Landwirte sind nicht bloß Produzenten, sie verdanken ihren Ertrag vor allem der Natur.
Christoph Quarch vermisst bei den Bauernprotesten ein Verantwortungsbewusstsein für die Gesamtgesellschaft
Seit Montag rollen die Traktoren durch Deutschlands Städte. Tausende Landwirte demonstrieren damit gegen das von der Bundesregierung angekündigte Ende der Subventionen für Agrardiesel. Dass die Maßnahmen für das laufende Jahr teilweise ausgesetzt wurden, reicht Bauernverband und Landwirten nicht. Sie fordern die Fortsetzung der Subventionen und verweisen auf ein drohendes Höfesterben, wenn die Ampel an ihrem Vorhaben festhält. Kritiker halten dem entgegen, das Ende des Agrardiesels sei überfällig, um die Landwirtschaft fit für die Zukunft zu machen. Die politischen und wirtschaftliche Argumente sind ausgetauscht. Aber wie steht es mit der Moral? Darüber reden wir mit dem Philosophen Christoph Quarch.
Herr Quarch, sind die Protestaktionen der Landwirte ethisch vertretbar?
Meine Antwort ist ein klares Nein. Egal, welche Ethik ich zurate ziehe. Aber das würde hier zu weit führen. Unethisch ist vor allem die Maßlosigkeit der Aktionen. Experten können vorrechnen, dass die Mehrbelastung eines durchschnittlichen Landwirts durch Wegfall der Dieselsubventionen im Verhältnis zum durchschnittlichen Jahresgewinn vertretbar ist – und zwar eines Gewinnes der zu einem großen Teil über Subventionen vom Steuerzahler finanziert wird. Da stimmen die Proportionen in keine Weise. Und es zeigt sich, was die treibende Kraft der Proteste ist: eine subjektive Interessenvertretung bzw. ein ausgeprägter Eigennutz der Protestierenden. Was mir komplett fehlt, ist ein Verantwortungsbewusstsein für die Gesamtgesellschaft.
Das würden die Landwirte nicht auf sich sitzen lassen. Sie weisen unermüdlich daraufhin, dass sie es sind, die das Land ernähren und von daher einen entscheidenden Beitrag für die Gesellschaft leisten.
Verantwortung bedeutet Antwort geben – auch auf sich ändernde Verhältnisse. Bei den Landwirten sehe ich davon wenig. Man sperrt sich dagegen, das längst Notwendige zu tun, um dauerhaft diesen Beitrag leisten zu können – und zwar das Notwendige aus der Perspektive einer landwirtschaftlichen Professionsethik: Landwirte sind nicht bloß Produzenten, sondern sie verdanken ihren Ertrag vor allem der Natur. Traditionelle Bauern – oder heutige Biobauern – haben sich deshalb immer auch als Wächter und Sachwalter der Natur verstanden. Von dieser Profession haben sich die protestierenden Bauern verabschiedet. Wäre es anders, würden sie sich an die Speerspitze der Klimaschützer stellen, auf erdölfreie Landmaschinen – die längst entwickelt sind – umstellen und den überfälligen Paradigmenwechsel hin zu einer ökologischen Landwirtschaft in Zeiten des Klimawandels vorantreiben.
Bauernverband und Landwirtschaft befürchten das Sterben kleiner Höfe und geringere Konkurrenzfähigkeit mit dem Ausland, wenn die Diesel-Subventionen wegfallen.
Nach den Berechnungen von Experten, wird es weder zu einem Höfesterben kommen noch zu einer Schwächung des Agrarstandorts Deutschland. Das heißt: Rational lassen sich die aktuellen Proteste nicht begründen. In meinen Augen ist die eigentlich treibende Kraft hinter den Protesten eher ein diffuser, meist unbewusster Affekt gegen jeden Wandel. Man könnte auch von mangelnder Veränderungsbereitschaft reden. Anstatt die Herausforderungen der Zukunft couragiert anzugehen, klammert man sich ängstlich an das Bewährte und zugleich überholte. So erkläre ich mir zum Beispiel die sonderbare Fetischisierung des Dieseltreibstoffs, die viele Landwirte in die Arme rechter Demagogen treibt.
Der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, Joachim Rukwied, hat sich in aller Deutlichkeit von einem Missbrauch der Bauernproteste durch rechte Gruppierungen distanziert.
Ich finde das infam. Herr Rukwiek war es, der vor Weihnachten damit drohte, Deutschland werde im Januar beispiellose Proteste erleben. Wer so etwas sagt, gießt Öl ins Feuer und ermutigt zu Aktionen wie die gegen Robert Habeck. In meiner Wahrnehmung ist das kein Ausrutscher, sondern ein Symptom für eine latent gewaltbereite Haltung, die durch den Bauernverband angeheizt wird und die sich auch in der Protestform zeigt. Es heißt zwar, die Bauern würden friedlich demonstrieren, was in gewisser Hinsicht auch stimmt. Aber wenn man so einen Traktorenaufmarsch mitbekommt, spürt man die Gewalt. Hier geht niemand auf die Straße. Die Demonstranten bewegen sich nicht. Das Szenario erinnert mehr an die Panzerkolonne auf dem Platz des Himmlischen Friedens als an Martin Luther Kings Marsch nach Washington. Und das macht mir Sorge: Egoismus, mangelnde Bereitschaft zur Veränderung, latente Gewalt – das ist ein Mix, der durch keine Ethik gutgeheißen werden kann.
Der Bestseller-Autor Christoph Quarch ist Philosoph aus Leidenschaft. Seit ihm als junger Mann ein Büchlein mit »Platons Meisterdialogen« in die Hand fiel, beseelt ihn eine glühende Liebe (philia) zur Weisheit (sophia), die er als Weg zu einem erfüllten und lebendigen Leben versteht. Als Autor, Publizist, Berater und Seminarleiter greift er auf die großen Werke der abendländischen Philosophen zurück, um diese in eine zeitgemäße Lebenskunst und Weltdeutung zu übersetzen."
In seinem neuen Buch "Begeistern! Wie Unternehmen über sich hinauswachsen" geht's um Fragen wie diese:
Wie kommt der Geist in unsere Unternehmen? – Durch Begeisterung! Und wie entsteht Begeisterung? Anders als die meisten glauben.
Als forum-Redakteur zeichnete Christoph Quarch verantwortlich für den Sonderteil „WIR - Menschen im Wandel".
Gesellschaft | Politik, 11.01.2024
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