Boycott or not?
Demokratie und Tourismus im Spannungsfeld
Mit den Demonstrationen in Ägypten und Tunesien haben in den vergangenen Wochen zwei der nicht nur strategisch, sondern auch touristisch wichtigsten Länder des Nahen Ostens große Schritte in Richtung Demokratie gemacht. Die Bevölkerungen beider Staaten haben ihre seit Jahrzehnten regierenden autokratischen Regime in die Wüste geschickt. Welche Auswirkungen hat das auf den Tourismussektor, der in beiden Ländern große wirtschaftliche Bedeutung hat? Es ist wieder Zeit, darüber nachzudenken, ob und wie die Tourismus-Wirtschaft Einfluss auf die Politik eines undemokratischen Landes nehmen kann.
Die Diskussionen über einen Tourismus in undemokratischen Ländern, deren deutlichstes Beispiel Burma ist, führen zur der Frage, wie Tourismus als Wirtschaftsform demokratische Prozesse in Gang setzen oder unterstützen kann. Anders gefragt: Wie sehr stützen Einkommen aus (Massen-)Tourismus undemokratische Regime? Wann sind Boykott-Aufrufe an Reisende oder an die Tourismuswirtschaft begründet? Wann bewirkt ein Boykott etwas? Fördert ein verantwortungsvoller Tourismus nicht nur ,,das Verständnis für die allen Menschen gemeinsamen ethischen Werte", wie es im Globalen Ethikkodex der Welttourismusorganisation UNWTO so schön heißt, sondern auch Demokratie und Menschenrechte? Keine einfachen Fragen, keine einfachen Antworten - und schon gar keine allgemein gültigen Antworten.
Der Blick zurück: Burma
Seit den 90er-Jahren versucht das burmesische Militärregime durch eine Tourismusoffensive ein 'Goldenes Bild' des Landes vor die Wirklichkeit zu schieben. 1996 startete das Militär eine erste Werbeoffensive mit dem Motto: "Visit Myanmar Year". Sie sollte zu den thailändischen, chinesischen und japanischen Touristen nun westliche Besucher als neuen Markt erschließen. Burma wurde als Alternative für europäische Ostasieninteressierte vorgestellt, die auf der Suche nach einem "ursprünglichen Asien" ein neues Land kennenlernen konnten. Die österreichische Fluggesellschaft Lauda Air bot damals, durch einen österreichischen Reiseveranstalter unterstützt, einen Direktflug von Wien nach Yangon an. NGOs aus England riefen zum Boykott auf, im deutschsprachigen Raum begann eine lebhafte Diskussion um Für und Wider eines "politisch korrekten" Reisens bzw. eines Tourismus nach Burma.
Die Stimmen gegen einen Tourismus nach Burma verwiesen auf die grobe Missachtung der Menschenrechte und wurden auch von internationalen Organisationen wie der International Labour Organisation (ILO) und der burmesischen Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi mitgetragen. Die Stimmen gegen einen Boykott, zu denen ich mich damals zählte, zogen nach umfangreichen Recherchen und einer Fact-finding-Reise nach Burma die Wirksamkeit und Sinnhaftigkeit eines Boykottaufrufes in Zweifel: Der westliche Boykott hätte der burmesischen Tourismuswirtschaft nicht geschadet, dazu war der Anteil am Bruttoinlandsprodukt viel zu gering. Der wirksamste Boykotteur wäre das Land China als wichtigster Touristenmarkt gewesen, dieses war aber weit entfernt von einer Unterstützung der Anliegen der westlichen NGOs. Wichtig war die Erkenntnis, dass kleine, prosperierende private Tourismuswirtschaften vielfältige und diversifizierte Einkommensmöglichkeiten schaffen und zur Bekämpfung von Armut und zum Zugang zu Bildung beitragen können - auch in Burma. Tourismus kann individuelle und staatlich nicht immer kontrollierte Kommunikationsmöglichkeiten und direkten Austausch zwischen einheimischer Bevölkerung und internationaler Meinung ermöglichen. Damit wäre eine derartige Boykott-Aktion weitgehend auf dem Rücken der Bevölkerung ausgetragen und somit der Zweck verfehlt worden.
