Vom Priester zum Straftäter

Spinner oder Aktivist für eine lebenswerte Zukunft?

Er ist Jesuit, Migrationssoziologe – und mittlerweile auch Straftäter. Pater Jörg Alt predigt nicht nur, dass sich etwas ändern muss, er ist auch selbst seit Jahren dafür aktiv. Zuletzt hat er Schlagzeilen gemacht, als er sich gemeinsam mit Vertretern der "Letzten Generation" am Stachus in München auf der Straße festgeklebt hat. Er will aufwecken, aufklären und etwas bewegen. forum-Redakteur Kai Platz sprach mit dem Jesuiten-Pater Jörg Alt.

© Gerd Henghuber© Gerd Henghuber
Herr Alt, warum sind Sie so aktiv, oder schon aktivistisch? Was sind Ihre Beweggründe?
Die Themen soziale Gerechtigkeit und ökologische Nachhaltigkeit beschäftigen mich eigentlich schon das gesamte Ordensleben, also seit vierzig Jahren. Aber die Dringlichkeit dieser Themen habe ich erst durch Fridays For Future und den Hungerstreik der Letzten Generation verstanden.

Diese Dringlichkeit der Problematik und die Not der jungen Menschen, die dafür eintreten, die Verzweiflung dieser jungen Menschen, dass niemand auf sie hört, hat mich letzten Endes bewogen mitzumachen. Ich kann da keine Distanz wahren und Segen spenden, sondern ich muss mich auf ihre Seite stellen.

Und das auf eindrucksvolle und sehr aktive Weise. Denken Sie, dass Sie da manchmal zu weit damit gehen?
Jede der sechs Aktionen meines zivilen Ungehorsams habe ich im Vorfeld sehr gründlich überlegt, mit vielen Leuten und meinen Vorgesetzten darüber gesprochen und sie dann schlussendlich durchgezogen. Ich mache das nicht leichtfertig, ich habe auch keine Lust, ins Gefängnis zu gehen! Und ich tue nur das, was ich vor meinem Gewissen verantworten kann und als sachlich geboten und gerechtfertigt ansehe.

Ich finde es beeindruckend, dass Ihre Aktionen offensichtlich vom Orden geduldet werden.
Sagen wir mal so, der Jesuitenorden als großer katholischer Orden ist inhaltlich zu diesen Fragen gespalten. Denn es kostet uns natürlich auch Spender, die sagen: „Wenn ihr so einen Radikalen in euren Reihen habt und ihn nicht diszipliniert, dann spenden wir für eure Arbeit nichts mehr." Das ist zwar völliger Blödsinn, denn die klassische Arbeit der Jesuiten in der Jugendarbeit, in den Schulen und Universitäten geht ja weiter, ob ich jetzt da bin oder nicht. Natürlich gibt es intern auch Kritik und deshalb freue ich mich umso mehr, dass doch die Mehrheit der Jesuiten meine Sache unterstützt. Meine Ordensbrüder wissen eben, dass ich seit Jahrzehnten sehr wissenschaftlich, sehr akribisch und sorgfältig mit klassischen Methoden zivilen Engagements gearbeitet habe. Sie wissen und akzeptieren, dass ich nur dann radikal werde, wenn ich dafür einen guten Grund habe, und sie sagen: „Seit du diesen ,Käse‘ machst, habe ich mich damit beschäftigt und mittlerweile verstehe ich sehr gut, warum du das tust."

