The Blue Economy: Substitute Something with Nothing

Wie wir das Gute und "Grüne" noch viel besser machen können

Die Green Economy - die "nachhaltige Wirtschaft" von heute befindet sich in einer Zwickmühle: Sie hat nach 30 Jahren so manches Ziel erreicht, das zuvor noch als undenkbar galt. Dennoch erreicht sie lediglich ein Prozent der Gesamtwirtschaft und ist bislang immer noch nicht im Mainstream angelangt. Zudem beginnt sie gerade, ihren Status zu verteidigen - ähnlich wie die "old economy" ihre Besitzstände verteidigt - statt ständig nach noch besseren Lösungen zu suchen und sich nie mit dem Erreichten zufrieden zu geben.

"Dass wir über den Horizont der Green Economy hinaussehen können verdanken wir den vielen Riesen, die vor uns Innovationen erbrachten und auf deren Schultern wir nun stehen." - Gunter Pauli
Foto: © Gunter Pauli
Das Konzept der Blue Economy hingegen stellt nicht nur das bestehende System in Frage, weil es "schlecht" ist, sondern weil wir wissen, dass eine Verbesserung immer möglich ist. Unsere Gesellschaft, einschließlich der Wirtschaft, befindet sich in einem dauerhaften Prozess ständiger Verbesserung. Wenn wir unseren Kindern nur beibringen würden, was wir bereits wissen, können sie kein besseres Leben führen als wir und uns, wie auch unsere Träume, nicht übertreffen - "they can only do as bad as we have performed". Die nächste Generation muss über das Offensichtliche hinaus Fragen stellen, wie etwa: "Was ist die größte ungenutzte Energiequelle unseres Planeten?". Während unsere spontane Antwort meist "Solar" lautet, so müssen wir doch eingestehen, dass die Sonne nur die Hälfte des Tages auf die Hälfte der Erde scheint - während die Schwerkraft rund um die Uhr überall wirkt. Das bedeutet nicht, dass die Pioniere der Green Economy auf dem falschen Weg sind, es impliziert lediglich, dass wir uns darauf konzentrieren müssen, mit Hilfe des bereits Vorhandenen sehr viel mehr zu erreichen.

Das Konzept der Blue Economy wurde 1994 ins Leben gerufen. Diese Initiative ist sowohl kompromisslos als auch einleuchtend und selbsterklärend. Kompromisslos, denn es darf keinen "Abfall" geben, alles muss weiterverwendet werden und dabei Mehrwert schaffen. Einleuchtend, da wir Menschen die einzige Spezies sind, die Dinge erzeugt, welche niemand haben will. Aus ethischen Gründen argumentieren wir, dass man nicht weniger stehlen darf, sondern gar nicht; aber für (häufig subventionierte) Bemühungen, die Natur weniger statt gar nicht zu verschmutzen, verleihen wir Umweltpreise?!

Wir sind der Überzeugung, dass nur wirtschaftlich konkurrenzfähige Geschäftsmodelle und Produkte sowohl Unternehmen als auch Verbraucher für sich gewinnen können - das daraus resultierende Wachstum samt Arbeitsplätzen überzeugt dann auch die Politik. Verzicht zu predigen und Subventionen zu verteilen, ist auf Dauer eben nicht nachhaltig.

Mit der Blue Economy befürworten wir eine wirtschaftliche Entwicklung, die von natürlichen Systemen inspiriert ist, statt von den Lösungen einzelner Spezies. Dafür clustern wir industrielle Aktivitäten, kaskadieren Material- und Energieflüsse und erhöhen damit dramatisch die menschlichen Möglichkeiten, die Grundbedürfnisse aller Lebewesen zu befriedigen. Wir arbeiten mit dem, was lokal zur Verfügung steht.

Vom Immunsystem lernen und systemisch Denken
Mit einem einzelnen Produkt oder einem Kerngeschäft ist Unternehmensführung oft durchschaubar und vorhersagbar. Informationen werden im Unternehmen verwertet, als würde es wie ein Gehirn mit einem Nervensystem arbeiten. Um mehr Wettbewerbsfähigkeit zu erlangen, stellen Unternehmen in immer größeren Mengen immer die gleichen, standardisierten Produkte her - um dann dank einer Merger & Acquisition Strategie zu wachsen, samt der damit verbundenen Überschuldung! Doch die Komplexität der realen Welt kann dieses System nicht länger bewältigen.

