BIOFACH 2025

So wird Leistung sichtbar

Innovatives Nachhaltigkeitsreporting für die Landwirtschaft

Landwirtschaftliche Nachhaltigkeitsleistungen bleiben derzeit noch zu großen Teilen unbemerkt und unhonoriert. Während sich der Strategieplan der Bundesrepublik Deutschland zur Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) noch auf flächengebundene Subventionen konzentriert, gehen innovative Marktakteure bereits neue Wege: Eine Regionalwert-Berechnung soll die Honorierung einer wirklich nachhaltigen Landwirtschaft über "True-Welfare-Kennzahlen" ermöglichen. Das könnte zum Vorbild für die gesamte Wirtschaft werden.

Die Nachhaltigkeitskommunikation mit den Verbraucher*innen fängt auf dem Acker an. Die Regionalwert-Leistungsrechnung sorgt dafür, dass die Kommunikation darüber hinaus erfolgt. © Grafik: Laura Kulow / Quelle: Bohlsener MühleDie Regionalwert Leistungen GmbH mit Sitz am Kaiserstuhl in Baden-Württemberg hat rund 300 Kennzahlen für Nachhaltigkeitsleistungen entwickelt. Unter den drei Hauptkategorien Ökologie, Soziales und Regionalökonomie können Landwirt*innen ihre betrieblichen Strukturen erfassen. Ziel ist die möglichst exakte monetäre Berechnung der Leistungen, die sie für das Gemeinwohl und die Lebensgrundlagen erbringen. Auf Basis dieser Berechnungen können landwirtschaftliche Betriebe zukünftig vollkommen transparent und objektiv in Preisverhandlungen mit dem Handel und der Verarbeitungsbranche treten. Auch für diese bietet sich hier ein wichtiger Mehrwert, denn Verbraucher*innen zeigen ein stetig wachsendes Interesse an transparenten Herkunftsbedingungen und am Konsum nachhaltiger Erzeugnisse. Die genaue Erfassung der Nachhaltigkeitsleistungen bringt damit Transparenz direkt an den Anfang der Lieferkette. Zusätzlich wird eine handfeste Grundlage für berechtigte Subventionsforderungen an die Politik geschaffen. Es geht um die längst überfällige, angemessene Honorierung von Leistungen für das Gemeinwohl, die Umwelt und die Region.

Regionalwert ist für alle gut
Die Regionalwert-Leistungsrechnung ist für alle gängigen landwirtschaftlichen Betriebszweige geeignet. Vom Ackerbau, Gemüse-, Obst- und Weinbau über die Saatgutvermehrung und Dauergrünlandbewirtschaftung bis hin zum Feldfutterbau. Auch die meisten Arten der Nutztierhaltung sind abgedeckt. Das Reporting steht sowohl ökologisch als auch konventionell geführten Betrieben zur Verfügung und zeigt den Landwirt*innen, in welchen Betriebsfeldern noch Potenzial für mehr Nachhaltigkeitsleistungen stecken. Eine Farb- und Prozentskala in der Auswertung zeigt klar die Areale auf, in denen noch Nachholbedarf besteht.

Ackerbauer Achim Heitmann aus Überlingen meint dazu: „Jeder Betrieb kann irgendetwas besonders gut und etwas anderes weniger gut. Die Regionalwert-Leistungsrechnung ordnet Einzelengagements in den Gesamtzusammenhang ein, gewichtet sie und zeigt, wo es sich lohnt zu investieren. Und sie deckt auf, wenn Maßnahmen sich nur glanzvoll anhören, aber unterm Strich wenig für die Nachhaltigkeit bringen."

Von der True-Cost- zur True-Welfare-Berechnung
Aktuell spiegeln die Preise von Lebensmitteln nicht die Kosten wider, die bei ihrer Erzeugung tatsächlich entstehen. Eine True-Cost-Betrachtung zeigt immerhin die wahren Kosten, die im Zusammenhang mit der Herstellung des Lebensmittels entstehen: für den Wasserverbrauch, für die Folgeschäden durch den Einsatz von Düngemitteln und Pestiziden sowie durch Treibhausgas- und Feinstaubemissionen bei Produktion und Transport. Aber auch soziale und gesundheitliche Faktoren wie Berufskrankheiten werden in Betracht gezogen. Die meisten dieser Kosten trägt gegenwärtig die Allgemeinheit.

Der Regionalwertansatz geht hier noch einen Schritt weiter und kalkuliert neben den tatsächlichen Kosten den Wert landwirtschaftlicher Erzeugnisse im Rahmen einer True-Welfare-Betrachtung. Der Weg führt hierbei weg von der Schadensbetrachtung und hin zur Bewertung der Nachhaltigkeitsleistungen. Christian Hiß, Geschäftsführer der Regionalwert Leistungen GmbH und Gründer der Regionalwert AG in Freiburg bringt es auf den Punkt: "Schadensvermeidung ist nachhaltiger und günstiger als Schadensbehebung."
„True-Welfare” statt „True-Cost”: Hier werden nicht Schäden beziffert, sondern der Fokus auf Maßnahmen gelegt, die Nachhaltigkeit zu stärken.