Deutlich wurde aber auch, dass sich Reiseveranstalter mit Reisen in diktatorische Länder auseinandersetzen müssen. Ein Marketing, das sich auf Klischee-Bilder einer "bewahrten Asien-Ursprünglichkeit" bezieht und bewusst die politische Situation im Land verharmlost, trägt zur Desinformation von Reisenden bei, die mit ihrem Verhalten im Land die Menschen in Unkenntnis der Lage gefährden können. Verantwortungsvoller Tourismus wird so verhindert. Gerade in diktatorischen Ländern hat die europäische Tourismuswirtschaft sowohl Bildungsverantwortung ihren Kunden gegenüber, als auch Verantwortung gegenüber der Bevölkerung in den Destinationen. Dies führt erstens zu transparenter Informationsarbeit und zweitens beispielsweise zur bedachten Auswahl von lokalen Partneragenturen und richtigen Unterkünften.
Und die Moral von der Geschicht ...
Solange die Sonne-und-Strand-Tourismuswirtschaft das "Augen zu und Erholen"-Verhalten vieler Kunden aktiv fördert und auch selbst ihren Business-Partnern in jenen Ländern, die als undemokratisch, autoritär und diktatorisch bekannt sind, keine Fragen stellt, bleibt die Forderung nach einer ethischen Verantwortung der Tourismusindustrie aktuell.
Die Regierungen und auch die Bevölkerung der europäischen Staaten müssen sich fragen, wohin demokratiepolitisches Desinteresse und blindes Konsumverhalten in jenen Ländern, deren Küsten und Meere als Erholungskulissen dienen, letztendlich führen. Demokratie bedeutet Verantwortung. Diese muss sich auch in Wirtschaft und Politik widerspiegeln.
Reisefreiheit genießen zu können bedeutet auch, sich für Länder, die man besucht oder in denen man Reisen anbietet, zu interessieren. Das ist keine große Sache im Vergleich zu den Risiken, welche die Menschen in Ägypten und Tunesien in den letzten Wochen auf sich genommen haben, um das zu erkämpfen, was uns selbstverständlich scheint: Demokratie und Meinungsfreiheit.
Ein Nachsatz: Der Direktflug der Lauda Air nach Yangon wurde 2005 wieder eingestellt, offiziell wegen der wirtschaftlichen Nachwirkungen des Tsunami.
Dr. Christian Baumgartner
Unter Zuhilfenahme von Texten von Karin Chladek (Öffentlichkeitsarbeit Naturfreunde Internationale) und Margit Leuthold (Wissenschaftlicher Beirat, Naturfreunde Internationale).
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Der Blick zurück: Burma
Seit den 90er-Jahren versucht das burmesische Militärregime durch eine Tourismusoffensive ein 'Goldenes Bild' des Landes vor die Wirklichkeit zu schieben. 1996 startete das Militär eine erste Werbeoffensive mit dem Motto: "Visit Myanmar Year". Sie sollte zu den thailändischen, chinesischen und japanischen Touristen nun westliche Besucher als neuen Markt erschließen. Burma wurde als Alternative für europäische Ostasieninteressierte vorgestellt, die auf der Suche nach einem "ursprünglichen Asien" ein neues Land kennenlernen konnten. Die österreichische Fluggesellschaft Lauda Air bot damals, durch einen österreichischen Reiseveranstalter unterstützt, einen Direktflug von Wien nach Yangon an. NGOs aus England riefen zum Boykott auf, im deutschsprachigen Raum begann eine lebhafte Diskussion um Für und Wider eines "politisch korrekten" Reisens bzw. eines Tourismus nach Burma.
