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Was erreicht man damit, wenn man eine Social-Media-Plattform boykottiert?

Christoph Quarch empfiehlt allen seriösen Kräften den Rückzug von X

Schon Anfang Dezember hatten zahlreiche Institutionen und Prominente medienwirksam ihren Rückzug von Elon Musks Online-Dienst X bekannt gegeben. Nun folgen mehr als 60 Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Sie protestieren damit gegen die Radikalisierung und Verbreitung rechtspopulistischer Propaganda durch die Plattform. So begründete die Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf ihren Rückzug damit, dass X gegen die Grundwerte der beteiligten Institutionen verstoße: Weltoffenheit, wissenschaftliche Integrität, Transparenz und demokratischer Diskurs. Aber wird dadurch irgendetwas besser? Was erreicht man damit, wenn man eine Social-Media-Plattform boykottiert? Darüber reden wir mit dem Philosophen Christoph Quarch.
 
Herr Quarch, sind Sie noch auf X?
Ich hatte mal einen Twitter-Account, aber der ist schon seit Jahren stillgelegt. Wäre es anders, würde ich mich jetzt diesem Trend anschließen und die Plattform verlassen. Ich glaube, man kann nicht in einem dreckigen Teich schwimmen, ohne selbst dreckig zu werden. Und dreckig ist allemal, was auf X geschieht. Die Plattform ist eben kein Medium des sachlichen und demokratischen Diskurses, sondern ein Verstärker für unsachliche und demokratiefeindliche Propaganda. Was ja auch kein Wunder ist, wenn man sich ihren Eigentümer anschaut, über dessen antidemokratische Gesinnung sich niemand mehr täuschen kann. Kurz: Alles an X ist toxisch, und wenn man seine eigene moralische Integrität schützen möchte, tut man gut daran, sich von der Plattform fernzuhalten.

Man kann einen solchen Rückzug aber auch als Kapitulation sehen. Wäre es nicht besser, auf X zu bleiben, um den rechten Narrativen und Fake-News etwas entgegenzusetzen? Oder um auf dem Laufenden zu bleiben und zu wissen, was in dieser Bubble geschieht?
So ehrenwert solche Versuche sein mögen, ich glaube, sie sind zum Scheitern verurteilt. X ist ja nicht ein neutraler Raum, in dem alle Nutzer die gleichen Bedingungen finden. Die Plattform ist durch Algorithmen strukturiert, von denen inzwischen bekannt ist, dass sie propagandistisch genutzt werden und gerade nicht den sachlichen oder wissenschaftlichen Austausch fördern. Dass es auch anders ginge, zeigt eine Plattform wie Linkedin, auf der man sachlichen und argumentativen Debatten der Nutzer folgen kann. Aber so etwas ist von Musk offensichtlich nicht gewollt. Deshalb ist der Rückzug die richtige Entscheidung. Wenn alle seriösen Kräfte mitmachen, wird X zu einer selbstreferentiellen rechten Bubble, die man dann auch mit besseren Gründen verbieten könnte.

Glauben Sie allen Ernstes, dass ein Verbot von X irgendetwas besser machen würde? Wäre das nicht ein Verstoß gegen die Meinungsfreiheit?
Natürlich würde Musk genauso argumentieren – aber in Wahrheit würde er damit Augenwischerei betreiben. Meinungsfreiheit bedeutet, dass jeder Bürger seine Sicht der Dinge und seine Überzeugungen vertreten kann, ohne dadurch Nachteile in Kauf nehmen zu müssen. Meinungsfreiheit bedeutet aber nicht, dass man ungehemmt Falschinformationen, Hass und Hetze verbreiten darf; oder dass man ungefiltert alles Mögliche von sich geben kann – einschließlich Verbalinjurien und Hasstiraden der übelsten Sorte. Wo solches geschieht, ist eine freie Meinungsäußerung gar nicht mehr möglich. Deshalb würde ich allen, denen es um Seriosität im Netz zu tun ist, empfehlen, die Kommentarleisten auf ihren Seiten zu schließen. Das ist kein Eingriff in die Meinungsfreiheit, sondern dient ihrem Schutz.

Würde man sich damit nicht den Vorwurf der Zensur einhandeln?
Nein, Zensur wäre nur, wenn ich die mir genehmen Meinungen zulasse und andere nicht. Wenn ich meine Kommentarleiste schließe oder X verlasse, ist das keine Zensur, sondern der tapfere Versuch, den Sumpf trocken zu legen. Davon abgesehen ist der Begriff „Zensur" in dieser Debatte irreführend. Er lässt sich anwenden auf die Selektion von Meinungen, nicht aber auf das Ausfiltern von Affektbekundungen oder Falschinformationen, wie es die gerade in den USA geschassten Fakten-Checker auf Instagram und Facebook oder die Redaktionsteams auf Linkedin machen. Ohne solche redaktionellen Filter laufen Social Media Gefahr, die freie Gesellschaft zu zerstören. Schon Platon wusste, dass der Freiheit eines Gemeinwesens nichts so sehr schadet wie ein Übermaß an Freiheit der Einzelnen. Ich glaube, manchmal ist es gut, den Weisen der Vergangenheit Gehör zu schenken.

Der Philosoph Christoph Quarch schreibt regelmäßig für forum Nachhaltig Wirtschaften. © Christoph Quarch

Der Philosoph, Speaker und Bestseller-Autor Christoph Quarch begleitet Unternehmen, unterrichtet an verschiedenen Hochschulen und veranstaltet philosophische Reisen. In seinen Vorträgen und Büchern greift er auf die großen Werke der abendländischen Philosophie zurück, um diese in eine zeitgemäße Lebenskunst und Weltdeutung zu übersetzen. Gemeinsam mit seiner Frau Christine Teufel gründete er die Neue Platonische Akademie für eine geistige Erneuerung der Gesellschaft.
 
 
Mehr zu ihm unter christophquarch.de und akademie-3.org

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