Eine neue Heimat
Wie Städterinnen und Bauern gemeinsam einen Weg aus der Krise in der Landwirtschaft beschreiten können
Wochenlang hielten Bauernproteste eine ganze Nation in Atem. Blockierte Straßen, Ausfälle in Versorgung und Transport, Massenkundgebungen und eine hilflos erscheinende Politik. Die Landwirtschaft steckt in der Krise. Doch fernab von Hassparolen und Streit um Subventionen gibt es Hoffnung: Die Kulturland Genossenschaft liefert eine Antwort auf zwei der größten Krisen in der Landwirtschaft: die Preisexplosionen von Grundstücken und Pachtflächen sowie der immer stärkere Biodiversitätsverlust.
Wenn die kalten, rauen Tage des Winters langsam länger werden und sich die ersten Knospen an den Sträuchern und Bäumen an das Licht der Welt trauen, beginnt die Anbausaison. Dann steht für Landwirt Denis Hahn eine ganze Menge Arbeit auf dem Plan: Mit dem Vorschlaghammer schlägt er die Koppelpfähle in die Erde, denn die Rinder können es kaum erwarten, auf der Weide den Frühling in Empfang zu nehmen. Auch das Kleegras will deshalb möglichst schnell gesät sein. Außerdem sind die Reparaturen am alten Stall noch lange nicht fertiggestellt und die zahlreichen Maulwurfshügel auf dem Grünland müssen mit der Egge eingeebnet werden. Auch wenn die Last an Aufgaben erdrückend erscheint, Hahn ist froh, dass er mit Leidenschaft als Landwirt auf seinem eigenen Hof Berenberg arbeiten kann. Das war nicht immer so.
Hof ohne Heimat
Bevor Denis Hahn und seine Frau Kristin-Marlen den Hof Berenberg nahe dem Bodensee aus seinem langjährigen Dornröschenschlaf wecken, stehen sie kurze Zeit ohne Perspektive auf eine Hofstätte, ja sogar ohne ein Heim da. Der Eigentümer ihres bisherigen Pachtbetriebes verlängert den auslaufenden Pachtvertrag völlig überraschend nicht, obwohl der Betrieb vorbildlich geführt ist. Nach diesem Schock dauert die Suche nach einem Neuanfang jedoch nicht lange, denn der leerstehende Berenberg Hof im Nachbarweiler wird der Familie Hahn direkt zum Kauf angeboten. Doch die Freude ist getrübt: Ohne eine Million Euro Kapital ist die Mammutaufgabe, den Hof zu kaufen und wiederzubeleben, undenkbar. Durch eine Berufskollegin stößt Hahn dann auf die Rettung. Er hört von der Kulturland Genossenschaft, die es sich auf die Fahnen geschrieben hat, Land für Biohöfe zu sichern und auch jungen Menschen den Einstieg in die Landwirtschaft zu ermöglichen.
Land in Gemeinschaftseigentum
Land in Genossenschaftseigentum, das klingt erst einmal ungewohnt, doch Familie Hahn sucht den Kontakt und Stefan Illy, der Geschäftsführer der Genossenschaft, sichert umgehend eine Zusammenarbeit zu. Über das geeignete Vorgehen einigen sie sich schnell: Die Genossenschaft erwirbt den Hof und die Grundstücke. Die Wirtschaftsgebäude und das Wohnhaus kauft anschließend die Familie Hahn über ein Erbbaurecht auf 99 Jahre. Sie können diese in diesem Zeitraum vererben oder potenziellen Nachfolgern verkaufen.
Diese Investition kann das junge Paar über Eigenkapital und Bankdarlehen gerade so stemmen. Die Kulturland eG hält die zehn Hektar Agrarland sowie das Land unter den Gebäuden und verpachtet sie dauerhaft festgeschrieben und zu günstigen Bedingungen an Familie Hahn. Glücklicherweise darf das Landwirtepaar auch die bisherigen Pachtflächen zum großen Teil auf den neuen Hof übernehmen und erreichen damit eine Betriebsgröße, die ihnen ein Auskommen ermöglicht.
„Kulturland ist ein Bündnis aus Bürger*innen und Bäuer*innen, die es sich gemeinsam zum Ziel gemacht haben, Land aus der Spekulation zu befreien und es dauerhaft ökologischen Landwirt*innen zur Verfügung zu stellen."
Stefan Illi
So funktioniert eine Genossenschaft
Doch wie genau arbeitet die Kulturland eG? Kund*innen, Freund*innen, Unterstützer*innen eines Hofes sowie Städter*innen aus den Ballungszentren können über Genossenschaftsanteile Geld in die Genossenschaft einlegen. Mit diesen Mitteln kauft die Kulturland eG gemeinsam mit den Höfen das Land, um dieses unbefristet und unkündbar den Bäuerinnen und Bauern zur Verfügung zu stellen.
