MINT ist die Farbe der Karrierefrauen
Mit Gleichstellungsstrategien gegen den Fachkräftemangel
Gettyimages © Tay Jnr |
Immer wieder wird beklagt, dass Mädchen und Frauen meistens Frauenberufe wählen, erlernen oder ausüben. Doch wie kommt es dazu? Ist doch etwas dran an geschlechtsspezifischen Klischees, etwa der Technikferne von Mädchen und Frauen? Und was heißt das konkret? Dass sie sich für Puppen und nicht für Autos, für Menschen und nicht für Maschinen interessieren? Jeder weiß, dass solche Plattitüden nicht zutreffen - und doch bestimmen sie noch allzu häufig die öffentliche Diskussion und tragen auf diesem Weg dazu bei, Veränderungen zu verhindern. Lassen wir also all diese Zuschreibungen beiseite, wenn es um die Berufsorientierung von Mädchen und jungen Frauen geht. Wichtiger sind wirkliche Erkenntnisse, von denen man ableiten kann, wie sich weiblicher Fachkräftenachwuchs für MINT-Berufe gewinnen lässt.
Fakt ist: Die individuellen und gesellschaftlichen Investitionen, mit denen Frauen ihr heute hohes Bildungs- und Ausbildungsniveau erreicht haben, kommen in den MINT-Berufen noch nicht angemessen zum Tragen.
Als Grund dafür kann zunächst die insgesamt zu geringe Beteiligung insbesondere junger Frauen an der Erwerbstätigkeit identifiziert werden. Hier müsste bei der Erhöhung der Erwerbstätigkeit gerade junger Mütter und der Reduzierung von Erwerbsunterbrechungen bei Frauen insgesamt angesetzt werden.
Weibliche Identifikationsfiguren gesucht
Das "Wir haben nicht genug" durchzieht die Klagen über den Fachkräftemangel. "Wie gehen wir mit dem um, was wir haben?" sollte stattdessen als Leitfrage die Suche nach Veränderungsstrategien prägen. Hinderlich sind dabei wiederum verkrustete Einstellungen, zu denen die noch immer nur halbherzige Akzeptanz der Frau im Berufsleben gehört. Das spiegelt sich in Teilzeitarbeit, Berufsunterbrechung, geringeren Verdienst- und Karrierechancen als Charakteristika und Image weiblicher Berufstätigkeit wider. Die Gründe dafür liegen meist in der Familienarbeit der Frau und sind damit Ausdruck der unvollendeten Emanzipation der Gesellschaft vom männlichen Allein- beziehungsweise Hauptverdienermodell. Gerade in MINT-Berufen bestehen zudem immer noch geschlechterbezogene Stereotype, die Frauen in der Außenpräsentation eher als schmückendes Beiwerk oder helfende Hand im Hintergrund als im Chefsessel oder gleichgestellt im Fachteam darstellen.
Diese geschlechtsbezogenen Profilierungen in der Präsentation von Berufen haben wesentliche Signalwirkung gerade für die Berufsorientierung junger Frauen, denn sie verbinden sich bewusst oder unbewusst mit wichtigen Fragen:
- Besetzung der Berufe - Ist es für Frauen normal, diesen Beruf zu wählen?
- Beschreibung der Berufe - Klingt die Berufsbeschreibung, als wäre ich dafür geeignet?
- Benennung der Berufe - Ist der Beruf angesehen und kann ich mich mit ihm sehen lassen?
Um Einblicke zu ermöglichen und um selbst Einblicke in Sichtweisen und Qualifikationen (junger) Frauen zu gewinnen, öffnen immer mehr Unternehmen nicht nur am Girls' Day ihre Türen. Sie präsentieren auch speziell auf Frauen zugeschnittene Förder- und Karriereprogramme, die sie in den Kontext von Familienfreundlichkeit, Diversity oder Total E-Quality als Unternehmensziele stellen. Unternehmen beteiligen sich - zumindest als Sponsoren - auch an der Schaffung realistischer Berufsbilder, wie sie gerade bezogen auf MINT-Berufe speziell für junge Frauen erarbeitet wurden und im Internet zugänglich sind: Lizzynet, Joblab, tasteMINT sind gute Beispiele für Informationsportale, in denen Fachfrauen beim Gang durch die virtuelle Berufswelt Fragen zu ihrem MINT-Metier beantworten.
