Wirtschaft - vom Aussterben bedroht?
Wie wir die Vielfalt der Natur gefährden und uns damit selbst auf die rote Liste setzen
Von Edgar Endrukaitis und Judith Winterstein
In den letzten 50 Jahren hat sich die Weltbevölkerung verdoppelt. Die Weltwirtschaft wuchs dabei sogar um das Sechsfache. Auch der Lebensstandard vieler Menschen erhöhte sich dadurch. Doch mit diesem Wachstum fordern wir mehr von der Natur, als sie uns geben kann, ohne dabei selbst Schaden zu nehmen. Für Verkehr, Industrie und Landwirtschaft zerschneiden und zerstören wir natürliche Lebensräume. Wir stoßen inzwischen mehr Schadstoffe aus, als die Natur aufnehmen kann. Über globale Transportwege verbreiten sich fremde Arten, die die heimische Flora und Fauna verdrängen. Der Klimawandel bedroht viele Arten und Ökosysteme, die es nicht schaffen, sich den neuen Bedingungen anzupassen. Bilanz: 40 Prozent aller Arten sind vom Aussterben bedroht. Und die Wirtschaft auch!
Der Verlust von biologischer Vielfalt schwächt unser Ökosystem, also das Zusammenspiel von Tieren und Pflanzen mit ihrem Lebensraum - was jedoch häufig nicht sofort sichtbar wird. Ganze Forschungs- und Innovationszweige speisen aus diesem Wissen - z.B. die Bionik: Wie bei einer Mauer, aus der man einen Stein nach dem anderen herauszieht, droht ein Ökosystem irgendwann zu kippen. Doch ein derart gestörtes Ökosystem kann den Menschen nicht mehr mit Rohstoffen und natürlichen Dienstleistungen versorgen.
Der tropische Regenwald des Amazonas, in dem 10 Prozent aller Arten dieser Erde leben, ist größer als die Fläche der Europäischen Union. Doch der größte Regenwald der Welt ist in Gefahr. Weil die Nachfrage nach Holz, Soja und Rindfleisch auf der ganzen Welt steigt, wird er gerodet, damit er landwirtschaftlich genutzt werden kann. Jeden Tag verschwinden etwa 70 km² seiner Fläche.
Natürliche Lebensräume werden aber nicht nur in Entwicklungs- und Schwellenländern zerstört, sondern auch in den Industriestaaten - und das bereits seit Jahrhunderten. Natürliche Flächen werden in Siedlungen umgewandelt, wodurch auch hier biologische Vielfalt verloren geht. So verschwinden in Deutschland jeden Tag etwa 113 Hektar Fläche unter Asphalt und Beton, das entspricht 161 Fußballfeldern. Jeden Tag.
Auch eingeschleppte Arten, die nicht im jeweiligen Lebensraum heimisch sind, lassen die biologische Vielfalt schrumpfen. So löste die Meerwalnuss, eine unscheinbare Qualle, in den 90er Jahren eine ökologische Katastrophe im Schwarzen Meer aus. Als blinder Passagier eines Schiffes traf sie auf einen Lebensraum, der durch eine Algenplage bereits geschwächt war. Die Qualle hatte dort keine natürlichen Feinde und verdrängte so 90 Prozent aller anderen Lebewesen.
Und schließlich hat auch der Klimawandel ernste Auswirkungen auf die biologische Vielfalt. Das Meerwasser wird immer wärmer, was das empfindliche Zusammenspiel von Algen und Korallen stört. Die Folge: Die Korallen bleichen aus und sterben. Allein im Jahr 1998 wurden so weltweit 16 Prozent aller Korallenriffe schwer beschädigt.
Biologische Vielfalt - ein Segen für die Wirtschaft
Biologische Vielfalt versorgt uns nicht nur mit direkt nutzbaren Gütern wie Nahrung und Holz, ihr genetischer Reichtum ist auch die Basis vieler Arzneimittel. Allein die etwa 100.000 Schutzgebiete, die zirka 11 Prozent der Landfläche der Erde ausmachen und die noch relativ reich an Arten sind, versorgen die Menschheit mit Leistungen, deren Wert schätzungsweise 4,4 bis 5,2 Billionen US-Dollar pro Jahr beträgt. Das übertrifft die Summe der Umsätze aller Automobil-, Stahl- und IT-Unternehmen weltweit.