Die Anteilseigner*innen werden über die Entwicklung der Höfe auf dem Laufenden gehalten und können sich im Rahmen von spannenden Vorträgen über zum Beispiel CO2-Bindung im Boden informieren, oder sich an Hoffesten und Mithilfeaktionen beteiligen. Die Pachthöhe für die Hofeigner*innen ist vom Bodenpreis entkoppelt und orientiert sich an der langfristigen Gewährleistung von Biodiversität und Bodenfruchtbarkeit. Das schafft Bewusstsein für regeneratives Wirtschaften auf der Seite der Bäuerinnen und Bauern, aber auch Bewusstsein für die Arbeit als Landwirt*in und die damit einhergehenden Herausforderungen auf der Seite der „Städter*innen".
Die Gemeinwohl Renaissance
Das Geld, mit dem Supporter*innen der Kulturland eG und somit den Höfen helfen, ist keine Spende, sondern eine Investition. Diese wirft zwar keine Renditen im zweistelligen Bereich ab oder verspricht das schnelle Geld, sie ist vielmehr eine zinslose Investition in den Planeten und die gemeinsame Zukunft. Wer die Genossenschaftsanteile wieder abgeben will, kann sich sein investiertes Geld wieder auszahlen lassen. Schon ab einer Beteiligung von 500,- Euro können Verbraucher*innen ihrer Verantwortung für Mitgestaltung einer zukunftsfähigen Landwirtschaft gerecht werden und konkrete Veränderungen auf dem Land bewirken.
Das Prinzip der Genossenschaft gibt es seit vielen hundert Jahren, doch gerade jetzt sprießen Genossenschaften in allen Teilbereichen des Lebens aus dem Boden: Genossenschaften zur Erhaltung von Jugendzentren und Dorfläden, Carsharing Organisationen, Energiegenossenschaften und eben auch Landwirtschaftsgenossenschaften. Sharing ist eben Caring und auch die Kulturland eG hat sich bei ihrer Gründung vor zehn Jahren ganz bewusst für diesen Weg entschieden, denn gerade in der Landwirtschaft ist das Prinzip des gemeinschaftlichen Besitzes mehr als nur ein Trend, nämlich bittere Notwendigkeit.
„Wir brauchen den Boden zur Erzeugung von Lebensmitteln, und dann ist es egal, ob er dir oder mir gehört. Wenn er uns allen gehört, kann ihn keiner einem wegnehmen."
Denis Hahn
Finanzkrise und Landkrise
Seit der Finanzkrise 2008 sind die Preise für Äcker und Wiesen geradezu explodiert und haben sich durch die große Nachfrage insbesondere von Spekulant*innen und Investor*innen verdreifacht. Auch die Überbauung von Agrarfläche spielt dabei eine große Rolle, denn der Baulandverkauf bringt Landwirt*innen große Summen, die sie aus steuerlichen Gründen gerne wieder in Land investieren. Neben der Spekulation und der Verknappung treibt auch dieser Prozess die Landpreise in die Höhe. So ist es inzwischen vor allem für junge Landwirt*innen und Neueinsteiger*innen aus Leidenschaft fast unmöglich, Flächen zu kaufen und dies aus dem Verkauf ihrer Erzeugnisse zu finanzieren. Da parallel zum Kaufpreis auch die Pachtpreise in vielen Regionen durch die Decke gehen, zwingt das konventionelle Höfe, aber auch ihre Bio-Kolleg*innen, ihren Anbau zu intensivieren: mehr Schnitte vom Grünland statt extensiver Beweidung und Blumen. Mehr Cash-Crops auf dem Acker statt bodenaufbauendem Kleegras. Privatwirtschaftlich mag diese Entwicklung für manche Landeigentümer*innen lukrativ sein, gesellschaftlich ist die Folge gestiegener Landpreise katastrophal. Die Auswirkungen sind längst bekannt: massiver Biodiversitätsverlust, CO2-Ausgasung durch die Bewirtschaftung von Mooren und Humusabbau durch zu intensive Landnutzung.
„Wir wollen jungen Landwirten und Landwirtinnen ermöglichen, den Einstieg in die Landwirtschaft zu meistern, auch wenn sie keinen Hof vererbt bekommen."
Stefan Illi
Ein Hoffnungsschimmer für die Zukunft
Genau dagegen will die Kulturland eG kämpfen, und das tut sie mit Erfolg. In den zehn Jahren seit der Gründung haben sich über 2.000 Genoss*innen an dem Projekt beteiligt und unterstützen somit mittlerweile über 40 Bio-Höfe in ganz Deutschland. Die Schicksale dieser Betriebe könnten unterschiedlicher nicht sein, doch sie sind in der Idee geeint. In der Idee, Natur, Mensch und Tier zu verbinden und nachhaltige Produkte für ein gesundes Leben und einen gesunden Planeten zu schaffen. Nicht als Einzelkämpfer, sondern zusammen.
