Die unbeabsichtigte Verschwörung
Ziehen CSR-Programme und Marktkräfte doch an einem Strang?
Gettyimages © Robert Decelis Ltd |
In der Fakultät hatte ich einmal einen Kollegen, dessen Kleidungslieferkette an seinem Gartenzaun endete. Harry und seine Frau Priscilla züchteten Angoraziegen auf ihrer Farm unweit von Washington, und zu bestimmten Zeiten im Jahr schoren sie die Ziegen, um dann die Wolle zu Garn zu spinnen und dieses zu Kleidung zu verarbeiten. Das ist schon mehr als 20 Jahre her, und während Harry und Priscilla in gewisser Hinsicht in der Vergangenheit lebten, waren sie eigentlich frühe Pioniere der Begeisterung für lokale Produkte, die westliche Konsumenten heute erfasst hat. Natürlich ist Kleidung für die meisten von uns das Produkt einer globalen Lieferkette: Das Schaf oder die Baumwollpflanze können in jenem Land sein, die Garnspinner in einem anderen, und die Weber, Stricker und Nähmaschinenbediener vielleicht sogar in einem dritten oder vierten. Während noch vor nur 25 Jahren der Großteil dieser Aktivitäten innerhalb der Grenzen eines Landes stattfand - oft sogar innerhalb eines vertikal integrierten Unternehmens - ist die heutige Textilproduktion das Resultat ineinander fließender globaler Netzwerke.
Ein großer Teil der globalisierungskritischen Stimmung des letzten Jahrzehnts war gegen diese globalen Netzwerke gerichtet, deren Aktivitäten oft mit dem politisch aufgeladenen Begriff des "Outsourcing" beschrieben werden. Während die Anti-Globalisierungsbewegung vor zehn Jahren noch eine Randerscheinung zu sein schien, zeigen Meinungsumfragen heute, dass Skepsis am internationalen Handel ein weit verbreitetes und wachsendes Massenphänomen ist. Studien belegen, dass der weltweite wirtschaftliche Wettbewerb diese Bedenken verursacht: Das heraufbeschworene Bild des "Abwärts-Wettlaufs*" suggeriert einerseits, dass die Existenzgrundlage von Arbeitern in wohlhabenden Ländern bedroht sei. Aber es spielt auch auf den Druck auf Sozial- und Umweltstandards an, dem arme Länder ausgesetzt sind, wenn sie um Investitionen konkurrieren wollen. Aktivisten haben das Bewusstsein für eine Reihe von Missbrauchsfällen in internationalen Lieferketten geschärft.
CSR als Gegenbewegung zur Globalisierung
Bei den Unternehmensleitungen schlug sich dieses wachsende Unbehagen maßgeblich darin nieder, dass sie begannen, anspruchsvolle Corporate-Social-Responsibility-Programme zu entwickeln, welche auf die sozialen und ökologischen Dimensionen ihrer Lieferkette zielen. Während traditionelle Lieferbeziehungen auf Produkt und Preis basierten, erweitern CSR-Programme die vertraglichen Beziehungen auf den gesamten Produktionsprozess. Zunehmend hat eine Vielzahl von Stakeholdern westliche Unternehmen dazu gebracht, Verantwortung für Bedingungen zu übernehmen, die immer weiter zurück in ihre Lieferketten reichen. In der Bekleidungsindustrie waren frühe CSR-Programme generell begrenzt auf Arbeitsbedingungen in Schneidereien. Heute hat eine Reihe großer europäischer und US-amerikanischer Bekleidungsfirmen ihre CSR-Reichweite auf die Umweltpolitik der Garn- und Stoffproduzenten und sogar die Produktionsmethoden auf den Baumwollplantagen ausgeweitet.
Diese CSR-Programme werden üblicherweise als Bremsschwellen des Abwärts-Wettlaufs gesehen. Den stärker und stärker werdenden globalen ökonomischen Kräften muss mit immer mehr CSR-Praktiken des Managements begegnet werden, damit uns die unsichtbare Hand des Marktes nicht in eine Abwärtsspirale der Arbeits- und Umweltstandards leitet. In diesen Zusammenhang fällt zum Beispiel die so genannte "Verschmutzungshafen"-Hypothese. Dieser jahrelang weithin akzeptierten Annahme zufolge verleitet Handelsliberalisierung Unternehmen dazu, ihre Produktion dort anzusiedeln, wo der Umweltschutz am schwächsten ist. Die Folgen für die ökologische Gesundheit des Planeten liegen auf der Hand. Diese Vorhersage wurde mit dem Skalenargument untermauert, das davon ausgeht, dass Freihandel zu gesteigerter Produktion und höherem Konsum führt. Im Falle eines T-Shirts zieht dies wiederum einen höheren Wasser-, Pestizid- und Chemikalienverbrauch nach sich, von der Luftverschmutzung infolge eines höheren Transportaufkommens gar nicht zu reden.
