Dürfen Journalisten Aktivisten sein?

Eine Debatte zwischen Fritz Lietsch und Ulrich Brenner

Der "ideale" Journalist soll sich mit nichts gemein machen. Auch nicht mit Nachhaltigkeit? Eine Diskussion zwischen dem Hüter des orthodoxen Journalismus, Ulrich Brenner, und Aktivist Fritz Lietsch.

Als Journalist müsse man Distanz wahren, ist der ehemaligen Leiter der Deutschen Journalistenschule (DJS), Ulrich Brenner, überzeugt (links). Fritz Lietsch (rechts), Chefredakteur von forum Nachhaltig Wirtschaften, macht sich im Gegenteil ganz bewusst mit Nachhaltigkeit gemein, weil er verändern will. Moderator der Diskussionsrunde ist Marco Eisenack, Geschäftsführer des Onlineportals klimaretter.info.
Foto: © Kim Schumacher

Herr Brenner, als ehemaliger Leiter der Deutschen Journalistenschule haben Sie viele hochrangige Journalisten ausgebildet. In der Lehre halten Sie das Objektivitätsprinzip hoch. Dazu passt auch das Zitat von Hajo Friedrich, einen guten Journalisten erkenne man daran, dass er sich nicht gemein mache mit einer Sache, auch nicht mit einer guten. Warum soll man diesem Postulat folgen?

Ulrich Brenner: Mir ist der Begriff Wahrheit lieber als Objektivität, denn natürlich sind auch wir Journalisten nicht frei davon, subjektiv an eine Sache heranzugehen. Ich habe meine Schüler gelehrt, so nah wie möglich an der Wahrheit zu bleiben. Ich sagte ihnen: Sorgt dafür, nicht einseitig zu berichten. Denn der Journalist hat in erster Linie die Aufgabe, zu informieren, und zwar nicht über die eigenen Ansichten. Der Rezipient soll sich ein eigenes Bild machen können.


Herr Lietsch, mit forum Nachhaltig Wirtschaften vertreten Sie eine andere Position. Sie wollen bewusst Partei ergreifen die Nachhaltigkeit. Wo bleibt für die Leser Ihres Magazins der Raum, selbst Entscheidungen zu treffen?

Fritz Lietsch: Wenn ein Journalist nur darüber berichtet, was ist, geht die Zukunft leer aus. Daher haben wir uns bei Gründung des ALTOP Verlages ganz bewusst mit Nachhaltigkeit gemein gemacht. Unsere Haltung war und ist noch heute, dass es an uns liegt, die Zukunft zu gestalten. Vielen Dinge wie Erneuerbare Energien oder ökologischer Landbau, über die damals alle gelacht haben, mussten wir den Weg bereiten. Aber natürlich wollen wir in erster Linie informieren. Deswegen heißt forum Nachhaltig Wirtschaften auch so. Wir wollen ein Forum bieten, wo viele unterschiedliche Meinungen zusammenkommen, so dass sich auch die Atomindustrie neben Ökostromanbietern äußern kann.


Wo versagen die klassischen Medien aus Ihrer Sicht denn?

Lietsch: Sie sind zu profitgetrieben. Agenda-Setting in den Medien passiert vor einem wirtschaftlichen Hintergrund. Den Vorwurf mache ich weniger den Journalisten als den Verlagen. Sie greifen bestimmte Themen wie Nachhaltigkeit nicht auf, obwohl sie gesellschaftlich hochrelevant sind. Denn aus ihrer Sicht lässt sich Nachhaltigkeit nicht gut genug verkaufen. Ein großer Münchener Verleger ist damals auf das Thema LOHAS (Lifestyle of Health and Sustainability, Red.) aufgesprungen und hat sein Magazin Ivy World nach nur zwei Ausgaben wieder eingestampft, weil es nicht schnell genug Geld eingebracht hat. Das Magazin hätte dabei helfen können, einen neuen Lebensstil zu propagieren.

