Arbeitspflicht für Migranten
Christoph Quarch sieht viele Vorteile darin, Flüchtlingen die Chance auf Arbeit zu geben.
Kein Thema beschäftigt die Deutschen derzeit so sehr wie der Zuzug von Migranten und Flüchtlingen. Und die Politik reagiert. Ein von Bundeskanzler Olaf Scholz eilends einberufener Migrationsgipfel, zu dem auch die oppositionelle CDU geladen wurde, sollte Lösungen finden. Einer der Vorschläge, die dabei auf dem Tisch liegen, kommt vom Landeskreistag. Darin fordern die Kommunalpolitiker eine Arbeitspflicht für Migranten – ein Vorschlag, der von Arbeitsminister Hubertus Heil positiv aufgegriffen wurde. Kritik hingegen kommt von der Linken, die bemängelt, eine Arbeitspflicht sei mit dem Grundgesetz nicht vereinbar. Pragmatismus oder Moral – was ist hier gefordert? Darüber reden wir mit unserem Philosophen Christoph Quarch.
Herr Quarch, ist es ethisch vertretbar, Flüchtlinge und Asylbewerber darauf zu verpflichten, in Deutschland eine Arbeit anzunehmen?
Ich halte den Vorschlag des Landeskreistag für moralisch unbedenklich. Menschen, die nach Deutschland kommen und hier Hilfeleistungen in Anspruch nehmen, können vom Staat durchaus dazu verpflichtet werden, in Gestalt von Arbeit etwas an die aufnehmende Gesellschaft zurückzugeben. Dafür ist noch nicht einmal eine Gesetzesänderung nötig, denn soweit ich das übersehen kann, erlaubt es die aktuelle Rechtslage schon jetzt, Asylbewerber für gemeinnützige Arbeiten heranzuziehen. In einem ersten Schritt ginge es also nur darum, das bestehende Recht zur Anwendung zu bringen.
Menschen, die als Flüchtlinge zu uns kommen, leiden häufig unter traumatischen Erfahrungen, die zu verarbeiten viel Zeit kostet. Andere sind aufgrund körperlicher Beeinträchtigungen oder der Sprachbarriere nicht arbeitsfähig.
Dass nur solche Menschen zur Arbeit verpflichtet werden können, die physisch und psychisch dazu in der Lage sind, versteht sich von selbst. Allerdings lehrt die Erfahrung, dass gerade bei psychischer Belastung eine regelmäßige Arbeit eine therapeutische Wirkung entfalten kann. Es ist gut, wenn Menschen nicht zur Tatenlosigkeit verdammt sind. Es steigert ihr Selbstwertgefühl, wenn sie etwas schaffen können. Es fördert ihre Integration, wenn sie mit anderen zusammenarbeiten können. Und die Sprachbarriere spielt bei vielen Berufen keine große Rolle. Im Gegenteil: durch gemeinsames Tun wird der Spracherwerb beschleunigt.
Das setzt voraus, dass es in den Betrieben und öffentlichen Einrichtungen genügend Kapazitäten gibt, um Migranten die erforderlichen Kompetenzen zu vermitteln – die Kapazitäten und die Bereitschaft.
Da steckt sicher ein Problem, denn die aktuellen Erfolge der AfD zeigen ja, wie viel Fremdenfeindlichkeit in dieser Gesellschaft wabert. Umgekehrt gibt es aber leuchtende Beispiele, die zeigen, dass man mit wenig Aufwand Migranten in Arbeit bringen und genau auf diese Weise die Fremdenfeindlichkeit bekämpfen kann. Ich denke da an die Gemeinde Hebertshausen in Bayern, die fünfmal mehr Flüchtlinge aufgenommen hat als vorgesehen. Warum? Weil sich dort einige Bürger zusammengetan haben, um die Neuankömmlinge schnell in Arbeit zu bringen. Und es funktioniert. Die Handwerksbetriebe haben Azubis, der Bäcker hat wieder Angestellte, die Sozialkassen werden entlastet, die Menschen sind zufrieden und die AfD liegt weit unter dem Landesdurchschnitt.
Aber lässt sich dieses Beispiel auf andere Kommunen übertragen? Nicht überall gibt es genügend Jobs – und nicht überall findet man couragierte Bürger.
Das ist richtig, aber es bringt uns in der Migrationsdebatte nicht weiter, wenn wir immer nur auf die Ängste der Bürgerinnen und Bürger starren – zumal diese weitgehend irrational sind und sich mehr einer rechtspopulistischen Propaganda verdanken als eigenen Erfahrungen. Hier ist ein gesunder Pragmatismus gefragt – zumal in einer Zeit, in der überall Arbeitskräfte gesucht werden. In einer solchen Lage ist es nicht unmoralisch, Menschen die Chance auf Arbeit zu geben, sondern sie ihnen aufgrund diffuser Ängste oder Stimmungsmache zu verweigern. Deshalb wünsche ich mir vom Migrationsgipfel, dass hier rasch konstruktive Schritte zur Einführung einer Arbeitspflicht verabredet werden – und der Oppositionsführer endlich seine fremdenfeindliche Stimmungsmache einstellt.
Der Bestseller-Autor Christoph Quarch ist Philosoph aus Leidenschaft. Seit ihm als junger Mann ein Büchlein mit »Platons Meisterdialogen« in die Hand fiel, beseelt ihn eine glühende Liebe (philia) zur Weisheit (sophia), die er als Weg zu einem erfüllten und lebendigen Leben versteht. Als Autor, Publizist, Berater und Seminarleiter greift er auf die großen Werke der abendländischen Philosophen zurück, um diese in eine zeitgemäße Lebenskunst und Weltdeutung zu übersetzen."
In seinem neuen Buch "Begeistern! Wie Unternehmen über sich hinauswachsen" geht's um Fragen wie diese:
Wie kommt der Geist in unsere Unternehmen? – Durch Begeisterung! Und wie entsteht Begeisterung? Anders als die meisten glauben.
Als forum-Redakteur zeichnete Christoph Quarch verantwortlich für den Sonderteil „WIR - Menschen im Wandel".
Gesellschaft | Migration & Integration, 16.10.2023
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