Wohlstand jenseits des Wachstums sichern
- nicht Schrumpfung anstreben
Nach der Finanz- und Wirtschaftskrise und der aus der Behebung ihrer Folgen resultierenden Staatsschuldenkrise fragen sich viele Menschen: Führt die Art und Weise unseres Wirtschaftens grundsätzlich in die richtige Richtung? Es ist daher kaum verwunderlich, dass die seit Jahrzehnten umstrittene Frage, ob Wirtschaftswachstum überhaupt anzustreben sei, aktuell eine spürbare Renaissance erfährt, gerade in der Zivilgesellschaft. Leider lenkt uns diese mit Leidenschaft geführte Debatte rund um die Mittel für ein gutes Leben zu stark von den eigentlichen Zielen ab. Wachstum ist stets nur Mittel, nicht Selbstzweck.
Wohlstand ohne Wachstum - geht das überhaupt?
Wenn Wachstum nur ein Mittel ist, um ein gutes Leben zu sichern, dann ist Wohlstand ohne Wachstum natürlich prinzipiell möglich. Allerdings dürfte es schwerer erreichbar sein. Denn viele der Forderungen, die Wachstumskritiker anstelle von Wachstum erheben (etwa Gerechtigkeit, Selbstbestimmung, Emanzipation), können stattdessen ebenso gut und wahrscheinlich sogar noch einfacher mit einem spezifisch qualifizierten Wachstum erreicht werden. Voraussetzung ist, dass sie eigenständig verfolgt werden.
Wohlstand enthält viele Elemente, die nicht prinzipiell wachstumsbedürftig sind: Gesundheit, privates Glück, erfüllende Beziehungen, ein selbstbestimmtes Leben oder eine Gesellschaft, in der man gleichberechtigt verschieden sein kann. Allerdings gibt es für ein selbstbestimmtes Leben und sozialen Zusammenhalt materielle Voraussetzungen: gerechte Bezahlung, ein gutes Sozialsystem, gute Arbeit oder Geschlechtergerechtigkeit. Viele dieser Voraussetzungen sind mit expandierenden materiellen Möglichkeiten unter Umständen besser zu gewährleisten, wenn diese Zugewinne gerecht verteilt werden. Angesichts der globalen Ungleichheit, aber auch der Ungleichheit in unseren Gesellschaften selbst, enthält das Wohlstandsversprechen eben auch die Chance materieller Zugewinne - gerade für die weniger Begüterten. Ein allgemeiner Wachstumsstopp ist schwer vereinbar mit Wohlstand für alle.
Brauchen wir eine Postwachstumsökonomie und wie sähe sie aus?
Es gilt zu unterscheiden zwischen einer politisch angestrebten Schrumpfungsökonomie einerseits und einer auch im Falle ausbleibenden Wachstums produktiven und Wohlstand gewährleistenden Ökonomie andererseits.
Ich halte eine Postwachstumsökonomie im Sinne vorsätzlicher Schrumpfung nicht für anstrebenswert. Es dürfte sehr schwierig, wenn nicht gar unmöglich sein, die politische Vorgabe eines Null- oder gar Negativwachstums angesichts eines dezentral organisierten Wirtschaftsprozesses umzusetzen. Wer will den Unternehmen schon detaillierte Vorgaben machen, wie stark sie zu expandieren haben und in welchem Umfang sie Produkte und Dienstleistungen produzieren sollen?
Zudem sind die Risiken einer Postwachstumsökonomie enorm. Ob eine stabile wirtschaftliche Entwicklung, ein organisierter sozialer Ausgleich oder die Fähigkeit einer Gesellschaft, sich auf neue Herausforderungen einzustellen in einer schrumpfenden Ökonomie gewährleistet werden können, ist ungewiss. Ein qualitatives Wachstum, das mehr Arbeit schafft, die breiten Masseneinkommen erhöht, den Schuldenabbau beschleunigt oder die Mittel für private und öffentliche Zukunftsinvestitionen vergrößert, gilt es daher zu befördern. - ein Wachstum, das sich aus Ungleichheit, Ressourcenvernichtung und Spekulation speist, hingegen nicht. Wachstum ist Mittel zum Zweck, es soll nicht Fetisch werden - weder mit positivem noch mit negativem Bezug.