Internationaler Handel als Chance
Wenn CSR diese Entwicklung schon nicht aufhalten kann, so könnte es doch zumindest eine entgegenwirkende Kraft sein. Aber diese einfache Logik von Gut gegen Böse verschleiert eine komplexere Wirklichkeit über die Beziehungen zwischen Globalisierung einerseits und sozialer Sicherheit und Umweltschutz andererseits. Kurz gesagt, könnte die Liberalisierung des internationalen Handels ihre eigenen Verbesserungen von sozialen und ökologischen Bedingungen schaffen. Bis jetzt ist der größte Anhaltspunkt für diese Annahme die "Umwelt-Kuznets-Kurve". Diese deutet darauf hin, dass die Industrialisierung in ihrer Anfangsphase zwar sehr wohl zur Bedrohung der Umwelt führen kann. Doch sobald die Einkommen weiter wachsen, sind die Bürger eher gewillt, für saubereres Wasser und bessere Luft zu zahlen. In der Folge werden deshalb zunehmend sauberere Technologien eingeführt.
Internationaler Handel und Investment spielen bei der Verbreitung dieser Technologien natürlich auch eine Rolle. So können die Anforderungen der reichen Länder in Bezug auf Arbeits- und Umweltschutz die Technologiewahl in armen Ländern beeinflussen oder sogar bestimmen. Des Weiteren wird der Freihandel Unternehmen auch oftmals dazu verleiten, den Umweltstandards in dem am stärksten regulierten Markt zu entsprechen. Diese Dynamik wird in den USA auch der "Kalifornien-Effekt" genannt, da Kalifornien traditionell die strengsten Abgasnormen der Vereinigten Staaten hat. Unternehmen, die in die USA exportieren, müssen folgerichtig Autos bauen, die den strengen kalifornischen Standards entsprechen.
Marktkräfte im Zusammenspiel mit CSR
In meinem Buch "Reisebericht eines T-Shirts" habe ich über die internationale Lebensgeschichte meines Sechs-Dollar-T-Shirts geschrieben. Das T-Shirt ist mit einem großen roten Papagei bedruckt, aber 2008 bekam mein Papagei Probleme. Die Tinte, mit dem er gedruckt wurde, wurde aus Plastisol hergestellt, was wiederum aus der Chemikalienklasse der Phthalate besteht. Neueste Forschungsergebnisse haben gezeigt, dass Phthalate sowohl für den Menschen als auch für die Umwelt möglicherweise sehr gefährlich sein können, und die EU hat Phthalate in den meisten Kinderprodukten verboten. Dieser Bann hat dazu geführt, dass Unternehmen weltweit um die Entwicklung verträglicherer Tinten konkurrieren und asiatische Kleidungsproduzenten phthalatfreie Produktlinien anbieten. Die Maßstäbe der wohlhabenden Europäer verbreiten sich. Allerdings weniger durch CSR-Programme als durch marktwirtschaftliche und politische Macht.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Marktkräfte heute nicht nur der Suche nach den geringsten Kosten entsprechen, sondern auch die Vorlieben einer immer anspruchsvolleren Wählerschaft widerspiegeln. Obgleich zwei Jahrzehnte der CSR-Ausübung effektiv darin waren, zumindest einige der westlichen Sicherheiten in ärmeren Ländern zu verbreiten, kam dabei der Globalisierung selbst auch eine Rolle zu. Da ich die Kleidungsindustrie in den letzten Jahren verfolgt habe, bin ich sicher, dass das T-Shirt der Zukunft eine geringere Anzahl von Pestiziden, weniger Wasser und sicherere Farben und Tinten als das vor einem Jahrzehnt produzierte T-Shirt verbrauchen wird. Das ist ein Verdienst von CSR, aber eben auch das der Kräfte des Marktes - eine "unbeabsichtigte Verschwörung" sozusagen.
*) Mit dem englischen Begriff race to the bottom (Abwärts-Wettlauf) wird ein Modell bezeichnet, das den Abbau von Standards (Sozial-, Arbeits-, Umweltstandards) im globalisierten Wettbewerb beschreibt.
Im Profil Pietra Rivoli ist Professorin an der McDonough School of Business der Georgetown Universität, USA. Ihr Buch "Reisebericht eines T-Shirts - Ein Alltagsprodukt erklärt die Weltwirtschaft" hat zahlreiche Preise gewonnen und ist auf Deutsch 2007 im Ullstein Verlag erschienen. |
Quelle:
Wirtschaft | Lieferkette & Produktion, 11.12.2008
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