Das Immunsystem funktioniert auf eine stark dezentrale Weise, wobei jeweils ein Teilsystem Verantwortung übernimmt. Dabei geht keine Zeit durch Verzögerungen oder Beratungen verloren. Informationen werden wie in einem System mit mehrfacher Besetzung der Posten ausgetauscht. Das führt zu unabhängigem Handeln, welches auf einem besseren Verständnis der Situation vor Ort beruht. Ein solcher vom Immunsystem inspirierter Führungsstil bedeutet das Ende der Konzernzentrale (des Gehirns) in seiner derzeitigen Form.

Der nächste (Herz-)Schritt in Richtung Blue Economy: Batterien und Akkus benötigen immer noch giftige Schwermetalle, die teils unter menschenunwürdigen Bedingungen abgebaut werden. Dieser nano-Herzschrittmacher kommt ohne Batterie aus.
Foto: © ZERI
Unser Ziel mit der Blue Economy ist es, Plattforminnovationen auf den Markt zu bringen, die selten zentral gelenkt werden können. Aus diesem Grund schafft das Thema so viele Möglichkeiten für Unternehmer auf der ganzen Welt. Die Entwicklung von Unternehmensnetzwerken erfordert aber auch ein hohes Maß an Selbstorganisation, die sich immer an die lokalen Konditionen anpasst.

Wenn wir das gegenwärtige - auf zentralem Management und dem Kerngeschäft basierende - Wirtschaftssystem beurteilen, können wir gewiss nicht behaupten, es sei schlecht. Es hat besser funktioniert als alle vorherigen. Es ist aber einfach nicht gut genug und es zeigt sich seit Jahrzehnten, dass es nicht in der Lage ist, den Grundbedürfnissen aller Menschen gerecht zu werden. Es ist demnach höchste Zeit für ein paar wesentliche Verbesserungen. Das Angenehme ist, dass diese Neubetrachtung der Wirtschaft mehr Basisbedürfnisse befriedigt, mehr Cash generiert und mehr Wert schafft - nicht nur für die Unternehmer, sondern auch für die lokale Gesellschaft.

Warum Recycling unnatürlich ist
In der Natur nutzt kein Lebewesen direkt seinen eigenen Abfall, sondern Abfälle werden in Transformationsprozessen zwischen den fünf Reichen der Natur (Bakterien, Algen, Pilze, Pflanzen, Tiere) weiter verwertet - des einen Abfall wird zur Lebensgrundlage des anderen. So wie wir Menschen aus Glasflaschen neue Glasflaschen machen, aus Papier wieder neues Papier herstellen und dabei jeweils enorme Mengen an Wasser und Energie verschwenden, käme kein Baum auf die Idee, die im Herbst abgefallenen Blätter im Frühjahr wieder anzukleben. Vorher haben Pilze die Moleküle des Laubs aufgespalten und zersetzt, so dass Würmer, Ameisen, Käfer und viele andere Arten die enthaltenen Nährstoffe aufnehmen können. Erst durch deren Ausscheidungen erthält der Baum neue Nährstoffe, die er über seine Wurzeln aufnimmt und so zu neuen Blättern wandelt.

Coffee-Shop mal anders: Auf Berliner Kaffeesatz werden Edelpilze gezüchtet. Sie sind reich an Proteinen und damit sogar ein gesunder, vollwertiger Fleischersatz. Dieses Wissen machen sich auch Menschen in Kolumbien und Afrika gegen den Hunger zunutze.
Foto: © ZERI
Ist es möglich diese perfekt vorgegebenen Beispiele der Natur in Blue Economy Geschäftsmodellen wiederzufinden? In Berlin ist kürzlich eine Firma gegründet worden, die den Kaffeesatz zahlreicher Cafés einsammelt und darauf Edelpilze züchtet - Kräuterseitling, Shiitake und Austernpilz sind reich an Proteinen und damit sogar ein gesunder, vollwertiger Fleischersatz. Das verbleibende "Substrat" enthält kein Koffein mehr, sondern ebenfalls hochwertige Proteine und ist daher sowohl als Tierfutter, als auch als Dünger optimal geeignet. So ist aus einem methanproduzierenden Abfall ein Lebensmittel geworden. 10.000 Bauern in Kolumbien nutzen dieses Wissen bereits, ebenso wie Tausende Menschen in Afrika nicht mehr hungern müssen, während die kleine Berliner Firma gerade Partner in einem halben Dutzend Ländern aufbaut.