Die Frage nach der Gestaltung einer Postwachstumsökonomie stellt sich aber in einem anderen Sinne dringend: Was tun, wenn die Wirtschaft nicht mehr oder kaum noch wächst?
Wege zu einer resilienten Wohlstandsökonomie
Die Gestaltung einer "Postwachstumsökonomie" ist meines Erachtens vor allem eine Frage der Resilienz: Wie können der Arbeitsmarkt, die Sozialversicherungen oder die staatlichen Haushalte stärker von der Notwendigkeit permanenten exponentiellen Wachstums abgekoppelt werden? Und zwar in einer Weise, die Wachstum nicht politisch unterbinden will, aber weniger darauf angewiesen ist. Wie gestalten wir eine Wirtschaft, die widerstandsfähiger gegen strukturell abflauende Wirtschaftsraten ist, eine Wirtschaft, die die Achtung der naturräumlichen Belastungsgrenzen unseres Planeten und den sorgsamen und weitsichtigen Umgang mit Ressourcen gewährleisten kann, ohne das allgemeine Wohlstandsniveau abzusenken?
Meiner Meinung nach sind unter anderem folgende Aspekte für eine solche resiliente Wohlstandsökonomie entscheidend:
Daniela Kolbe ist Vorsitzende der Enquete-Kommission "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität". |
Wenn Wachstum nur ein Mittel ist, um ein gutes Leben zu sichern, dann ist Wohlstand ohne Wachstum natürlich prinzipiell möglich. Allerdings dürfte es schwerer erreichbar sein. Denn viele der Forderungen, die Wachstumskritiker anstelle von Wachstum erheben (etwa Gerechtigkeit, Selbstbestimmung, Emanzipation), können stattdessen ebenso gut und wahrscheinlich sogar noch einfacher mit einem spezifisch qualifizierten Wachstum erreicht werden. Voraussetzung ist, dass sie eigenständig verfolgt werden.
Wohlstand enthält viele Elemente, die nicht prinzipiell wachstumsbedürftig sind: Gesundheit, privates Glück, erfüllende Beziehungen, ein selbstbestimmtes Leben oder eine Gesellschaft, in der man gleichberechtigt verschieden sein kann. Allerdings gibt es für ein selbstbestimmtes Leben und sozialen Zusammenhalt materielle Voraussetzungen: gerechte Bezahlung, ein gutes Sozialsystem, gute Arbeit oder Geschlechtergerechtigkeit. Viele dieser Voraussetzungen sind mit expandierenden materiellen Möglichkeiten unter Umständen besser zu gewährleisten, wenn diese Zugewinne gerecht verteilt werden. Angesichts der globalen Ungleichheit, aber auch der Ungleichheit in unseren Gesellschaften selbst, enthält das Wohlstandsversprechen eben auch die Chance materieller Zugewinne - gerade für die weniger Begüterten. Ein allgemeiner Wachstumsstopp ist schwer vereinbar mit Wohlstand für alle.
Prof. Martha Nussbaum (l.) wird zur Anhörung der Enquete-Kommission Wachstum, Wohlstand und Lebensqualität am 14. Dezember 2011 von der Kommissionsvorsitzenden Daniela Kolbe (r.) begrüßt. |
Es gilt zu unterscheiden zwischen einer politisch angestrebten Schrumpfungsökonomie einerseits und einer auch im Falle ausbleibenden Wachstums produktiven und Wohlstand gewährleistenden Ökonomie andererseits.
Ich halte eine Postwachstumsökonomie im Sinne vorsätzlicher Schrumpfung nicht für anstrebenswert. Es dürfte sehr schwierig, wenn nicht gar unmöglich sein, die politische Vorgabe eines Null- oder gar Negativwachstums angesichts eines dezentral organisierten Wirtschaftsprozesses umzusetzen. Wer will den Unternehmen schon detaillierte Vorgaben machen, wie stark sie zu expandieren haben und in welchem Umfang sie Produkte und Dienstleistungen produzieren sollen?