Transparenz in der Lieferkette schaffen – ein Vorbild auch für andere Branchen
Der Öko-Großhändler Bodan hat in Kooperation mit den Partnerunternehmen Bohlsener Mühle, Barnhouse, Beutelsbacher und dem Netzwerk „WIR. Bio Power Bodensee" im Jahr 2022 das Pilotprojekt Bodan-Konvoi gestartet, um mit der Regionalwert-Leistungsrechnung Transparenz in die eigene Lieferkette zu bringen. „Wir Öko-Großhändler begreifen es als eine unserer Aufgaben, Wissen über die Nachhaltigkeitsleistungen im gesamten Wertschöpfungskreislauf zu generieren", erklärt die Bodan-Qualitäts- und Nachhaltigkeitsmanagerin Jasmin Meyer. „Mit Blick auf das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) gewinnt dieser Aspekt noch mehr an Bedeutung, auch wenn die aus dem Gesetz resultierenden Nachweispflichten für uns noch nicht gelten." Die Initiative will darüber hinaus Impulse geben, die Nachhaltigkeitsleistungen von Landwirt*innen nicht nur sichtbar zu machen, sondern auch zu honorieren. Das übergeordnete Ziel ist es, ein gesellschaftliches Bewusstsein für das Engagement der Landwirtschaft zu schaffen.

Der Aha-Effekt des Reportings – und ein klares Signal an die Politik
In der Pilotphase der Initiative wurden bereits 32 landwirtschaftliche Betriebe (Stand: August 2023) und ihre Leistungen über mindestens ein Geschäftsjahr evaluiert. Die anfängliche Skepsis der Landwirt*innen in Bezug auf die höchst detaillierte Erfassung von Betriebskennzahlen wandelte sich schnell in einen positiven Aha-Effekt um. Das Tool dient nicht nur der betrieblichen Einschätzung und Weiterentwicklung, sondern zeigt, was der Betrieb tatsächlich bereits für die Wahrung der Welt von morgen beiträgt. „Bei der Umsetzung haben wir immer wieder erlebt, wie sehr es die Landwirt*innen ermutigt, wenn sie dokumentiert sehen, wie viel sie für die Nachhaltigkeit leisten. Für viele ist das ein sehr emotionaler Moment", freut sich Jasmin Meyer.

Bereits bei der Betrachtung von 32 Betrieben klafft eine große Lücke von 1,9 Millionen Euro im Geschäftsjahr 2020/21 zwischen dem berechneten Wert der Nachhaltigkeitsleistungen und den tatsächlich bezogenen Subventionszahlungen. 1) Summe de Nachhaltigkeitsleistungen und erhaltenen Subventionen von 32 landwirtschaftlichen Betrieben im jeweils ersten Geschäftsjahr des 'BODAN-Konvois' zur Regionalwert-Leistungsrechnung (2020/2021). Die Daten basieren auf Selbstangaben der landwirtschaftlichen Betriebe und Berechnungen Regionalwert Leistungen. © BODANDie Evaluierung der 32 Pilotbetriebe hat eine Nachhaltigkeitsleistung von rund 4,6 Millionen Euro ergeben. Zugleich lag die Subventionierung dieser Betriebe bei rund 2,7 Millionen Euro – es bleibt somit eine Lücke von 1,9 Millionen Euro. Eine unmittelbare Neugestaltung der Lebensmittelpreise ist schwer denkbar, deshalb ist es notwendig, dass die Ergebnisse der Regionalwert-Leistungsrechnung als Grundlage für einen gesellschaftlichen und politischen Diskurs genutzt werden.

Über 500 Betriebe in der Lieferkette machen mit
Insgesamt wurden schon mehr als 500 ökologisch und konventionell wirtschaftende Lebensmittelbetriebe (Stand: August 2023) für mindestens ein Geschäftsjahr ausgewertet. Mit dabei waren unter anderem auch die Erzeuger-Verbraucher-Genossenschaft LANDWEGE, der Biogetränkeproduzent Neumarkter Lammsbräu und die Katholische Landvolk-Bewegung (KLB). Mit über 500 Betrieben ist eine angemessene Zahl erreicht, um mit gestärktem Rückgrat an die Politik heranzutreten und ein Überdenken der Subventionsleistungen anzustoßen. Sascha Damaschun, Co-Geschäftsführer von BODAN, stellt klar: „Allein über die Preise lassen sich die Zusatzkosten für Nachhaltigkeitsleistungen nicht abdecken. Ohne eine Umwidmung öffentlich verfügbarer Mittel wird es nicht gehen. Subventionen und Transferzahlungen müssen sich künftig an Nachhaltigkeitsleistungen orientieren. Wer Nachhaltigkeit fordert, muss Nachhaltigkeit fördern."

Regionalwert: Nutzen für die landwirtschaftlichen Betriebe
  1. Anerkennung: Grundlagen für die Anerkennung der Leistungen durch Politik und Gesellschaft.
  2. Selbsterkenntnis: Faktenbasierte Darstellung und Bewertung bisher nicht erfasster Nachhaltigkeitsleistungen statt „gefühlsbasierter" Einschätzung.
  3. Kommunikation: Bessere Beschreibung der eigenen Leistungen gegenüber Stakeholdern wie Kund*innen (z.B. Preise), Banken (z.B. Risiko-Einschätzung und Kreditkonditionen), Gemeinden (z.B. Verpachtung von Land) und Politik (z.B. Subventionen und Steuern).
  4. Betriebsentwicklung: Verbesserungspotenziale erkennen, Wirkung von Maßnahmen überprüfen, Entwicklung beobachten.
  5. Nachhaltigkeitsberichterstattung: Pragmatischer Einstieg in die Nachhaltigkeitsberichterstattung mit überschaubarem Aufwand.
  6. Künftige Nachweispflichten: Gute Vorbereitung auf kommende Berichtspflichten zur Nachhaltigkeit von Seiten der EU.

Lukas Scheungraber hat sich nach seinem Studium der Agrarwissenschaften auf den ökologischen Landbau fokussiert. Er ist bestrebt, die Bio-Landwirtschaft für alle greifbarer, spannender und interessanter zu machen.

Wirtschaft | Recht & Normen, 17.11.2023
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 04/2023 mit dem Schwerpunkt Innovationen & Lösungen - Innovationen und Lösungen für Klima und Umwelt erschienen.
     
        
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