Biodiversitätsschutz gelingt nur, wenn er sozial gerecht ist
Es gibt Hebel, mit dem der Verursacher zum Retter werden kann.
Im Schatten der Klimakrise wächst eine weitere Bedrohung: Der Verlust von Biodiversität. Besonders im globalen Süden drohen Arten und Ökosysteme verloren zu gehen.
Ein rot-türkisfarbener Fleck mitten im Grün des Waldes. Das Federkleid leuchtet schon in der Entfernung durch das Dickicht der Bäume. Die unverkennbaren Rufe sind kaum zu überhören. Noch ist der Quetzal in den tropischen Wäldern Mittelamerikas zuhause. Für die Maya war er der „Göttervogel", ein Botschafter zwischen Himmel und Erde. Heute ziert er das Wappen Guatemalas – und steht auf der Roten Liste der bedrohten Arten.
Rund zwei Drittel aller bekannten Tier- und Pflanzenarten leben in den Tropenwäldern. Viele davon kommen nur in bestimmten Gebieten vor – die Heimat dieser sogenannten endemischen Arten sind oftmals Biodiversität-Hotspots. Tropische Regenwälder gehören dazu: dort leben 90 Prozent der weltweiten Wirbeltierarten.
Insbesondere Tropenwälder werden aber zur Ausweitung landwirtschaftlicher Flächen abgeholzt. Sie ist verantwortlich für 90 Prozent der dortigen Entwaldung. Stattdessen etablieren wir artenarme Weideflächen und gigantische Monokulturen und verlieren so in Rekordgeschwindigkeit Art um Art.
Mensch gemachte Gefahr, Mensch gemachte Lösung?
Doch auch für unsere Spezies ist der Wald- und Biodiversitätsverlust eine Katastrophe: Jüngst veröffentlichten Wissenschaftler:innen eine Studie zur Überschreitung von sechs der neun planetaren Grenzen. Sie bestätigt: die Zerstörung zu vieler Lebensräume führt zu einem Biodiversitätsverlust, der die Existenzgrundlage der Menschen bedroht.
Milliarden Menschen betrifft das sogar direkt. Indigene Menschen, deren Territorien 80 Prozent der verbleibenden Biodiversität beherbergen, aber auch Mitglieder lokaler Gemeinschaften leben in Regenwäldern und anderen natürlichen Umgebungen. Dort haben sie Überlebensstrategien und Wirtschaftsweisen im Einklang mit der Natur entwickelt.
Mit der Ausweitung der industriellen Landwirtschaft gehen aber oftmals Menschenrechtsverletzungen in Form von Landraub und Gewalt ihnen gegenüber einher. Sie werden vertrieben und verlieren nicht nur ihr Zuhause, sondern auch ihre Existenzgrundlage. Denn viele von ihnen leben vom Verkauf ihrer in kleinbäuerlicher Landwirtschaft erzeugten Produkte. Rund 35 Prozent aller konsumierten Lebensmittel werden so auf meist weniger als zwei Hektar Land angebaut. Das Potenzial der kleinbäuerlichen Landwirtschaft für den Erhalt der Wälder ist enorm: Weniger Monokulturen, weniger schädliche Chemie, zudem entstehen durch Vielfruchtanbau diversere Landschaften – und damit mehr Lebensräume. Doch obwohl kleinbäuerliche Produzent:innen so Biodiversität fördern, werden ihr Beitrag und ihre Bedürfnisse oft übersehen.
Ihr Wald, unser Hunger
Unser Konsum spielt dabei eine entscheidende Rolle. Vor allem für die Rinderzucht und enorme Plantagen von Soja, Palmöl, Kakao, Kaffee, Holz und Kautschuk verschwinden Wälder und ihre Bewohner. Die Entwaldung wird also mitimportiert: Nach China verursacht die Europäische Union indirekt die größten Waldverluste weltweit.
Die EU will mit verschiedenen Instrumenten gegensteuern. Sie sollen Entwaldung, Klima- und Biodiversitätskrise und Menschenrechtsverletzungen gleichermaßen bekämpfen. Prominentestes Beispiel ist die Entwaldungsverordnung (EUDR): Fallen für Produkte in ihren Ursprungsländern Wälder, dürfen Unternehmen sie bei uns nicht mehr vertreiben. Das müssen sie nachweisen und konsequenterweise alle Produktionsflächen mit Geokoordinaten angeben können. Initiativen wie die EUDR sind bahnbrechend und könnten nicht nur den Waldverlust reduzieren und damit auch Biodiversität retten: Auch indigene Völker und kleinbäuerliche Produzent:innen hoffen, dass so ihre Lebensgrundlagen
erhalten bleiben.
