Null

Ein Wohnhaus mit null Energie, null Emission und null Bauabfall

D10 ist ein überzeugendes Beispiel dafür, wie bereits heute Häuser gebaut werden können, die mehr Energie erzeugen als sie selbst benötigen, die keine CO2-Emissionen verursachen, die fast ohne Rückstände vollständig rezykliert werden können - und die gleichzeitig anspruchsvolle Architektur realisieren. Das 2011 fertiggestellte Wohnhaus D10 hat 182 m2 Wohnfläche und steht in der Nähe von Ulm.
Gebäudefoto Arckitekt: Werner Sobek mit Petra Michaely, Energiekonzept: Stefan Oehler, Haustechnik: Jürgen Schroth, Ümit Esiyok, Tragwerk: Konrad Hall; Fotos: Zooey Braun, Stuttgart
© Werner Sobek, Frankfurt

Die Bauherren hatten den Wunsch, auf ihrem Grundstück mit wunderschönem, altem Baumbestand ein Wohnhaus für zwei Personen zu errichten. Es sollte maximale Transparenz aufweisen, um in möglichst enger Beziehung zum Garten und den sich darin spiegelnden Jahreszeiten leben zu können. Das Haus sollte hell und freundlich werden und keine Kompromisse beim Komfort eingehen - kurz: Es sollte der 2.400 Jahre alten Solarhaus-Definition des Sokrates entsprechen: "Das ideale Haus ist im Sommer kühl und im Winter angenehm warm. Es öffnet sich im Süden zur Sonne und besitzt im Norden einen schützenden Vorratsraum". Gleichzeitig sollte ein umweltfreundliches Gebäude mit minimalen Betriebskosten entstehen. Das Gebäude sollte den von Werner Sobek entwickelten Anforderungen eines Triple Zero®-Gebäudes entsprechen, d.h. null Energieverbrauch, null Emissionen, null Abfall.

Architektonisch ist das Ergebnis ein klar gegliederter, eingeschossiger Bungalow mit Kellergeschoss und Garage. Die weit auskragenden weißen Scheiben der Bodenplatte und des Daches lagern auf zwei Wandscheiben im Norden und wenigen dünnen Stahlprofilen - das Dach wirkt schwerelos und scheint zu schweben. An den Ost-, Süd- und Westseiten spannt eine nahezu entmaterialisierte Glasfassade zwischen Bodenplatte und Dach, die Nordseite hingegen bleibt geschlossen. Die Photovoltaik(PV)-Anlage auf dem Flachdach wurde mit geringer Neigung und zurückgesetzt verlegt, so dass sie vom Garten aus kaum erkennbar ist.

Wohlig warm und angenehm kühl

Das Gebäude ist eine hochgedämmte Mischkonstruktion mit einem Untergeschoss aus Beton und einem Erdgeschoss aus Holz. Die Be-und Entlüftungsanlage mit hocheffizienter Wärmerückgewinnung versorgt alle Bereiche zuverlässig mit Frischluft. Gleichzeitig lassen sich Schiebetüren öffnen, um den direkten Kontakt zum Garten zu ermöglichen. Eine gleichbleibende Temperatur wird mit Hilfe von vertikalen Erdsonden, Wärmepumpe und Fußboden-Heizung bzw. Kühlung ganzjährig erreicht. Das vorgestellte Wohnhaus erreicht in seiner Jahresbilanz trotz geringer Kompaktheit und trotz eines 100prozentigen Verglasungsanteils auf den Ost-, Süd- und Westseiten einen Überschuss an Energie. Das Gebäude ist weitestgehend rezyklierbar, da man so weit wie möglich auf Klebeverbindungen und Verbundkonstruktionen verzichtet und stattdessen mit einfach lösbaren Verbindungen gearbeitet hat. Die Holzkonstruktion besteht aus nachwachsenden Rohstoffen und lässt sich ohne Aufwand demontieren und wieder verwerten. Die Dämmung aus Steinwolle benötigt nur 39 Prozent der Herstellungsenergie von Mineralwolle und lässt sich unverschmutzt wieder verwerten. Auf einen bituminösen Anstrich der Kelleraußenwände wurde zugunsten einer mineralischen Schlämme verzichtet, um ein sortenreines Bauteil zu erhalten. Die Dachfolie aus Polyolefinen ist nicht verklebt, sondern nur mechanisch befestigt. Das Grundstück lässt sich am Ende des Gebäudelebenszyklus ohne Einschränkung renaturieren. Diese Beispiele zeigen, dass der Spielraum für ökologisches und recyclinggerechtes Konstruieren größer ist, als vielfach diskutiert.