Zudem sind die Risiken einer Postwachstumsökonomie enorm. Ob eine stabile wirtschaftliche Entwicklung, ein organisierter sozialer Ausgleich oder die Fähigkeit einer Gesellschaft, sich auf neue Herausforderungen einzustellen in einer schrumpfenden Ökonomie gewährleistet werden können, ist ungewiss. Ein qualitatives Wachstum, das mehr Arbeit schafft, die breiten Masseneinkommen erhöht, den Schuldenabbau beschleunigt oder die Mittel für private und öffentliche Zukunftsinvestitionen vergrößert, gilt es daher zu befördern. - ein Wachstum, das sich aus Ungleichheit, Ressourcenvernichtung und Spekulation speist, hingegen nicht. Wachstum ist Mittel zum Zweck, es soll nicht Fetisch werden - weder mit positivem noch mit negativem Bezug.
Die Frage nach der Gestaltung einer Postwachstumsökonomie stellt sich aber in einem anderen Sinne dringend: Was tun, wenn die Wirtschaft nicht mehr oder kaum noch wächst?
Ausschusssitzung am 7. November 2011: (v. l.) Prof. Dr. Uwe Schneidewind, Ulla Lötzer, MdB, Sabine Leidig, MdB, |
Die Gestaltung einer "Postwachstumsökonomie" ist meines Erachtens vor allem eine Frage der Resilienz: Wie können der Arbeitsmarkt, die Sozialversicherungen oder die staatlichen Haushalte stärker von der Notwendigkeit permanenten exponentiellen Wachstums abgekoppelt werden? Und zwar in einer Weise, die Wachstum nicht politisch unterbinden will, aber weniger darauf angewiesen ist. Wie gestalten wir eine Wirtschaft, die widerstandsfähiger gegen strukturell abflauende Wirtschaftsraten ist, eine Wirtschaft, die die Achtung der naturräumlichen Belastungsgrenzen unseres Planeten und den sorgsamen und weitsichtigen Umgang mit Ressourcen gewährleisten kann, ohne das allgemeine Wohlstandsniveau abzusenken?
Meiner Meinung nach sind unter anderem folgende Aspekte für eine solche resiliente Wohlstandsökonomie entscheidend:
- Eine neue Arbeitszeitpolitik, die die Verkürzung der Arbeitszeit über den Lebenszyklus und eine Umverteilung der Arbeitszeit gerade zwischen den Geschlechtern beinhaltet.
- Eine höhere Besteuerung von Vermögen und Erbschaften, die eine Umwandlung der angehäuften Reichtümer einer Minderheit in produktive Investitionen für alle ermöglicht.
- Eine stärkere Verankerung des Verursacherprinzips, damit Umweltzerstörung und Ressourcenverbrauch in die Produktionskosten eingepreist werden und sich der Wettbewerb im Bereich der Ressourceneffizienz verschärft.
- Die Ermöglichung nachhaltiger Konsumstile, damit die Schwelle für ökologisch und sozial verantwortlichen Konsum gesenkt wird. Erst als Massenbewegung entfaltet eine so verstandene Bewegung der Verantwortung die Kraft, um auch Produktionsmuster zu ändern.
- Die Verbreiterung der Beitragsbasis der Sozialsysteme, etwa über eine Bürgerversicherung, zur Sicherung einer gleichbleibenden und weniger konjunkturanfälligen sozialen Absicherung.
All diese Maßnahmen könnten die Abhängigkeit vieler gesellschaftlicher Teilsysteme vom Wachstum verringern. Allerdings heißt dies nicht, dass diese bei höherem Wachstum nicht besser dastünden. Aber es würde uns ermöglichen, gesellschaftliche Zielkonflikte transparenter und somit demokratischer Entscheidung zugänglicher zu machen.
Von Daniela Kolbe, MdB, Vorsitzende der Enquete-Kommission "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität".
Quelle:
Gesellschaft | Politik, 18.04.2012
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