Brenner: Da will ich Ihnen gar nicht widersprechen. Verlage und Redaktionen, die sich nicht frei machen von wirtschaftlichen Interessen, sind ein großes Problem. Je länger ich die Medienlandschaft verfolge, desto mehr sorge ich mich, dass der ökonomische Druck die Unabhängigkeit der Redaktionen erfasst. Deshalb sollte man über neue Organisationsformen, wie Stiftungsmodelle, womöglich sogar öffentlich-rechtliche Konstruktionen, nachdenken.

Lietsch: Herr Brenner, wir haben uns vor fünf Jahren schon getroffen und über neue Formen der Medienfinanzierung gesprochen. Ich bin nicht Journalist und Verleger geworden, weil ich es unbedingt werden wollte. Es war einfach kein anderer Verlag bereit, nachhaltige Themen zu transportieren. Ich habe damals um Ihre Hilfe gebeten, auch um Unterstützung bei der Deutschen Journalistenschule, um so ein ambitioniertes Projekt wie forum Nachhaltig Wirtschaften zu stemmen. Da kam aber nichts.

Brenner: Ich habe leider niemanden gewonnen.

Lietsch: Es hat sich niemand für das Thema Nachhaltigkeit begeistern lassen?

Brenner: Nicht in dem Maße. Die Hefte habe ich ausgelegt und in meinen Klassen präsentiert. Ich habe den Schülern gesagt, da könnt ihr mitarbeiten. Aber es hat sich niemand genug interessiert. Ich habe mich da getäuscht.


Umweltthemen so zu erzählen, dass sie wieder spannend sind, ist Ihre Herausforderung, Herr Lietsch. Sie machen Journalismus aus der Perspektive des Aktivisten. Wie zeigt sich das in der Darstellungsform?

Lietsch: Es geht nicht so sehr um die Darstellungsform, als um die Player. Nachhaltigkeit ist aus meiner Sicht ein extrem spannendes Wirtschaftsthema. Ich betrachte Umwelt als Innovationschance. Als etwas, wo neue Produkte entstehen, wo Profite schlummern, und die Entwicklung hat mir Recht gegeben. Wir berichten über soziale Themen in Form unserer Social Business-Serie, Muhammad Yunus ist bei uns Kolumnist. Wir arbeiten mit Menschen, die Veränderung anstoßen. In meinem Bekanntenkreis sind Leute vom Fernsehen. Wenn ich die frage, wie läuft's im Job, sagen die: "Ich mache immer noch TV für Bekloppte". Ich frage mich, warum ein Dieter Bohlen in der besten Sendezeit laufen muss, während wir genau dann begeisternde, neue Zukunftsvisionen zeigen sollten? Medien schielen zu sehr auf Quoten und machen daher ein Programm, vom dem sie selbst sagen, es sei für Doofköpfe. Es ist Aufgabe von uns Medienmachern, neue Formate zu entwickeln.

Lietsch: "Warum Bekloppten-TV zur besten Sendezeit?"



Brenner: Auch da stimme ich Ihnen zu. Ihr Heft kann wichtige Anregungen geben. Es braucht solche Magazine wie forum Nachhaltig Wirtschaften unbedingt, damit diese in den Journalismus hineinwirken können.


Was aber ist dann noch die Rolle des Journalisten?

Brenner: Der Journalist muss die Distanz bewahren, auch wenn er persönlich Nachhaltigkeit wichtig findet und diesen Bereich kritisch mit Gegenstimmen begleiten.


Herr Lietsch, kritisch zu hinterfragen heißt bei forum, dass Sie die verschiedenen Positionen nicht in einem, sondern in mehreren Artikeln zur Verfügung stellen, die aus unterschiedlicher Richtung kommen. Der Leser muss sich dann aus vielen Artikeln die Meinung zusammenbauen?