Und was sagen Ihre Vorgesetzten dazu?
Das sind alles Diskussionen, die auch an unserem Provinzial nicht vorübergehen, der auf Grund seiner Nähe zu dem Hilfswerk „Jesuiten Weltweit" sehr gut über die Situation im globalen Süden informiert ist und bei Projektreisen mitbekommen hat, was der Klimawandel dort schon anrichtet. Das Schöne am Jesuitenorden ist ja gerade das globale Netzwerk an Solidarität in vielen Ländern, sodass wir auch mit der Autorität und Legitimation unserer Projektpartner aus dem globalen Süden sprechen. Wer sieht, was ich zu diesen Themen publiziere, wird merken, dass ich drei Säulen habe:
  • erstens meine wissenschaftliche Qualifizierung als Migrationssoziologe;
  • zweitens den Auftrag, den ich aus dem globalen Süden verspüre;
  • drittens meine Nähe zur jungen Generation, der ich gerne eine lebenswerte Welt hinterlassen möchte.
Sie sind schon seit mehreren Jahrzehnten sehr engagiert. Was hat Sie zum Klimaaktivisten gemacht?
Aktivistisch unterwegs bin ich erst seit dem Hungerstreik der sechs jungen Menschen vor der Bundestagswahl. Aus diesem Hungerstreik ging die Letzte Generation hervor, die dann über das Containern und die Straßenblockaden, das Abdrehen von Pipelines, das Schwarzfahren und so weiter Aufmerksamkeit erregt haben. Diese Aktionen waren wichtig, um das Klimathema trotz Corona, trotz Ukraine-Krieg an die Spitze der Agenda zu bekommen, denn wenn wir weiterhin CO? und Treibhausgase ausblasen, kommt irgendwann der Punkt, an dem die Entwicklung außer Kontrolle gerät, und deshalb finde ich dieses Engagement der Letzten Generation so bewundernswert.

Immerhin riskieren sie ihre finanzielle Zukunft, ihre berufliche Zukunft, ihr Führungszeugnis, nur um die Gesellschaft davor zu warnen, was nach 99,9 Prozent der Überzeugung der Wissenschaft auf uns zukommt.
Wir haben nicht mehr viel Zeit, diese Dinge in die richtigen Bahnen zu lenken.
 
„Demokratie bedeutet Einmischung jeden Tag und auf jede nur mögliche Weise – Amen."
Pater Jörg Alt
 
Wenn Sie noch einen Wunsch hätten, was wäre es?
Den Menschen in unserem Land ist sehr bewusst, dass der Klimawandel eine große Bedrohung darstellt und dass wir mit unserem Lebensstil viel dazu beitragen. Aber es wird nicht reichen, unseren individuellen Lebensstil umzubauen, indem wir alle vegan werden, Fahrrad fahren und nicht mehr fliegen. Wir müssen an die großen Stellschrauben der Industrie, der öffentlichen Infrastruktur, der Steuersubventionen und der Politik heran. Dort wird entschieden, ob uns die sozial-ökologische Transformation gelingt oder nicht.

Also bitte den persönlichen Lebensstil überdenken und überlegen, wie man Wirtschaft, Gesellschaft und Politik erreicht – und das nicht nur bei der Landtagswahl am 8. Oktober. Demokratie bedeutet Einmischung jeden Tag und auf jede nur mögliche Weise – Amen.

Herr Alt, vielen Dank für das Gespräch und Ihr Engagement! Ich wünsche Ihnen und uns allen, dass Sie damit erfolgreich sind und damit rechtzeitig eine Wende in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik herbeiführen.


Klima, Kleber, Klerus

Da bleibt Strafe nicht aus
Der Jesuiten-Pater Jörg Alt hat bisher an mehreren Aktionen zivilen Widerstandes aus Überzeugung teilgenommen. Das bleibt nicht ungestraft. Bisher wird er für folgende Verfehlungen zur Rechenschaft gezogen:
  1. Für den Akt des „Containern*" gab es zwei Ermittlungsverfahren, die jedoch „mangels öffentlichen Interesses" eingestellt wurden. (*Containern ist das Retten von Lebensmitteln aus Mülltonnen von Herstellern oder Handel)

  2. Für eine Straßenblockade in Nürnberg liegt ein Strafbefehl gegen den Pater vor, dieser muss jedoch noch von einem Richter unterschrieben werden, welcher seit Wochen abwesend zu sein scheint.

  3. Für eine Straßenblockade in München wurde Jörg Alt der Nötigung beschuldigt und zu einer Zahlung von 10 Tagessätzen zu einem Euro verurteilt, die Rechtsmittel sind eingelegt.

  4. Außerdem liegt eine Selbstanzeige wegen Unterstützung einer mutmaßlich kriminellen Vereinigung vor. Das Verfahren liegt seit Wochen bei der Staatsanwaltschaft, der Stand ist bis Redaktionsschluss nicht bekannt.

Umwelt | Klima, 01.09.2023
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 03/2023 mit dem Schwerpunkt: Transport & Logistik - Logistik und Transport - Herausforderung für Klima und Umwelt erschienen.
     
        
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