Genauer hinsehen und unterstützen
Die Umsetzung aber könnte besonders für sie Risiken bergen. Die Nachverfolgung der eigenen Lieferketten bis zum Ursprungsort stellt viele EU-Unternehmen vor Herausforderungen. Und die könnten sie dazu verleiten, eine möglichst unkomplizierte Lösung zu finden. Genauer: die Anforderungen würden einfach die Lieferkette entlang weitergereicht. Doch gerade für kleinbäuerliche Produzent:innen bedeutet die systematische Erfassung der notwendigen Daten einen zusätzlichen Aufwand, den sie technisch, personell und
finanziell nicht ohne Unterstützung leisten können.
So wie die Situationen der Produzent:innen und ihre Bedürfnisse sich unterscheiden, so verschieden können auch die Lösungsansätze aussehen. Unternehmen haben dabei viel Machtspielraum und können entscheidend dabei mitwirken, ob Erhalt und Stärkung kleinbäuerlicher Produzent:innen unter den neuen Bedingungen am EU-Markt gelingen. Unverzichtbar dabei sind die Zusammenarbeit auf Augenhöhe und die Berücksichtigung der lokalen Bedingungen.
Dabei haben beide Seiten Vorteile. Ein direkter Bezug von Produkten aus kleinbäuerlicher Landwirtschaft mit wenig Umwegen und Zwischenhändler:innen verkürzt für beide die Kommunikationswege. Mehrjährige Mengenabnahmezusagen zu fairen Preisen erleichtern den Produzent:innen die Anbauplanung und vermeiden Überschüsse und Engpässe. Für Unternehmen bedeutet solch eine langfristige Handelsbeziehung, dass sie die Qualität kennen und gemeinsam festgelegte Standards eingehalten werden. Unternehmer:innen sollten zudem nicht vergessen: Geschichten von Produzent:innen und damit präsentierte Transparenz und Qualitätssicherheit haben einen hohen Vermarktungswert.
Kräfte bündeln mit zivilgesellschaftlichen Organisationen
Generell kann die Förderung kleinbäuerlicher Produzent:innen Teil der unternehmenseigenen CSR-Strategie sein und flankiert werden durch Investitionen in Projekte, die die Lebensbedingungen vor Ort verbessern. Viele lokale Nichtregierungsorganisationen im Bereich Landwirtschaft und Umweltschutz engagieren sich mittlerweile für ihre Unterstützung und sind auch gute Kooperationspartner für Unternehmen, die hier mitwirken wollen. Deutsche Unternehmen, die ihre potenzielle Entwaldung aus ihren Lieferketten verbannen möchten, finden im Online-Portal elan! Unterstützung (www.entwaldungsfreie-lieferketten.de).
Der Quetzal, er fliegt inzwischen weiter durch die Nebelwälder Mittelamerikas. Die majestätische Schwanzfeder wippt auf und ab, während er sich entfernt. Ein Anblick, der erinnert: Dieses Gleichgewicht zwischen Natur und Menschen, es ist sicherlich nicht einfach. Aber es lohnt sich.
Kakao wird oft in kleinbäuerlicher Landwirtschaft angebaut, hier in einer Projektregion von OroVerde in Guatemala.
Der Anbau erfolgt dort in biodiversen Agroforstsystemen.
Lioba Schwarzer ist Biologin und Referentin Politik und Advocacy bei der Tropenwaldstiftung OroVerde. Seit mehr als 30 Jahren engagiert sich OroVerde für eine verantwortungsvoll agierende Weltgemeinschaft, der die herausragende Rolle der Tropenwälder für einen lebenswerten Planeten bewusst ist. Hieran arbeitet OroVerde in Schutzprojekten vor Ort mit lokalen Partnern, durch Bildungsarbeit in Deutschland sowie im Dialog mit Politik und Wirtschaft.
Quelle: B.A.U.M. e.V. - Netzwerk für nachhaltiges Wirtschaften
Umwelt | Biodiversität, 17.11.2023
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 04/2023 mit dem Schwerpunkt Innovationen & Lösungen - Innovationen und Lösungen für Klima und Umwelt erschienen.
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