Lietsch: Ja. forum ist die Plattform zur gewaltfreien Begegnung unterschiedlicher Meinungen. Denn so ermöglichen wir dem Leser, sich selbst eine Meinung zu bilden und nicht vom Journalisten abhängig zu sein. Journalisten haben immer seltener die Möglichkeit, tief genug in ein Thema einzusteigen, zu überprüfen, wie und von wem die Studien finanziert sind, aus denen sie zitieren. Wir wollen vor allem denjenigen Raum geben, die sich schwer tun, die Stimme zu erheben oder die noch sehr visionär sind. Natürlich macht uns das etwas einseitig, aber es transportiert neue Inhalte in die gesellschaftliche Diskussion.


Darf ein Journalist gleichzeitig Aktivist sein?

Brenner: Ich bin seit 30 Jahren Mitglied beim Bund Naturschutz und war früher Mitglied bei Greenpeace. Als aktiver Journalist hätte ich nie eine Geschichte gemacht, bei der es um Greenpeace geht. Eine Haltung gegenüber der Schöpfung, also der Natur, darf man als Journalist aber haben. Man darf nur nicht vergessen, dass es viele verschiedene Ansichten dazu geben kann. forum Nachhaltig Wirtschaften, das sich an Entscheider richtet, kann es aus meiner Sicht gar nicht anders machen, als verschiedene Aspekte eines Themas aufzuzeigen. Denn die Entscheider wollen keine Meinung übergebraten bekommen, die wollen durch Argumente überzeugt werden. Deswegen finde ich es gut, wenn Fritz Lietsch sagt, wir lassen viele Parteien zu Wort kommen. Nur, es ist auch wichtig, zu sehen, wen man als Zielgruppe hat. Ich finde es legitim, wenn etwa in Kundenmagazinen einseitig berichtet wird. Aber bei allgemeinen Medien wie Zeitungen, Zeitschriften, Radio, TV und Internet, die von Journalisten bespielt werden, darf es keine Einseitigkeit geben.


Ist Fritz Lietsch aus Ihrer Sicht ein Journalist?

Brenner: Ich würde eher sagen, er ist Publizist.


Und Alice Schwarzer mit der Emma?

Brenner: Auch das ist ein Grenzfall, den ich eher nicht beim Journalismus verorte.


Herr Lietsch, Sie bezeichnen forum selbst etwas spielerisch als Greenwashing-Magazin. Wie begegnen Sie der Kritik, dass Ihre Leser nicht auch etwas über die schlechten Seiten der Solar- oder der Dämmstoffindustrie erfahren?

Lietsch: Das sage ich nicht nur spielerisch, sondern provokant und wundere mich, dass ich den Vorwurf nicht öfter zu hören bekomme. Ich komme aus der Markt- und Werbepsychologie und weiß, dass es sinnvoller ist, jemanden, der sich bewegt, erst einmal zu loben, statt ihn abzuwatschen, weil noch nicht alles perfekt ist. Ein Beispiel: Lufthansa hat das Green Ticket entwickelt. Viele Medien, darunter die Süddeutsche Zeitung, haben die Initiative heftig kritisiert. Daraufhin hat sich Lufthansa zurückgezogen und wollte zu Nachhaltigkeit lieber gar nichts mehr machen. Air Berlin hat sich damals vermutlich ins Fäustchen gelacht und weiterhin in Sachen Nachhaltigkeit nichts unternommen. Ich will die ersten Schritte, die Unternehmen gehen, würdigen. Der Effekt ist nämlich, dass die eine Firma, die vorausgeht, die nächste mitzieht.

Brenner: Dasselbe kann in den "normalen" Medien auch stattfinden.


Ist da nicht ein Unterschied zwischen Lobbyismus und Journalismus?

Brenner: Das finde ich in dem Fall nicht. Wenn die SZ das Green Ticket einfach abtut, finde ich das genauso schlimm, wie wenn sie es hochjubelt. Der Journalist muss herausfinden: Ist das nur Propaganda oder hilft so eine Aktion der Umwelt? Ein Elend des aktuellen Journalismus ist, dass die Ausstattung der Redaktion dramatisch zurückgeht, besonders bei den Lokalzeitungen. Der verantwortungsvolle Journalismus schafft sich gerade selbst ab. Daher nehmen Hefte wie forum dem Journalisten eine Grundrecherche ab. Aber auch die Inhalte von forum darf ich nicht eins zu eins übernehmen, auch wenn ich dem Medium vertraue.