Die Vielfalt an Ökosystemen zu Land und zu Wasser hilft, das Klima zu stabilisieren. Wälder und Moore etwa speichern Wasser und CO2, Savannen verhindern die Wüstenbildung und Korallenriffe mindern die Auswirkungen von Sturmfluten.
Meere bedecken etwa 71 Prozent unseres Planeten und versorgen uns mit vielen wichtigen Rohstoffen. Über eine Milliarde Menschen sind auf Fisch und Meeresfrüchte als Proteinquelle angewiesen. Bis zu 200 Millionen Menschen leben weltweit vom Fischfang, vor allem in den Entwicklungsländern.
Aber das Meer versorgt uns nicht nur mit Nahrung. Die Natur hat im Laufe der Zeit eine Vielfalt unterschiedlicher Formen, Strukturen und Prozesse entwickelt. Dieses Wissen können wir für uns nutzbar machen. So ist die Natur immer wieder Ideengeber für neue Produkte: Schwimmanzüge imitieren Haihaut oder Gebäude werden wie Termitenhügel belüftet. Ein ganzer Designzweig - die Bionik - speist sich aus diesem Wissen: Die Schnauze von Delfinen war Vorbild für stromlinienförmigere Schiffe, die bis zu 10 Prozent Energie einsparen. Aus dem Gift einer Seeschnecke wird ein Schmerzmittel gewonnen - 1000-mal stärker als Morphium - das aber nicht abhängig macht. Lotusblume, Hai, Pinguin und Gecko stehen für selbst reinigende Oberflächen, strömungsgünstige Beschichtungen bei Flugzeugen, geringe cw-Werte bei Autos, verbesserte Schiffsantriebe und wieder verwendbare Klebebänder.
Es gibt unendlich viele Gründe, biologische Vielfalt zu fördern. Für Unternehmen bietet der aktive Einsatz für Biodiversität neue Kunden und Märkte, Kosteneinsparung und Imagegewinn. Eine ökologische Landwirtschaft erhält die lokale Sortenvielfalt. Unternehmen überprüfen die Auswirkungen ihrer Produktion und orientieren sich bei der Auswahl ihrer Materialien an anerkannten Umweltzeichen wie FSC bei Papier.
Die Wirtschaft ist auf intakte Ökosysteme angewiesen
Die Wirtschaft belastet auch bei Einhaltung aller Gesetze die Natur. Sie braucht Rohstoffe, muss Flächen versiegeln und oft auch Wälder roden lassen. Produktion belastet Luft, Wasser und Böden.
Auf der anderen Seite ist die Wirtschaft auf intakte Ökosysteme angewiesen. Ohne Wildpflanzen keine natürliche Kosmetik, Getränkehersteller brauchen sauberes Wasser, zerstörte Landschaften schaden dem Tourismus und nicht zuletzt profitieren Versicherungen vom Schutz, den Lebensräume bei Naturkatastrophen bieten.
Der Wert der Natur ist schwer zu beziffern, auch wenn daran gearbeitet wird. Doch immer mehr Unternehmen erkennen, dass es in ihrem Interesse liegt, biologische Vielfalt zu schützen und immer mehr Verbraucher fordern dies ein.
Fakt ist, dass sich das Flora- und Faunasterben fortsetzt. Das Ziel der internationalen Staatengemeinschaft - die Verlustrate der Biodiversität bis 2010 zu mindern - wurde somit verpasst. Zudem forderte die internationale Staatengemeinschaft 2006, dass die Einbindung der Wirtschaft stärker vorangetrieben werden muss. Unternehmen stehen mit ihrem Engagement nicht allein: In verschiedenen Initiativen und in Zusammenarbeit mit der Bundesregierung oder erfahrenen NPOs können sie ihren Einfluss auf Natur, Arten und Ökosysteme positiv gestalten.
Im Profil: Edgar Endrukaitis ist Koordinator der Business and Biodiversity Initiative "Biodiversity in Good Company", Judith Winterstein ist für den Bereich Öffentlichkeitsarbeit und Redaktion zuständig. Die Initiative des Bundesumweltministeriums wird von der GTZ umgesetzt und strebt eine stärkere Integration des Privatsektors in die Zielerreichung des internationalen Übereinkommens über die biologische Vielfalt an.