Der Energieverbrauch des Gebäudes ist minimiert, die Energiegewinne sind über die PV-Anlage, über die Nutzung von Geothermie und nicht zuletzt ganz direkt über die solaren Gewinne der Fenster optimiert. Die PV-Anlage produziert mehr als 7.500 kWh/a, die Erdsonden kühlen bzw. heizen das Gebäude je nach Bedarf über eine Betonkerntemperierung, die ihre Energie vor allem nach oben abgibt. Das Erdreich wird über die Erdsonden im Jahresrhythmus be- und entladen und dient somit als großer saisonaler Wärmespeicher. Nicht zu unterschätzen sind die passiven solaren Gewinne durch die Fenster. Immerhin 66 Prozent des gesamten Heizwärmebedarfs werden über passive solare Gewinne gedeckt. Die Südverglasung weist mit sehr guten g- und u- Werten (die für den Wärmedurchlassgrad stehen) sogar eine positive Energiebilanz auf. Während der Heizperiode fängt sie durch die tief stehende Sonne mehr Solarenergie ein, als sie nach außen verliert. Selbst bei bedecktem Himmel ermöglicht die diffuse Strahlung noch solare Gewinne. Dadurch wird das Gebäude täglich aufgeladen und muss nur gelegentlich auf Wärmepumpe und Fußbodenheizung zurückgreifen.

EU Anforderung 2020: Nearly Zero Energy Building
"Die Europäische Union fordert, dass ab dem 31. Dezember 2020 alle neuen Gebäude in Europa die Qualität "Nearly Zero Energy Building" haben müssen. "Ein Nearly Zero Energy Building ist ein energetisch hocheffizientes Gebäude. Sein Energiebedarf beträgt fast Null und soll im Wesentlichen aus erneuerbaren Energien gedeckt werden, die auch auf dem Grundstück oder in der Nähe erzeugt werden."

Das Ziel ist: klimaneutral bauen
Wirkt luftig: Die Be-und Entlüftungsanlage des Wohnhauses "D10" mit hocheffizienter Wärmerückgewinnung versorgt alle Bereiche zuverlässig mit Frischluft.
Foto: © Werner Sobek, Frankfurt

Die jährliche Bilanz des Gesamt-Primärenergiekennwerts inkl. PV-Anlage auf dem Flachdach wurde mit dem Passivhaus-Projektierungspaket bilanziert und erreicht eine Gutschrift von 22 kWh/m2/a. Sie beinhaltet sämtliche Energieverbräuche im Gebäude - vom Heizen, Kühlen, Lüften, über Pumpen und Ventilatoren bis hin zum Stromverbrauch für die Nachttischlampe und den Toaster. Das Wohnhaus erreicht damit die angestrebte Umweltqualität "klimaneutral" und ist ein echtes Plus-Energie-Haus.
Das Gebäude beweist, dass die heute zur Verfügung stehenden Technologien und Komponenten einen sehr viel größeren Spielraum für architektonisch anspruchsvolle Lösungen bieten als vielfach diskutiert. Architekten haben bei der Planung von sparsamen und umweltfreundlichen Gebäuden tatsächlich enorm viele Möglichkeiten. Das Vorurteil, dass energieeffiziente Gebäude mit immer dickeren Wärmedämmverbundsystemen umgeben werden müssen, kann spätestens seit D10 als überzeugend widerlegt angesehen werden.
 
 
Von Stefan Oehler, Petra Michaely und Jürgen Schroth
Die Autoren

Stefan Oehler ist Architekt, Passivhaus-Planer und DGNB Auditor. 1996 baute er das erste freistehende Passivhaus und 2003 das größte Passivbürogebäude Energon Ulm.
stefan.oehler@wernersobek.com

Petra Michaely ist Architekturbereichsleiterin bei Werner Sobek Stuttgart.
petra.michaely@wernersobek.com

Jürgen Schroth ist Betriebswirt und Ingenieur der Versorgungstechnik. Seit 2009 ist er bei WSGreenTechnologies Stuttgart tätig, seit 2011 als Teamleiter.
juergen.schroth@wsgreentechnologies.com


Quelle:
Technik | Green Building, 14.03.2012
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 01/2012 - Elektromobilität erschienen.
     
        
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