Brenner: "Leser wollen nicht indoktriniert werden."



Sie können Herrn Lietsch auch gar nicht vertrauen, wenn er offen zugibt, dass er die Lufthansa nicht kritisieren würde, weil sie womöglich den ersten Schritt in Richtung Nachhaltigkeit macht.

Brenner: Was Herr Lietsch mit seinem Heft macht, ist glaubwürdig. Als Journalist muss ich aber etwas anderes machen, um glaubwürdig zu sein. Ich verurteile ihn also nicht, genauso wenig, wie ich den Redakteur einer Kundenzeitschrift verurteile. Es ist einfach eine andere Art des Publizierens. Nur sollte man dafür den Begriff des Journalismus nicht verwenden, eher den des Publizisten oder Propagandisten.

Lietsch: Wir wollen nicht als Propagandisten auftreten, deswegen der forum-Charakter. Wir wollen den Lesern die Chance geben, verschiedene Seiten zu sehen. Gerade bei Nachhaltigkeit gibt es oft kein wahr oder falsch.


Da machen Sie sich das Leben aber leicht. Das macht ja die Arbeit eines Journalisten so mühsam. Der Verantwortung gerecht zu werden und das Für und Wider so abzuwägen, dass der Leser am Ende eine fundierte Entscheidung fällen kann.

Lietsch: Das ist bei Nachhaltigkeit aber nur bedingt möglich, weil das Thema unglaublich komplex ist.

Brenner: Ich finde, man darf seinen Lesern ruhig vermitteln, dass es schwierig ist, eine eindeutige Position zu beziehen. Die Haltung, dass der Journalist allwissend ist, lehne ich ab und finde es zum Teil furchtbar, wie Kollegen auftreten.


Wir haben also auf der einen Seite Medien wie forum, die klar Partei ergreifen und auf der anderen Seite den klassischen Journalismus. Mit Blick auf die Huffington Post und ihre Gast-Blogger stellt sich die Frage, ob die Berichterstattung der Zukunft eher parteiisch und meinungsbetont ist?

Brenner: Je größer die Kakophonie an Informationen ist, desto wichtiger ist eine distanzierte, abgeklärte und um Wahrheit bemühte Berichterstattung. Diese wird sich aus meiner Sicht auch langfristig durchsetzen. Leser wollen nicht indoktriniert werden.

Lietsch: Ich wünsche mir mehr Konstruktivität in Bezug auf neue Trends und Handlungsmöglichkeiten. Die Sicht "Only bad news are good news" ist nicht die meine. Denn wir machen damit viele Entwicklungen zunichte. Kritisch sein ist ja richtig und wichtig, aber gleichzeitig kann und soll Journalismus auch unterstützen.
 
 
Das Gespräch moderierte Marco Eisenack

Im Profil:
Marco Eisenack arbeitete bei der Süddeutschen Zeitung bevor er die Agentur text:bau gründete. Er ist Geschäftsführer des GutWetter Verlags, in dem klimaretter.info erscheint.

Fritz Lietsch ist Geschäftsführer der ALTOP Verlags- und Vertriebsgesellschaft für umweltfreundliche Produkte mbH in München, in der u.a. forum Nachhaltig Wirtschaften und das Alternative Branchenbuch, ECO-World, erscheinen.

Ulrich Brenner ist ehemaliger Schulleiter und Geschäftsführer der renommierten Deutschen Journalistenschule. Zuvor u.a. Tätigkeiten bei der Stuttgarter Zeitung, Natur und dem SZ-Magazin.

Quelle:
Wirtschaft | Marketing & Kommunikation, 17.12.2013

     
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