„Jetzt kann jeder mithelfen, dass sich am Berenberg was verändert, dass sich Menschen, Tiere und Natur wohl fühlen hier", sagt Kristin-Marlen Hahn mit einem strahlenden Lächeln auf dem Gesicht. Mit der Hilfe von Kulturland eG baut sich Familie Hahn im Baden-Württembergischen Mühlingen nicht nur eine neue Heimat auf, nein – ihr Hof gedeiht in den nächsten Jahren langsam, aber sicher zu einer weiteren Oase der Biodiversität und des Miteinanders.
Es sind Projekte wie Kulturland eG, aber auch die vielen kleinen Vereine der solidarischen Landwirtschaft und etliche regenerativ wirtschaftende Kleinbauern und Bäuerinnen, die gemeinsam den Weg zur Wende unserer Landnutzung bereiten. Denn die Landwirtschaftswende ist ein Marathon und kein Sprint.
Von David Quirchmayr
David Quirchmayr studiert Journalismus und strategische Kommunikation mit Politikwissenschaften im Nebenfach an der Universität Passau. Seit seiner Seminararbeit zum Thema „Humusaufbau in der Regenerativen Landwirtschaft" begeistert er sich für Bodenforschung und nachhaltige Projekte in diesem Bereich.
Kulturland für Mensch und Natur
Zehn Jahre nach der Gründung feiert im Juni 2024 die Kulturland Genossenschaft bei der Hofgemeinschaft Vorderhaslach in der Nähe von Nürnberg ihr Jubiläum. Das passt hervorragend, denn sie ist das bisher erfolgreichste Projekt der Genossenschaft. Mit Unterstützung von inzwischen 230 Bürgerinnen und Bürger aus dem Großraum Nürnberg und dem regionalen Biohändler ebl Biomarkt als einem der Hauptabnehmer der Hofprodukte, konnten über 700.000 € für 48 ha Flächen aufgebracht werden. Damit sind sie dauerhaft vor dem Verkauf an Investoren gesichert und werden gemäß Demeter-Richtlinien gepflegt. Eine gute Nachricht auch für einige vom Aussterben bedrohte Ackerwildkräuter und die Menschen der Region, die das Gemüse, Getreide und Fleisch des Hofes genießen.
Von der Finanz- zur Bodenkrise
Vor 10 Jahren war dieser Erfolg nicht abzusehen. Denn es fing wie alles klein an. Initiator Thomas Schmid vom Heggelbachhof am Bodensee lud nach der Finanzkrise eine Handvoll Menschen – darunter ein Banker, ein Jurist, ein Regionalentwickler und ein Organisationsentwickler – auf seinen Hof ein und zeigte ihnen eine zum Verkauf stehende Pachtfläche des Hofes. Schmid war damals schon klar, dass die damalige Verdreifachung der Kauf- und Pachtpreise für Agrarland in Deutschland ein massives Problem für die Ausweitung des Ökolandbaus und den Schutz der Biodiversität werden würde. Gemeinsam entwickelte man das Zukunftsbild von einem Bündnis aus Höfen und BürgerInnen, um in größerem Stil Land vor dem Verkauf an Spekulanten zu retten. Daraus entstand eine Genossenschaft die bis heute bundesweit fast 700 ha für 41 Biohöfe in Gemeinschaftseigentum überführen konnte. Und der Bedarf wächst: immer mehr Biohöfe mit regionalem Umfeld, wie die Hofgemeinschaft Vorderhaslach, fragen um Unterstützung an.
Bauern und Konsumenten Hand in Hand
Gerade der zu Beginn entwickelte Ansatz, regionale Bündnisse aus Konsumenten und der regionalen Bio-Wertschöpfungskette um den Hof zu bilden, stellt sich heute als besonders wertvoll und erfolgreich heraus. Er ermöglicht den gelichzeitigen Zugang zu Land für engagierte Höfe und Mitverantwortung für Regionalversorgung und Aufbau von Biodiversität durch engagierte Bürger.
Konditionen für Mitglieder
- Zeichnung ab 500 €, keine Obergrenze
- Freiwilliges Eintrittsgeld von 5%
- Keine Verzinsung, dafür ökologische und soziale Rendite durch den Erhalt vielfältiger Biohöfe
- 5 Jahre Bindung, danach sind die Anteile jährlich kündbar
- Beteiligung an einem konkreten Landkauf möglich
Konditionen für Partnerhöfe
- Biologische Bewirtschaftung
- Regionale Einbindung und Vermarktung
- 10% der Flächen besonders naturnah bewirtschaftet
- Unbefristete Pachtverträge mit moderater Pacht
- Sicherheit durch persönlichen Bezug zu Genoss*innen und ein soziales Umfeld
Wirtschaft | Branchen & Verbände, 01.06.2024
Dieser Artikel ist in forum 03/2024 mit dem Schwerpunkt „Wirtschaft im Wandel – Lieferkettengesetz, CSRD und regionale Wertschöpfung" - Positiver Wandel der Wirtschaft? – So kann's gehen erschienen.
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