In den letzten 50 Jahren hat sich die Weltbevölkerung verdoppelt. Die Weltwirtschaft wuchs dabei sogar um das Sechsfache. Auch der Lebensstandard vieler Menschen erhöhte sich dadurch. Doch mit diesem Wachstum fordern wir mehr von der Natur, als sie uns geben kann, ohne dabei selbst Schaden zu nehmen. Für Verkehr, Industrie und Landwirtschaft zerschneiden und zerstören wir natürliche Lebensräume. Wir stoßen inzwischen mehr Schadstoffe aus, als die Natur aufnehmen kann. Über globale Transportwege verbreiten sich fremde Arten, die die heimische Flora und Fauna verdrängen. Der Klimawandel bedroht viele Arten und Ökosysteme, die es nicht schaffen, sich den neuen Bedingungen anzupassen. Bilanz: 40 Prozent aller Arten sind vom Aussterben bedroht. Und die Wirtschaft auch!
Bis zu zwei Millionen Menschen leben weltweit vom Fischfang. Doch gleichzeitig gefährdet Überfischung Arbeitsplätze, weil immer mehr Fischbestände vom Aussterben bedroht sind. |
Der Verlust von biologischer Vielfalt schwächt unser Ökosystem, also das Zusammenspiel von Tieren und Pflanzen mit ihrem Lebensraum - was jedoch häufig nicht sofort sichtbar wird. Ganze Forschungs- und Innovationszweige speisen aus diesem Wissen - z.B. die Bionik: Wie bei einer Mauer, aus der man einen Stein nach dem anderen herauszieht, droht ein Ökosystem irgendwann zu kippen. Doch ein derart gestörtes Ökosystem kann den Menschen nicht mehr mit Rohstoffen und natürlichen Dienstleistungen versorgen.
Der tropische Regenwald des Amazonas, in dem 10 Prozent aller Arten dieser Erde leben, ist größer als die Fläche der Europäischen Union. Doch der größte Regenwald der Welt ist in Gefahr. Weil die Nachfrage nach Holz, Soja und Rindfleisch auf der ganzen Welt steigt, wird er gerodet, damit er landwirtschaftlich genutzt werden kann. Jeden Tag verschwinden etwa 70 km² seiner Fläche.
Natürliche Lebensräume werden aber nicht nur in Entwicklungs- und Schwellenländern zerstört, sondern auch in den Industriestaaten - und das bereits seit Jahrhunderten. Natürliche Flächen werden in Siedlungen umgewandelt, wodurch auch hier biologische Vielfalt verloren geht. So verschwinden in Deutschland jeden Tag etwa 113 Hektar Fläche unter Asphalt und Beton, das entspricht 161 Fußballfeldern. Jeden Tag.
Auch eingeschleppte Arten, die nicht im jeweiligen Lebensraum heimisch sind, lassen die biologische Vielfalt schrumpfen. So löste die Meerwalnuss, eine unscheinbare Qualle, in den 90er Jahren eine ökologische Katastrophe im Schwarzen Meer aus. Als blinder Passagier eines Schiffes traf sie auf einen Lebensraum, der durch eine Algenplage bereits geschwächt war. Die Qualle hatte dort keine natürlichen Feinde und verdrängte so 90 Prozent aller anderen Lebewesen.
Und schließlich hat auch der Klimawandel ernste Auswirkungen auf die biologische Vielfalt. Das Meerwasser wird immer wärmer, was das empfindliche Zusammenspiel von Algen und Korallen stört. Die Folge: Die Korallen bleichen aus und sterben. Allein im Jahr 1998 wurden so weltweit 16 Prozent aller Korallenriffe schwer beschädigt.
Biologische Vielfalt - ein Segen für die Wirtschaft
Biologische Vielfalt versorgt uns nicht nur mit direkt nutzbaren Gütern wie Nahrung und Holz, ihr genetischer Reichtum ist auch die Basis vieler Arzneimittel. Allein die etwa 100.000 Schutzgebiete, die zirka 11 Prozent der Landfläche der Erde ausmachen und die noch relativ reich an Arten sind, versorgen die Menschheit mit Leistungen, deren Wert schätzungsweise 4,4 bis 5,2 Billionen US-Dollar pro Jahr beträgt. Das übertrifft die Summe der Umsätze aller Automobil-, Stahl- und IT-Unternehmen weltweit.
