Fünf Jahre Aachener Vertrag
Bilanz und Zukunftsperspektiven der (Klima-)zusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich
Der „Vertrag von Aachen über die deutsch-französische Zusammenarbeit und Integration” wird fünf Jahre alt. Im Bereich Klimaschutz hinkt die Umsetzung des Vertrags den darin formulierten Zielen hinterher. Damit stellt sich die Frage: Wie kann eine erfolgreiche Klima-Zusammenarbeit gelingen und welche Rolle spielt dabei eine gemeinsame Industriepolitik?

Die Erwartungen im Bereich EU-Klimapolitik wurden nicht erfüllt
Die Erwartungen an Frankreich und Deutschland, formuliert u.a. in gemeinsamen Erklärungen führender Umweltverbände in beiden Staaten, sind im Bereich der EU-Klimapolitik besonders groß. Beide Mitgliedstaaten sind zusammen für 36 Prozent der EU-Treibhausgasemissionen verantwortlich. Gleichzeitig sind beide Länder als größte europäische Volkswirtschaften von zentraler Bedeutung, um Innovationen und Marktänderungen voranzutreiben. Sie werden häufig gar als Motoren Europas gesehen, die den erforderlichen Einfluss haben, auch komplexere gesamteuropäische Initiativen zu starten und andere Mitgliedstaaten mitzuziehen. Doch gerade davon war in den letzten Jahren wenig zu sehen. Dabei gab es zahlreiche Möglichkeiten, gemeinsam ehrgeizige Klimapolitik auf EU-Ebene zu unterstützen, zuletzt im Rahmen der Verhandlungen über das EU-Gesetzespaket "Fit for 55”. Beide Länder haben jedoch in letzter Zeit oft gegeneinander gearbeitet und dadurch die EU-Klimagesetzgebung sogar verlangsamt oder geschwächt. So führt Frankreich eine Atom-Allianz mit elf weiteren EU-Staaten an, die bei verschiedenen Gesetzgebungen (Erneuerbare-Energien-Richtlinie RED III, EU-Taxonomie, Netto-Null-Industrie-Gesetz) sichergestellt hat, dass die Atomenergie ähnliche Vorteile genießt wie erneuerbare Energiequellen. Deutschland sieht diese Subventionierung von Atomkraft als unfairen Wettbewerb, da die französische Industrie auf diesem Wege mit billigem Strom versorgt werden kann. In anderen kritischen Bereichen hat Deutschland wiederum die Bremse gezogen, zum Beispiel beim Verbrenner-Aus oder bei der Reform der Schuldenregeln. Viele der institutionellen Hebel, die im Vertrag von Aachen verankert sind, wurden zur Lösung dieser Unstimmigkeiten nicht ausreichend genutzt. Die interministerielle Arbeitsgruppe zu Klimafragen, die sogenannte Meseberger Klima-AG, hat seit Amtsantritt der Ampelregierung nicht mehr getagt und der deutsch-französische Ministerrat traf sich in den vergangenen zwei Jahren nur ein einziges Mal.
Doch Ende vergangenen Jahres haben die beiden Länder einige Konfliktthemen zumindest ein Stück weit aus dem Weg geräumt. Eine Woche nach den deutsch-französischen Regierungskonsultationen in Hamburg fanden die beiden Regierungen nach monatelangen Diskussionen eine Einigung in der Debatte über die Strommarktreform. Dieser Schwung muss nun genutzt werden, um vor allem die Klimaambitionen des Vertrags von Aachen zu verwirklichen.
Grenzregion zum starken klimaneutralen Industriestandort machen

Konkretes Beispiel dafür ist die Lithiumgewinnung in der Grenzregion Grand Est und in Baden-Württemberg: Dort werden Anlagen gebaut, die einen großen Teil des europäischen Bedarfs an dem Schlüssel-Rohstoff für die Energiewende abdecken sollen. Im Saarland wird parallel stark in die Batterieproduktion für Elektroautos und in das Recycling von Lithium-Ionen-Batterien investiert. So kann absehbar die deutsch-französische Grenzregion ein starker Industriestandort zur Umsetzung der Verkehrswende werden. Dafür sollte das vierte Kapitel des Vertrags von Aachen über die „regionale und grenzüberschreitende Zusammenarbeit" besser umgesetzt werden, um den Austausch zwischen lokalen Akteur:innen zu ermöglichen und Herausforderungen bei der Umsetzung entgegenzuwirken. Dieses Thema könnte in den kommenden Jahren auch vom deutsch-französischen Ausschuss für grenzüberschreitende Zusammenarbeit übernommen werden.

Industriepolitik als Hebel für eine erneute Klimazusammenarbeit
Für die EU-Industriepolitik sind Deutschland und Frankreich entscheidende Treiber. Als Reaktion auf den „Inflation Reduction Act” der Vereinigten Staaten hat die EU-Kommission letztes Jahr die Regeln für staatliche Beihilfen an europäische Unternehmen aufgeweicht, damit EU-Mitgliedstaaten mit Subventionsangeboten aus einem Drittland außerhalb Europas mithalten können. Das Problem ist jedoch, dass sich nicht alle EU-Länder teure Subventionsprogramme leisten können - Deutschland und Frankreich vergeben über 70 Prozent der von der Kommission genehmigten Subventionen in ihren Ländern. Mitgliedstaaten mit geringeren finanziellen Ressourcen kritisieren, dass damit eine Wettbewerbsverzerrung entsteht und den Binnenmarkt fragmentiert. Umfangreiche industrielle Investitionen werden in die EU-Länder mit der größten finanziellen Schlagkraft verlagert, anstatt dorthin, wo sie am meisten zur Emissionsverringerung beitragen könnten.
Europa braucht also eine gemeinsame europäische Industriepolitik, die im gesamten EU-Binnenmarkt funktioniert. Vor kurzem haben Deutschland und Frankreich Maßnahmen zur Unterstützung ihrer Industrien eingeführt, die, wenn sie auf die Union ausgeweitet würden, allen Mitgliedstaaten zugutekommen könnten. So finanziert Deutschland die Dekarbonisierung seiner Industrie unter anderem durch sogenannte Klimaschutzverträge, die Mehrkosten für klimaneutrale bzw. emissionsarme Produktion im Vergleich zu herkömmlichen Prozessen übernehmen. In Frankreich ist seit dem 1. Januar die Förderung von Elektroautos vom CO2-Fußabdruck der gesamten Lieferkette abhängig, was heimischen und europäischen Herstellern einen Wettbewerbsvorteil verschafft. Mehr Austausch und Verständigung zwischen Deutschland und Frankreich würde in der Folge eine einheitliche EU-Herangehensweise fördern.

Von Marion Guénard
Marion Guénard ist Referentin für EU-Klimapolitik und französisch-deutsche Klimazusammenarbeit bei der Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch.
Kontakt: Germanwatch e.V. | guenard@germanwatch.org | www.germanwatch.org
Gesellschaft | Politik, 22.01.2024

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