudem Einfluss auf politische Rahmensetzungen und Gesetzgebungen zum Schutz der tropischen Wälder.
Kontakt: OroVerde, Christian Neeb | cneeb@oroverde.de | www.oroverde.de
Umwelt | Naturschutz, 30.06.2023
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