Ein weiteres Beispiel eines verbesserten Kreislaufs ist Glas: Geschmolzen und mit CO2 zu einem Schaum gehärtet dient es als hochwertiger Baustoff, der gleichzeitig isoliert, feuerfest und wasserdicht ist, zuverlässig sämtliche Ungeziefer fernhält und sowohl in Einfamilienhäusern in Schweden als auch beim Bau des Guggenheim Museums in Bilbao erfolgreich zum Einsatz kommt. Pfandflaschen gelten in Belgien als Rohstoff, der Strukturbau, Isolierung und Chemikalien ersetzt. Einleuchtend?

Materie durch Nichts ersetzen
Das wichtigste Prinzip der Blue Economy ist die Einfachheit der Physik. Viele Lösungen basieren auf physikalischen Gesetzen und ermöglichen so den Verzicht auf Chemie und andere giftige Stoffe. Warum etwa verwenden wir weiterhin Batterien, wo es inzwischen Handys, Feuerlöschsysteme und Herzschrittmacher gibt, die völlig darauf verzichten? Batterien - auch die langlebigen wiederaufladbaren "grünen" Akkus - benötigen immer noch giftige Schwermetalle, deren Bergbauförderung allein schon eine massive Umweltbelastung darstellt - von den oft unwürdigen Arbeitsbedingungen ganz zu schweigen. Zudem werden jährlich 40 Milliarden Batterien auf Müllhalden "entsorgt". Unser Körper stellt Strom stattdessen aus einfachen Dingen wie Temperaturunterschieden, Wasserdruck und PH-Differenzialen her, um z.B. unser Herz schlagen zu lassen. Dieses Wissen wird in den nächsten Jahren die Mikroelektronik komplett revolutionieren.

Auch in der Architektur bieten sich viele verlockende Beispiele. Gebäude von Schweden bis Simbabwe verwenden inzwischen eine passive Klimatisierung, die von Termiten abgeguckt ist. In jedem Termitenhügel der Welt herrschen die gleichen, konstanten klimatischen Bedingungen: 26° Celsius und 60 Prozent Luftfeuchtigkeit. Dabei werden lediglich Schächte verwendet, um Luft so zirkulieren zu lassen, dass auch in Gebäuden auf eine Kühlung vollständig verzichtet werden kann. Die Ersparnis an Zwischendecken, teurer Technik und deren Wartung erhöht die Rendite zahlreicher Bauten - von Schulen bis hin zu Bürokomplexen.

Jenseits von nachhaltig
Die Blue Economy-Strategie ermöglicht die Befriedigung der Grundbedürfnisse aller Menschen mit dem, was lokal zur Verfügung steht. Sie steht für einen neuen Weg der Geschäftsgestaltung: Durch Nutzung der lokal verfügbaren Ressourcen in Kaskadensystemen wird der Abfall eines Produkts zum Ausgangsmaterial für neue Cashflows mit Mehrwert. Auf diese Weise werden Arbeitsplätze nachhaltig geschaffen, Sozialkapital aufgebaut und das Einkommen steigt - dabei wird die Umwelt, die unsere Lebensgrundlage bildet, nicht weiter ausgebeutet und verseucht. So können wir uns entwickeln, von einer Wirtschaft, in der Gutes teuer und Schlechtes billig ist, hin zu einem System, in dem das Gute und Innovative erschwinglich wird.

Änderungen vollziehen sich nicht im Zentrum, sie beginnen in der Peripherie. Wir möchten ermutigen nach mehr Wirkung zu streben - sehr viel mehr, und sehr viel schneller! Dabei müssen Fehler und Lernprozesse erlaubt sein, solange wir zügig nachbessern, um unser aller Wunsch zu erreichen: eine bessere Zukunft für alle Kinder dieser Erde, wie auch für die Erde selbst.

Wir hoffen, viele Unternehmer zu inspirieren, indem wir die unzähligen Möglichkeiten und Chancen aufzeigen. Die "Green Economy" hat viel erreicht, doch wir wollen mehr erreichen, als wir alle uns vor 30 Jahren erträumt haben. Man kann es "Green Economy 2.0" nennen; wir haben uns für "Blue Economy" entschieden: blau wie der Himmel, blau wie der Ozean, und blau wie unsere Erde vom Universum aus betrachtet.
 
 
 
Von Gunter Pauli und Markus Haastert



www.blueeconomy.de

www.youtube.com/watch?v=1af08PSlaIs


Quelle:
Umwelt | Umweltschutz, 10.05.2011

     
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