Die Vielfalt an Ökosystemen zu Land und zu Wasser hilft, das Klima zu stabilisieren. Wälder und Moore etwa speichern Wasser und CO2, Savannen verhindern die Wüstenbildung und Korallenriffe mindern die Auswirkungen von Sturmfluten.
Meere bedecken etwa 71 Prozent unseres Planeten und versorgen uns mit vielen wichtigen Rohstoffen. Über eine Milliarde Menschen sind auf Fisch und Meeresfrüchte als Proteinquelle angewiesen. Bis zu 200 Millionen Menschen leben weltweit vom Fischfang, vor allem in den Entwicklungsländern.
Aber das Meer versorgt uns nicht nur mit Nahrung. Die Natur hat im Laufe der Zeit eine Vielfalt unterschiedlicher Formen, Strukturen und Prozesse entwickelt. Dieses Wissen können wir für uns nutzbar machen. So ist die Natur immer wieder Ideengeber für neue Produkte: Schwimmanzüge imitieren Haihaut oder Gebäude werden wie Termitenhügel belüftet. Ein ganzer Designzweig - die Bionik - speist sich aus diesem Wissen: Die Schnauze von Delfinen war Vorbild für stromlinienförmigere Schiffe, die bis zu 10 Prozent Energie einsparen. Aus dem Gift einer Seeschnecke wird ein Schmerzmittel gewonnen - 1000-mal stärker als Morphium - das aber nicht abhängig macht. Lotusblume, Hai, Pinguin und Gecko stehen für selbst reinigende Oberflächen, strömungsgünstige Beschichtungen bei Flugzeugen, geringe cw-Werte bei Autos, verbesserte Schiffsantriebe und wieder verwendbare Klebebänder.
Es gibt unendlich viele Gründe, biologische Vielfalt zu fördern. Für Unternehmen bietet der aktive Einsatz für Biodiversität neue Kunden und Märkte, Kosteneinsparung und Imagegewinn. Eine ökologische Landwirtschaft erhält die lokale Sortenvielfalt. Unternehmen überprüfen die Auswirkungen ihrer Produktion und orientieren sich bei der Auswahl ihrer Materialien an anerkannten Umweltzeichen wie FSC bei Papier.
Die Wirtschaft ist auf intakte Ökosysteme angewiesen
Die Wirtschaft belastet auch bei Einhaltung aller Gesetze die Natur. Sie braucht Rohstoffe, muss Flächen versiegeln und oft auch Wälder roden lassen. Produktion belastet Luft, Wasser und Böden.
Auf der anderen Seite ist die Wirtschaft auf intakte Ökosysteme angewiesen. Ohne Wildpflanzen keine natürliche Kosmetik, Getränkehersteller brauchen sauberes Wasser, zerstörte Landschaften schaden dem Tourismus und nicht zuletzt profitieren Versicherungen vom Schutz, den Lebensräume bei Naturkatastrophen bieten.
Der Wert der Natur ist schwer zu beziffern, auch wenn daran gearbeitet wird. Doch immer mehr Unternehmen erkennen, dass es in ihrem Interesse liegt, biologische Vielfalt zu schützen und immer mehr Verbraucher fordern dies ein.
Fakt ist, dass sich das Flora- und Faunasterben fortsetzt. Das Ziel der internationalen Staatengemeinschaft - die Verlustrate der Biodiversität bis 2010 zu mindern - wurde somit verpasst. Zudem forderte die internationale Staatengemeinschaft 2006, dass die Einbindung der Wirtschaft stärker vorangetrieben werden muss. Unternehmen stehen mit ihrem Engagement nicht allein: In verschiedenen Initiativen und in Zusammenarbeit mit der Bundesregierung oder erfahrenen NPOs können sie ihren Einfluss auf Natur, Arten und Ökosysteme positiv gestalten.
Im Profil: Edgar Endrukaitis ist Koordinator der Business and Biodiversity Initiative "Biodiversity in Good Company", Judith Winterstein ist für den Bereich Öffentlichkeitsarbeit und Redaktion zuständig. Die Initiative des Bundesumweltministeriums wird von der GTZ umgesetzt und strebt eine stärkere Integration des Privatsektors in die Zielerreichung des internationalen Übereinkommens über die biologische Vielfalt an.
Quelle:
Umwelt | Biodiversität, 07.05.2010
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 02/2010 - Cleantech erschienen.
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