Warum ist Deutschland bei der Innovationskraft im weltweiten Vergleich zurückgefallen?

Christoph Quarch im forum-Interview

Einer jüngst veröffentlichten Studie zufolge ist Deutschland bei der Innovationskraft im weltweiten Vergleich um zwei Ränge zurückgefallen und belegt nun Platz 12. Die Top 10 der insgesamt 35 untersuchten Volkswirtschaften werden ausnahmslosen von kleineren Staaten belegt, Großbritannien, die USA und Frankreich liegen hinter Deutschland. Gute Note bekommt Deutschland vor allem in den Bereichen Forschung und Entwicklung. Mängel gibt es vor allem bei der Umsetzung des Wissens, besonders im Blick auf Produktions- und Energietechnologien. Die PS sind also da. Nur bekommen wir sie nicht auf die Straße? Warum? Ist Deutschland zu ängstlich? Sind wir zu konservativ? Darüber reden wir mit dem Philosophen Christoph Quarch.
 
Herr Quarch, wie erklären Sie sich die Innovationsschwäche in unserem Land?
© Tung Lam; Pixabay.comIch bin eigentlich kein großer Fan von Spekulationen über kollektive nationale Charaktereigenschaften und dergleichen. Aber in diesem Fall ist schon auffällig, dass sich die Deutschen historisch gesehen nie sonderlich innovationsfreudig gezeigt haben. Ganz Unrecht hatte Lenin jedenfalls nicht, als er das Bonmot prägte: „Bevor die Deutschen einen Bahnhof stürmen, lösen sie eine Bahnsteigkarte". Und ich kann auch dem Satze eines niederländischen Kollegen etwas abgewinnen, der mir unlängst sagt: Die Deutschen fragen bei jeder Innovation „Why?", die Niederländer „Why not?" Was ich damit sagen will: Es gibt in unserem Land eine Mentalität des Bedenkentragens, Rückversicherns, Kontrollierens, die jeder Innovation und Transformation im Wege steht. Und diese Mentalität hat sich meines Erachtens in den letzten 20 Jahren flächendeckend ausgeweitet – sehr zum Schaden unserer Volkswirtschaft.

Auf der anderen Seite wird in unserem Land ein hohes Niveau bei Forschung und Entwicklung bescheinigt. Wie passt das zusammen?
In Wissenschaft und Technik sind Sorgfalt und Gründlichkeit die Garanten hoher Qualität – und aus eigener Erfahrung weiß ich, dass die Tugenden dort hochgehalten werden. Es ist ein Umsetzungsproblem – und an diesem Punkt sind Wirtschaft und Politik in die Pflicht zu nehmen. Und zwar in dieser Reihenfolge. Aus irgendeinem Grund hat sich in unserem Diskurs die Idee durchgesetzt, wirtschaftliche Krisen wie derzeit bei Volkswagen seien durch die Politik verursacht. Dabei liegt es auf der Hand, dass es sich hier um die Folgen fataler Managementfehler handelt. Dass die AutomobilIndustrie es nicht hingekriegt hat, bei der Entwicklung der Elektromobilität an der Weltspitze zu stehen, liegt nicht an der Politik, sondern an mangelnder geistiger Flexibilität, um nicht zu sagen einem bärbeißigen Festhalten am Bewährten.

Mängel werden Deutschland vor allem bei der Umsetzung neuer Energietechnologien bescheinigt. Wie erklären Sie sich, dass es ausgerechnet in diesem Bereich hapert?
Das ist mir ein Rätsel. Deutschland war noch Anfang der 2000er Jahre ein weltweiter Vorreiter im Bereich ökologischer Zukunftstechnologien. Bei der letzten Bundestagswahl wären die Grünen um ein Haar stärkste Partei geworden. Und heute sind sie der Buhmann für alles, was Land schiefläuft, namentlich der Wirtschaftsminister, der unermüdlich für die Förderung genau der innovativen Technologien einsetzt, bei deren Umsetzung uns die größten Defizite bescheinigt werden. Und das liegt nicht an ihm, sondern an einer Opposition, die jede ökologische Innovation behindert – und eine anti-grüne Stimmung im Land verbreitet, die denen in die Hände spielt, die einen ängstlichen Konservativismus füttern. Das ist schlimm, denn für ein Technologieland wie Deutschland ist der Weg in eine prosperierende Zukunft grün. 

