Sind wir schlauer als die Evolution?
Der aktuelle Kommentar von Karl-Heinz Jobst zu den neuen Gentechnik-Plänen der EU
Die EU will die Neue Gentechnik deregulieren. Was bedeutet das für Mensch und Umwelt?
2020 erhielt Jennifer A. Doudna zusammen mit Emmanuelle Charpentier den Nobelpreis für Chemie für die Entwicklung der Genschere (Crispr). In ihrem Buch „Eingriff in die Evolution" von 2019 schreibt Doudna:
„Die Zeiten, in denen das Leben ausschließlich durch die schwerfälligen Kräfte der Evolution geprägt wurde, sind vorüber. Wir stehen an der Schwelle zu einem neuen Zeitalter, in dem wir die Herren über die genetische Ausstattung allen Lebens und all ihrer vielfältigen, lebenssprühenden Folgen sind. Schon jetzt ersetzen wir das taube, dumme, blinde System, das über die Erdzeitalter hinweg das genetische Mateial geformt hat, durch ein System der bewussten, absichtsvollen, von Menschen gelenkten Evolution."
Merken Sie sich diese Worte gut! Sie werden uns allen noch auf die Füße fallen.
Fachidioten, die Gott spielen
Diese Worte strotzen nur so von Überheblichkeit und Selbstüberschätzung. Das ist Hybris in der schlimmsten Form. Doudna lässt vollkommen den Respekt vor der genialen Schöpfung vermissen, die so viel umfassender in ihrer Gesamtheit ist, als sich das ein einfaches Menschengehirn jemals ausdenken könnte. Hier will ein Mensch, ein nobelbepreister Fachidiot in erschreckender Weise Gott spielen.Aber bei aller Euphorie sieht selbst Jennifer Doudna auch neue Gefahren auf die Menschheit zukommen: "Die Wissenschaftler besitzen jetzt ein Werkzeug, um die eigene Spezies nach persönlichen Vorlieben neu zu gestalten. Heute wissen wir, die genetische Optimierung des Menschen ist bereits im Gange."
Die Genschere kann außerdem ganze biologische Arten durch eine genetische Kettenreaktion auslöschen. Und ihre Entdeckung bereitet sogar der Forscherin schlaflose Nächte. Denn sie weiß: "Das könnte gefährlicher werden als alle bisherigen Eingriffe des Menschen in die Natur. Ein Vergleich mit der Entwicklung der Atombombe drängt sich zwar spontan auf, ist aber eher eine leichtsinnige Unterschätzung der Gentechnikgefahren."
Eben diese Neuen Gentechniken (NGT) sollen jetzt auf Druck der Bio-Chemie-Lobby (Bayer/Monsanto, BASF) laut einer Vorlage der EU-Kommission gründlich dereguliert werden. Begründung: Die NGT ist keine Gentechnik, weil sie nicht von herkömmlicher Züchtung zu unterscheiden ist. Doch das ist nichts als ein Marketing-Gag, um die Gelddruckmaschine jetzt auch in Europa zu starten. Das Gegenteil ist bewiesen und der Europäische Gerichtshof hatte entschieden, dass auch die NGT als Gentechnik zu behandeln sei. Die EU-Kommission will sich dreist darüber hinwegsetzen.
Die Umkehr der Beweislast
Was heißt Deregulierung? Keine Risikoprüfungen, keine Zulassungsverfahren, keine Kennzeichnungen auf Lebens- und Futtermittel mehr. Das europäische Vorsorgeprinzip würde dadurch ausgehebelt. Die Unschädlichkeit soll dann von der Industrie nicht mehr bewiesen werden, sondern die Schädlichkeit muss dann von Betroffenen und Geschädigten bewiesen werden. (Schwierige Umkehr der Beweislast). Um die Gefahren zu erkennen, muss man nicht Nobelpreisträger zu sein. Der gesunde Menschenverstand und unabhängige Wissenschaft genügen vollkommen. Wir fordern deswegen gerade die europäische Gesetzgebung dazu auf, das Vorsorgeprinzip für Gentechnik jeder Art uneingeschränkt aufrecht zu erhalten und die geplante Deregulierung im Zulassungsverfahren von gentechnisch veränderten Produkten zu unterlassen. Im Weg steht dabei nicht nur der Europa-Abgeordnete Manfred Weber (CSU), der sich der Meinung seiner Partei in Bayern entgegenstellt, sondern auch Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir und die Führungsriege der Bundes-Grünen. Letztere widersetzen sich damit ihrem eigenen Grundsatzprogramm und dem Koalitionsvertrag. Allerdings gibt es in fast allen politischen Parteien mittlerweile Befürworter der NGT.