Von einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie profitieren Beschäftigte und Unternehmen
Frau Kathmann, woran liegt es, dass Mädchen und Frauen im Bildungssystem mittlerweile die Erfolgreicheren sind, im Arbeitsleben aber trotzdem noch das Nachsehen haben? Den entscheidenden "Rückschlag" erfahren die jungen Frauen während der Familienphase. Dabei ist es nicht entscheidend, ob die Frauen für die Kindererziehung aus dem Beruf aussteigen oder ihre Arbeitszeit reduzieren. In dieser Lebensphase ziehen die jungen Männer an den Frauen vorbei. Frauen haben weniger Chancen, in Führungspositionen aufzusteigen und die Entgeltdifferenz wird in dieser Lebensphase größer. Die Arbeitsmarktchancen von Frauen hängen in Deutschland wie in kaum einem anderen Land von den Rahmenbedingungen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie ab. Zu viele Frauen arbeiten, gewollt oder ungewollt, in Teilzeit und in Minijobs, weil Kinderbetreuungseinrichtungen fehlen oder die Öffnungszeiten nicht passen. Was muss sich ändern, damit die Vereinbarkeit von Beruf und Familie Wirklichkeit wird? Als Erstes ist hier die Politik gefordert, die Rahmenbedingungen zu verbessern. Dazu gehören ein flächendeckendes Angebot an ganztägigen Bildungs- und Betreuungseinrichtungen für Kinder aller Altersstufen. Darüber hinaus ist es Zeit für ein modernes, egalitäres Familienbild. Noch immer sehen sich viele Männer in der Ernährerrolle, sobald sie eine Familie gründen. Andererseits wächst die Zahl derjenigen, die das anders sehen und auch leben wollen. Regelungen, die die traditionelle Arbeitsteilung noch unterstützen, wie zum Beispiel das Ehegattensplitting und die Minijobregelung, müssen umgewandelt werden. Was können Unternehmen tun? Gefordert ist eine familienbewusste Personalpolitik für Mütter, Väter und pflegende Angehörige. Unternehmen sollten Frauen und Männer mit Familienaufgaben gezielt unterstützen. Entscheidend dafür sind das betriebliche Klima und verlässliche Arbeitszeiten. Flexible Arbeitszeiten dürfen nicht nur den betrieblichen Erfordernissen entsprechen, sondern müssen auch den Bedürfnissen der Beschäftigten gerecht werden. Leider sind Arbeitsplätze, die sich mit den Anforderungen des Familienlebens vereinbaren lassen, wie etwa qualifizierte Teilzeitarbeit für Männer und Frauen, Mangelware in Deutschland. Von einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf profitieren jedoch nicht nur die Beschäftigten. Unternehmen haben mit motivierten, qualifizierten Mitarbeitern im Wettbewerb die Nase vorn! |
Wertschätzung als Wettbewerbsvorteil
Nach der Orientierungsphase hören die Hindernisse aber noch nicht auf. Ist der Anteil der Studienanfängerinnen in MINT-Studiengängen je nach Fach noch nicht einmal so klein - in der Mathematik beträgt der Frauenanteil sogar stolze 53 Prozent - nimmt er im Berufsleben rapide ab. Je höher die Position, umso weniger Frauen sind vertreten: Bei den Professuren etwa in den Ingenieurswissenschaften erreichen sie nicht einmal die Zehn-Prozent-Hürde. Das Gleiche gilt für Leitungspositionen in Forschung und Entwicklung. Die wachsende oder zumindest stabile Teilhabe von Frauen an diesen Berufen und den dazu gehörigen Branchen wird durch ihren Minderheitenstatus ebenso behindert wie ein notwendiger berufs- und betriebskultureller Wandel, der wiederum eine bessere Beteiligung von Frauen bewirken kann. Dazu gehört auch: Frauen anzusprechen, ihnen etwas zu bieten und sie als gleichbedeutend und gleichwertig anzuerkennen.