Sie sagen: Die Politik allein kann man für die Innovationsschwäche nicht verantwortlich machen. Was muss geschehen, damit wir die deutsche Wirtschaft fit für die Zukunft bekommen?
Patentrezepte gibt es nicht. Hier geht es um einen Mentalitätswechsel und das ist eine Aufgabe für die ganze Gesellschaft. Die wichtigste Voraussetzung dafür ist Vertrauen: Vertrauen in die Menschen, Vertrauen in Technologien, Vertrauen in die Politik. Anstelle einer Kultur des Vertrauens haben wir jedoch eine Kultur des Misstrauens geschaffen, in der Organisationen Unsummen fürs Controlling und umständliche Genehmigungsverfahren ausgeben – Geld, das man gut gebrauchen könnte, um Innovationen zu erproben: Why not? Und wir müssen diesen toxischen anti-ökologischen Affekt aus den Köpfen verbannen – ebenso die Fetischisierung überalterter Technologien wie Verbrennungsmotoren und Kernkraft. Das bringt uns nicht voran. Wir brauchen Mut und Zuversicht. Und wir haben allen Grund dazu, denn – wie die Studie zeigt - Deutschland hat ein großartiges Potenzial. Wir dürfen es nur nicht durch unsere Kleingeisterei verspielen.

Der Philosoph Christoph Quarch schreibt regelmäßig für forum Nachhaltig Wirtschaften. © Christoph Quarch

Der Bestseller-Autor Christoph Quarch ist Philosoph aus Leidenschaft. Seit ihm als junger Mann ein Büchlein mit »Platons Meisterdialogen« in die Hand fiel, beseelt ihn eine glühende Liebe (philia) zur Weisheit (sophia), die er als Weg zu einem erfüllten und lebendigen Leben versteht. Als Autor, Publizist, Berater und Seminarleiter greift er auf die großen Werke der abendländischen Philosophen zurück, um diese in eine zeitgemäße Lebenskunst und Weltdeutung zu übersetzen."
 
In seinem neuen Buch "Begeistern! Wie Unternehmen über sich hinauswachsen" geht's um Fragen wie diese:
Wie kommt der Geist in unsere Unternehmen? – Durch Begeisterung! Und wie entsteht Begeisterung? Anders als die meisten glauben.

Lesen Sie mehr von ihm unter www.christophquarch.de

Als forum-Redakteur zeichnete Christoph Quarch verantwortlich für den Sonderteil „WIR - Menschen im Wandel". 

Technik | Innovation, 21.09.2024

     
        
Cover des aktuellen Hefts

Pioniere der Hoffnung

forum 01/2025 ist erschienen

  • Bodendegradation
  • ESG-Ratings
  • Nachhaltige Awards
  • Next-Gen Materialien
Weiterlesen...
Kaufen...
Abonnieren...
21
DEZ
2024
Ein leuchtendes Zeichen für Demokratie und Gemeinschaft
Tollwood Winterfestival unter dem Motto "Wir braucht Dich!", bis 23. Dezember
80336 München
03
JAN
2025
48. Naturschutztage am Bodensee
Vorträge, Diskussionen, Exkursionen mit Fokus: Arten-, Klima- und Naturschutz
78315 Radolfzell
17
JAN
2025
Systemische Aufstellungen von Familienunternehmen und Unternehmerfamilien
Constellations machen Dynamiken sichtbar - Ticketrabatt für forum-Leser*innen!
online
Alle Veranstaltungen...
NatuVision Forum

Professionelle Klimabilanz, einfach selbst gemacht

Einfache Klimabilanzierung und glaubhafte Nachhaltigkeitskommunikation gemäß GHG-Protocol

Politik

Solingen - eine kollektive Erosion des Vertrauens?
Christoph Quarch überlegt, wie den Menschen das Sicherheitsgefühl zurückgegeben werden kann
B.A.U.M. Insights
Hier könnte Ihre Werbung stehen! Gerne unterbreiten wir Ihnen ein Angebot

Jetzt auf forum:

Fotoausstellung Klimagerecht leben

Ohne Vertrauen ist alles nichts

Zeit für Regeneration

The Custodian Plastic Race 2025

Hacker vs. Host: Wie man Angreifer überlistet

Auf der Überholspur: Förderpolitik hat E-Busse wettbewerbsfähig gemacht.

TARGOBANK spendet 200.000 Euro für Herzensprojekte von Mitarbeitenden

WE-LITE

  • NOW Partners Foundation
  • Kärnten Standortmarketing
  • World Future Council. Stimme zukünftiger Generationen
  • circulee GmbH
  • Energieagentur Rheinland-Pfalz GmbH
  • Global Nature Fund (GNF)
  • DGNB - Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen
  • Engagement Global gGmbH
  • BAUM e.V. - Netzwerk für nachhaltiges Wirtschaften
  • Futouris - Tourismus. Gemeinsam. Zukunftsfähig
  • Protect the Planet. Gesellschaft für ökologischen Aufbruch gGmbH
  • Dr. Ing. h.c. F. Porsche AG
  • ECOFLOW EUROPE S.R.O.