Ein regionaler Erfolg
Der Kreistag des Landkreises Starnberg hat auf unser Betreiben einen erneuten Beschluss zur Agro-Gentechnikfreiheit im Landkreis gefasst. Der Beschluss von 2009 wurde nun um die "Neuen Gentechniken" (CRISPR-Cas9) erweitert. Weitere Landkreise folgen dem Beispiel.Leider gab es im Wahlkampf zur gerade vorübergegangenen Bayernwahl viele Parteien, die in ihrer Fortschritts- und Wissenschaftsgläubigkeit die NGT als Allheilmittel gegen Klimakatastrophe und Welthunger sehen, weil sie den Versprechen der Industrie blind vertrauen. Versprechen, die sich über Jahrzehnte als Lüge herausgestellt haben. Agro-Gentechnik in Verbindung mit giftigen Chemikalien hinterlässt überall verbrannte Erde im wahrsten Sinn des Wortes, Hunger, Vertreibung, Krankheit und Abhängigkeit. Der sogenannte Fortschritt soll also die Schäden beseitigen, die durch Fortschritt entstanden sind. Absurd!
Agro-Gentechnik verletzt Menschenrechte
Erst letzte Woche haben wir Brasilien vor dem UN-Ausschuss für Menschenrechte in Genf erneut mit einem Parallelbericht verklagt, weil es durch den Einsatz von Agro-Gentechnik in der brasilianischen Landwirtschaft massiv Menschenrechte verletzt. Auch Deutschland und die EU tragen mit den Importen von Gen-Soja, Gen-Mais, Gen-Zucker, Gen-Treibstoff und vielem mehr zu Menschenrechtsverletzungen in Brasilien bei. Dazu gehört auch, dass in Brüssel Pestizide erneut für den Export freigegeben wurden, die in der EU selbst längst verboten sind. Ein Riesenskandal!Bayern ist per Gesetz bereits vor Agro-Gentechnik geschützt
Ein Ergebnis des Volksbegehrens "Rettet die Bienen" war ein überarbeitetes Bayerisches Naturschutzgesetz. Darin steht in Art. 11b Gentechnikanbauverbot: „Der Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen ist in Bayern verboten". Offenbar kennen die bayerischen Politiker ihre eigenen Gesetze nicht, oder sie ignorieren sie und wollen sie bewusst brechen. Beides ist völlig inakzeptabel.Wir haben mit unserem Verein Zivilcourage gegen Agrogentechnik im Landkreis Starnberg e.V. Wahlprüfsteine zur Landtagswahl verschickt. Die bayerischen Grünen haben sich für nicht zuständig erklärt. Lediglich die CSU hat darauf detailliert geantwortet. Allerdings zeigen die wachsweichen Antworten eine deutliche Priorisierung der wirtschaftlichen Interessen Bayerns. Aber lesen Sie die Antwortschreiben der CSU und der Grünen selbst.
Wir raten Ihnen, öffnen Sie die Augen und sehen Sie genau hin, welche demokratische Partei und welche Kandidaten bewusst auf Ökologie in der Landwirtschaft anstatt kritiklos auf industrielle Agro-Gentechnik und Pestizideinsatz setzen. Und reden Sie mit den Politikern! Zeigen Sie, dass es da ein Riesenproblem gibt, das auf uns zukommt.
Karl Heinz Jobst ist ehrenamtlicher Mitarbeiter im „Öko & Fair Umweltzentrum Gauting" und ehemaliger parlamentarischer Berater.
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