Erfreulich ist, dass zahlreiche Unternehmen hier bereits aktiv sind. Nehmen wir ein Einzelbeispiel: "Technik braucht Frauen", mit diesem Slogan und dem Programm YOLANTE wirbt Siemens um weiblichen Fachkräftenachwuchs. Mentoring, Einbindung in Netzwerke und Studienbegleitung sowie das auf der Internetseite eingebundene Portrait "Frauen bei Siemens" zeigen Wertschätzung und Integration von Frauen im Unternehmen. Nehmen wir noch einen größeren Zusammenschluss: genderdax - eine "Informationsplattform für hochqualifizierte Frauen". Unternehmen, die belegen und darstellen können, dass sie unter materiellen und immateriellen Aspekten für qualifizierte Frauen ein guter Arbeitgeber sind, können sich darum bewerben, in diesen exklusiven Rahmen aufgenommen zu werden. Damit gewinnen sie für den weiblichen Fach- und Führungskräftenachwuchs an Attraktivität, was ein klarer Wettbewerbsvorteil ist.
Optimismus angesagt
Fachkräftemangel - gefragt sind nicht mehr einsame Tüftler, die in ihrer Welt aus Bildschirm, Zahlen und Schrauben vor sich hinarbeiten, sondern gerade Menschen, die über ihren eigenen Tellerrand sehen und mit Fachwissen, Sozialkompetenz und Kommunikationsfähigkeit in Teams an Projekten in Forschung, Entwicklung und Praxis zusammenarbeiten. Vielleicht passt eine so beschriebene Nachfrage auch besser zu vorhandenen Qualifikationsprofilen, Berufswünschen und Talenten speziell von Frauen. Dass auch die Politik der Gewinnung weiblichen Fachkräftenachwuchses große Bedeutung beimisst, zeigt der Nationale Pakt für Frauen in MINT-Berufen des Bundesministeriums für Bildung und Forschung mit seinen zahlreichen Partnern aus allen gesellschaftlichen Bereichen. Im Sommer 2008 geschlossen, vereinigt und bündelt der Pakt erfolgreiche Aktivitäten und Strategien zur Steigerung des Frauenanteils in MINT-Berufen. Fokussiert auf die Schnittstellen zwischen Schule und Studium sowie zwischen Hochschule und Beruf, konzentrieren sich die Projekte darauf,
- Interessen zu wecken durch Schnupperstudien, Praktika und Summerschools,
- Übergänge zu gestalten durch Mentoring, Stipendien und Karriereportale,
- Erreichtes zu stabilisieren durch karrierebezogene Weiterbildungs- und Beratungsangebote, Verankerung in Netzwerken oder Einstiegsqualifizierungen.
Von Angelika Puhlmann
Im Profil Angelika Puhlmann studierte Erziehungswissenschaften mit Schwerpunkt Erwachsenenbildung an der Freien Universität Berlin. Seit 1988 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) im Arbeitsbereich "Berufliche Bildungsgänge und Lernverläufe / Förderung zielgruppenbezogener Berufsbildung"; dabei sind ihre Arbeitsschwerpunkte unter anderem Berufliche Weiterbildung Älterer, Frauen in der Berufsbildung, Gender und Diversity in der Berufsorientierung. |
Dieser Beitrag erscheint in der Ausgabe von forum Nachhaltig Wirtschaften 03/2009 mit dem Schwerpunkt "Zukunft gestalten - Demografischer Wandel & Fachkräftemangel als Herausforderung" und dem Special "Green IT & Energieeffizienz". Bestellen Sie hier das Magazin oder sichern Sie sich direkt ein forum-Abonnement! |
Quelle:
Wirtschaft | Führung & Personal, 03.08.2009
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