Die EU will Wälder retten

Das hat weitreichende Folgen für Unternehmen

Im Frühsommer 2023 trat die neue EU-Verordnung zu entwaldungsfreien Produkten in Kraft. Sie hat zum Ziel, die Entwaldung und Waldschädigung zu minimieren, die durch den EU-Handel von bestimmten Agrarrohstoffen wie Palmöl, Rindfleisch, Soja, Kaffee, Kakao, Holz und Kautschuk und daraus hergestellten Produkten verursacht wird. Die Verordnung legt klare Sorgfaltspflichten für Unternehmen fest: Sie müssen nachweisen – bevor sie die entsprechenden Produkte auf den EU-Markt platzieren –, dass ihre Produkte auf Flächen erzeugt wurden, die nicht nach dem 31. Dezember 2020 entwaldet wurden, und die Produktion im Einklang mit den Rechtsvorschriften des Erzeugerlandes steht. forum wollte mehr darüber wissen und fragte nach bei Lioba Schwarzer von Oro Verde und Steffen Kemper vom Global Nature Fund (GNF).

Viele Unternehmen nehmen ihre Verantwortung in Bezug auf Nachhaltigkeit bereits ernst, auch das Lieferkettengesetz hält sie dazu an. Warum noch mehr Verordnungen?
Als Biodiversitätshotspot, Kohlenstoffsenke und Temperaturregulierer übernehmen Tropenwälder weltweit eine Vielzahl wichtiger Funktionen. Für viele Menschen sind sie Lebens- und Identitätsgrundlage. © I. Naendrup/OroVerdeSchwarzer: Es ist ermutigend, dass viele Unternehmen schon früh angefangen haben, sowohl in gemeinsamen Initiativen als auch mit eigenen Selbstverpflichtungen Lieferketten nachhaltig zu gestalten. Diesen Unternehmen wird die neue Verordnung entgegenkommen, da sie nun für alle das Gleiche einfordert. Leider reicht nämlich die Eigeninitiative einzelner Unternehmen nicht aus. Gerade bei der Entwaldungsproblematik sehen wir: Trotz vieler Bemühungen ist die Entwaldung weltweit noch immer ein drängendes Problem, jedes Jahr gehen weltweit 10,2 Millionen Hektar Wald verloren – das ist in etwa so viel Wald, wie es in Deutschland noch gibt.

Wen betrifft diese neue EU-Regelung und ab wann gilt sie verbindlich?
Kemper: Die Verordnung betrifft alle Marktteilnehmer, also Unternehmen, die Waren auf dem EU-Markt ein- oder ausführen, und alle großen Händler, die in der EU mit diesen Risiko-Rohstoffen handeln oder sie in ihren Produkten weiterverarbeiten, z.B. in Schokolade. Sie müssen vorab ihre Lieferketten sorgfältig prüfen, um sicherzustellen, dass diese keine Entwaldung oder Walddegradierung verursachen. Sobald die Verordnung – voraussichtlich im Juni 2023 – in Kraft tritt, haben die Unternehmen 18 Monate Zeit, die neuen Vorschriften umzusetzen. Für Kleinst- und Kleinunternehmen gilt eine längere Frist von 24 Monaten.

Ein zentraler Bestandteil ist die Geolokalisierung: Was bedeutet das konkret?
Schwarzer: Unternehmen werden mit Geokoordinaten präzise angeben müssen, wo zum Beispiel ihr Kakao angebaut wurde oder auf welcher Weide ihre Rinder standen. Das ist essenziell, damit man die Entwaldung ausschließen und die Einhaltung aller nationalen Gesetze sicherstellen kann. Das hat aber auch weitere Vorteile: Seine Produktionsorte genau zu kennen, ermöglicht, rechtzeitig bei Engpässen oder Krisen reagieren zu können. Diese Transparenz ist am Ende auch das, was von den Verbraucher*innen erwartet wird. Es ist also eine enorme Chance zu wissen, wo unsere Produkte herkommen!
 
Wie wird das überhaupt alles kontrolliert?
Kemper: Unternehmen sind verpflichtet, ihre Risikoanalyse in einer Sorgfaltspflichterklärung zu bestätigen und mit den entsprechenden Daten der Geolokalisierung zu versehen. Kontrolliert wird unangekündigt bei der Einfuhr, und zwar je risikobehafteter eine Herkunftsregion ist, desto häufiger. In erster Linie wird es dabei um die Dokumentation der Risikoanalyse gehen, aber auch die Überprüfung von Satellitendaten der Geokoordinaten, und die Probenentnahme zur weiteren Analyse sind möglich. Derzeit entwickeln Wissenschaftler*innen weltweit eine Methode weiter, die mithilfe von Isotopenmarkierung die Echtheit der angegebenen Warenherkunft bescheinigen kann. Für Holz gibt es dazu bereits eine umfassende globale Datenbank, und für Soja, Kaffee, Kakao, Palmöl und Rindererzeugnisse sind ähnliche in Vorbereitung.
 
