Lang lebe das Produkt!
Produktqualität als Katalysator für Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit
Wir stecken mitten in einem Dilemma. Unternehmen und Konsument:innen bewegen sich in hochkompetitiven Gebrauchsgütermärkten, die nach immer kürzeren Verkaufs-Zyklen schreien und minderwertige Produkte fördern, während die Dringlichkeit von nachhaltigerem Handeln durch die EU-Green-Claims-Direktiven, dem EU-Green-Deal und den EU Eco-Design-Guidelines unterstrichen wird. Unternehmen sind durch dieses Paradox des Bestehens im globalen Wettbewerb und der dringend nötigen Systemveränderung hin zu einer Kreislaufwirtschaft überfordert. Was kann getan werden, um beides zu adressieren und sich hin zu einer nachhaltigeren Unternehmung zu entwickeln, die wettbewerbsfähig bleibt? Ein Antwortversuch, der hier näher untersucht werden soll, mag für einige auf den ersten Blick wie ein Schreckgespenst wirken: Langlebige Produkte!
Produktlanglebigkeit als Teil von Produktqualität, lässt die Angst vor sinkendem Absatz aufkommen, obwohl Qualität nach dem Umweltbundesamt (2020) viel eher Kauftreiber ist und von Konsument:innen sogar als nachhaltiger als recycelte Produkte wahrgenommen wird. In Zusammenarbeit mit den Deutschen Instituten für Textil- und Faserforschung sowie einer bekannten Outdoormarke wurde erforscht, inwieweit sich die Nutzungsdauer der Produkte, basierend auf deren Qualität, auf den CO2-Fußabdruck auswirkt. Die Textilindustrie, die in Bezug auf Nachhaltigkeit stark gefordert wird, dient als Rahmen des Experiments. Laut einer Greenpeace Studie sind für 92% der von Konsument:innen weggeworfenen Textile Qualitätsprobleme verantwortlich zu machen. Das entspricht nach Schätzung des statistischen Bundesamts (2021) ca. 162.000 Tonnen jährlich.
Product Carbon Footprint
Für dieses Experiment wurde der sogenannte Product Carbon Footprint* (PCF) berechnet. Dieser setzt sich aus der Summe der verschiedenen Prozessschritte zusammen, die den Aufwand zur Herstellung eines Produktes beschreiben, bspw. Material, Verarbeitung, Transport und der sich daraus ergebende CO2-Fußabdruck. Anschließend wird dieser über die Länge der Nutzungsphase kontextualisiert, um den Aufwand im Kontext einer einzelnen Nutzung zu berechnen (CO2/Nutzung). Um zu verstehen, wie sehr sich die Nutzungsdauer, bedingt durch die Langlebigkeit eines Produktes, auf den PCF auswirkt, wurden mit Daten dieser Outdoormarke zwei Produkte hinsichtlich unterschiedlichem Herstellungsaufwand und den daraus resultierenden CO?-Emissionen analysiert.
Die Ergebnisse zeigen auf, dass Parameter wie die Konstruktion (Produktdesign) und die Herstellung (bspw. Ausmerzen von Fehlern in der Produktion) durch die Erhöhung der Nutzungsdauer einen signifikanten Einfluss auf den PCF haben. Im Vergleich zu Eingabefaktoren wie der Auswahl der Stromherkunft oder dem Transportweg, zeigt sich hier besonders das große Potenzial der CO2-Reduktion durch Maßnahmen zur Verlängerung von Produktlanglebigkeit. Insbesondere bei Produkten mit höherem Herstellungsaufwand, wie zum Beispiel dem Werkstoff Wolle im Textilbereich, ergeben sich CO2-Einsparungen von bis zu 60% im Vergleich zu 45% bei einem Produkt mit einem vergleichbar geringem Herstellungsaufwand.
Produktlanglebigkeit verstehen und nutzen
Langlebigkeit wird aus Konsument:innensicht oft mit Qualität in Verbindung gebracht. Die Ellen MacArthur Foundation, führend in Forschung zu Kreislaufwirtschaft, betont die Wichtigkeit beider Dimensionen, um Produkte dauerhaft attraktiv und relevant zu gestalten. Die Herausforderung liegt darin, die Auswirkungen von Langlebigkeit wie Pilling von Textilien direkt bei Nutzer:innen zu untersuchen und zu verstehen, wie sich diese auf die Weiterverwendung und Lebensdauer der Produkte auswirken. Eine systematische Analyse und Verbesserung von Produktlebenszyklen im Rahmen von realistischen Produkttests und unter Einbindung von Endkonsument:innen kann dazu beitragen, die Produktlebensdauer zu verlängern und eine tiefgreifende Verständnis für zirkuläre Produktstrategien zu entwickeln.
Der durch verlängerte Nutzungszyklen reduzierte PCF spart nicht nur CO2 pro wertgeschöpften Euro ein, sondern stellt für Endkonsument:innen durch die transparente Kommunikation von Qualität eine Entscheidungsgrundlage für nachhaltige Investitionen dar. So werden sowohl der CO2-Fußabdruck pro Nutzung als auch die Produktkosten pro Nutzung verringert. Es besteht ein großes Interesse am Austausch und an der Vernetzung mit verschiedenen Industrieakteuren, um einen Wandel hin zu längerer Produktnutzung und nachhaltigen Geschäftsmodellen zu erleichtern.
*Es soll angemerkt sein, dass PCF und andere Analysearten wie z. B. das Product Life Cycle Assessment verschiedene Parameter und Zeithorizonte miteinbeziehen. Außerdem unterscheiden sich das Design und die geplante Nutzung von Produkten verschiedener Produktkategorien, wie Performance-Produkten und Alltagsprodukten. Auch sind die Ergebnisse nur limitiert generell auf Produkte außerhalb von Textil übertragbar, da bspw. bei Motoren auch noch in der Nutzungsphase Emissionen bedacht werden müssen. Bei näheren Rückfragen steht juergen.seibold@ditf.de gerne für Rückfragen zur Verfügung.
Über Brakeable
Stefan Hauser ist als Gründer von Brakeable von dem Wunsch getrieben, einen spürbaren Einfluss auf nachhaltigeres Konsumverhalten und die Wertschätzung von Produkten zu nehmen. Mit Brakeable berät und unterstützt er Unternehmen auf dem Weg zu wirkungsvollem und nachhaltigem Handeln.
In Kürze (03.-05. Juni 2024) findet die OUTDOOR BY ISPO in München statt. Brakeable ist selbstverständlich vor Ort in Halle A1 auf Stand 566.
Kontakt: Stefan Hauser | stefan@brakeable.com | www.brakeable.com/
Wirtschaft | Lieferkette & Produktion, 17.05.2024
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