Die Stimmen gegen einen Tourismus nach Burma verwiesen auf die grobe Missachtung der Menschenrechte und wurden auch von internationalen Organisationen wie der International Labour Organisation (ILO) und der burmesischen Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi mitgetragen. Die Stimmen gegen einen Boykott, zu denen ich mich damals zählte, zogen nach umfangreichen Recherchen und einer Fact-finding-Reise nach Burma die Wirksamkeit und Sinnhaftigkeit eines Boykottaufrufes in Zweifel: Der westliche Boykott hätte der burmesischen Tourismuswirtschaft nicht geschadet, dazu war der Anteil am Bruttoinlandsprodukt viel zu gering. Der wirksamste Boykotteur wäre das Land China als wichtigster Touristenmarkt gewesen, dieses war aber weit entfernt von einer Unterstützung der Anliegen der westlichen NGOs. Wichtig war die Erkenntnis, dass kleine, prosperierende private Tourismuswirtschaften vielfältige und diversifizierte Einkommensmöglichkeiten schaffen und zur Bekämpfung von Armut und zum Zugang zu Bildung beitragen können - auch in Burma. Tourismus kann individuelle und staatlich nicht immer kontrollierte Kommunikationsmöglichkeiten und direkten Austausch zwischen einheimischer Bevölkerung und internationaler Meinung ermöglichen. Damit wäre eine derartige Boykott-Aktion weitgehend auf dem Rücken der Bevölkerung ausgetragen und somit der Zweck verfehlt worden.
Deutlich wurde aber auch, dass sich Reiseveranstalter mit Reisen in diktatorische Länder auseinandersetzen müssen. Ein Marketing, das sich auf Klischee-Bilder einer "bewahrten Asien-Ursprünglichkeit" bezieht und bewusst die politische Situation im Land verharmlost, trägt zur Desinformation von Reisenden bei, die mit ihrem Verhalten im Land die Menschen in Unkenntnis der Lage gefährden können. Verantwortungsvoller Tourismus wird so verhindert. Gerade in diktatorischen Ländern hat die europäische Tourismuswirtschaft sowohl Bildungsverantwortung ihren Kunden gegenüber, als auch Verantwortung gegenüber der Bevölkerung in den Destinationen. Dies führt erstens zu transparenter Informationsarbeit und zweitens beispielsweise zur bedachten Auswahl von lokalen Partneragenturen und richtigen Unterkünften.
Und die Moral von der Geschicht ...
Solange die Sonne-und-Strand-Tourismuswirtschaft das "Augen zu und Erholen"-Verhalten vieler Kunden aktiv fördert und auch selbst ihren Business-Partnern in jenen Ländern, die als undemokratisch, autoritär und diktatorisch bekannt sind, keine Fragen stellt, bleibt die Forderung nach einer ethischen Verantwortung der Tourismusindustrie aktuell.
Die Regierungen und auch die Bevölkerung der europäischen Staaten müssen sich fragen, wohin demokratiepolitisches Desinteresse und blindes Konsumverhalten in jenen Ländern, deren Küsten und Meere als Erholungskulissen dienen, letztendlich führen. Demokratie bedeutet Verantwortung. Diese muss sich auch in Wirtschaft und Politik widerspiegeln.
Reisefreiheit genießen zu können bedeutet auch, sich für Länder, die man besucht oder in denen man Reisen anbietet, zu interessieren. Das ist keine große Sache im Vergleich zu den Risiken, welche die Menschen in Ägypten und Tunesien in den letzten Wochen auf sich genommen haben, um das zu erkämpfen, was uns selbstverständlich scheint: Demokratie und Meinungsfreiheit.
Ein Nachsatz: Der Direktflug der Lauda Air nach Yangon wurde 2005 wieder eingestellt, offiziell wegen der wirtschaftlichen Nachwirkungen des Tsunami.
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Unter Zuhilfenahme von Texten von Karin Chladek (Öffentlichkeitsarbeit Naturfreunde Internationale) und Margit Leuthold (Wissenschaftlicher Beirat, Naturfreunde Internationale).
Quelle:
Lifestyle | Sport & Freizeit, Reisen, 15.08.2011
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 03/2011 - Schöne Aussichten erschienen.
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