Viele der genannten Risikorohstoffe werden von Kleinproduzent*innen angebaut. Unternehmen werden sich nun doch sicherlich auf größere Lieferanten fokussieren, um die viele Arbeit nicht mehrfach, sondern nur einmal hinter sich zu bringen?
Sojabohnenfelder als Monokultur in Brasilien: Hauptursache für den weltweiten Waldverlust ist die Ausweitung von landwirtschaftlichen Flächen. In den Tropen ist sie sogar für über 90 Prozent der Waldzerstörung verantwortlich. © E. Manningel/OroVerde
Schwarzer: Das macht uns auch Sorgen. 84 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe sind kleiner als zwei Hektar. Dahinter stehen viele Kleinproduzent*innen mit ihren Familien, die vom Anbau und dem Verkauf von insbesondere Kakao, Kaffee, Kautschuk und auch Palmöl abhängig sind. Es ist daher wichtig, dass Unternehmen ihre Kooperation mit den Kleinproduzent*innen fortführen und sie bei diesem Prozess unterstützen. Und es ist essenziell, dass die EU-Kommission die Belange der Kleinproduzent*innen im Blick behält. Leider sollen erst fünf Jahre nach Inkrafttreten der Verordnung die Auswirkung auf die Produktionsländer und insbesondere auf die Kleinproduzent*innen überprüft werden. Umso wichtiger, dass Unternehmen hier aktiv bleiben.
 
Das ist alles ganz schön viel, besonders für kleine und mittlere Unternehmen (KMU). Sind sie damit nicht überfordert?
Schwarzer: Für KMU gelten zum Teil vereinfachte Bedingungen, KMU-Händler müssen beispielsweise keine Sorgfaltspflicht durchführen und KMU-Marktteilnehmer weniger berichten. Aber insgesamt gilt, egal ob von der Verordnung betroffen, ob KMU oder nicht: Es lohnt sich gleich mehrfach, wenn Unternehmen ihre Lieferketten bis zum Produktionsort rückverfolgen und Entwaldung ausschließen können. Nachhaltigkeit gewinnt an Aufmerksamkeit, bei der Kundschaft, den Mitarbeitenden, den Warenabnehmern und auch bei Investoren. Und nicht zuletzt ist Entwaldungsfreiheit ein enormer Hebel in der Klimaschutzbilanz von Unternehmen.

Kemper: Aber es stimmt, gerade für KMU kann sich dieser Prozess mühsam gestalten. Genau für diese Zielgruppe entwickeln OroVerde und der Global Nature Fund das Online-Portal „ELAN!" Es führt Unternehmen durch den Prozess der notwendigen Schritte zur Gestaltung einer entwaldungsfreien Lieferkette. Nach einer Pilotphase soll es für alle Unternehmen kostenlos zur Verfügung stehen. Vorab präsentieren wir in den nächsten Wochen in einer Publikation online verfügbare Tools, die mittels Fernerkundung bei der Risikoanalyse unterstützen können. Das Portal „ELAN! – Entwaldungsfreie Lieferketten – Aktiv für mehr Nachhaltigkeit!" wird dann ab Anfang 2024 verfügbar sein. 
 
 
Lioba Schwarzer verantwortet das ELAN-Projekt zu entwaldungsfreien Lieferketten für die Tropenwaldstiftung OroVerde. Seit mehr als 30 Jahren engagiert sich OroVerde für eine verantwortungsvoll agierende Weltgemeinschaft, der die herausragende Rolle der Tropenwälder für einen lebenswerten Planeten bewusst ist.
 
Steffen Kemper leitet des ELAN-Projekt zu entwaldungsfreien Lieferketten und ist als Projektmanager im Bereich Unternehmen & Biodiversität beim Global Nature Fund (GNF) tätig. Seit 25 Jahren widmet sich der GNF der Förderung des Natur-, Umwelt- und Tierschutzes. Ein besonderes Anliegen ist es, mehr Biodiversität und Umweltschutz in betriebliche Prozesse zu integrieren.

Wirtschaft | Lieferkette & Produktion, 01.06.2023
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 02/2023 mit dem Schwerpunkt: Künstliche Intelligenz - Künstliche Intelligenz oder natürliche Dummheit? erschienen.
     
        
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